Süddeutsche Zeitung

Sprachlabor (124):Ein Wunder

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger nimmt Sokrates zuhilfe.

WIE WASSER ZU WEIN wird, wissen wir aus der Bibel. Das heißt, das Wie wird dort nicht verraten, wohl aber das Wo, das Wann und vor allem das Warum, nämlich weil kein Wein mehr da ist. Ein vergleichbares Wunder soll sich, wie bei uns zu lesen war, bald in Bochum ereignen, und zwar im Rahmen eines Geothermie-Projekts, bei dem Wasser durch ein Bohrloch in die Tiefe gepumpt wird und sich erwärmt, "um . . . wieder hochgeholt und dann in Strom umgewandelt zu werden". Unser Leser Sch. fühlt sich da lebhaft an die alten Propheten und deren Vision "Schwerter zu Pflugscharen" erinnert, eine insofern schräge Reminiszenz, als das Wasser, jedenfalls vom Moralischen her, natürlich weit über den Schwertern steht.

DAS HANTIEREN mit den Überresten der humanistischen Bildung ist, wie unser Leser H. glaubhaft macht, eine riskante Sache. Zwei Fälle sind ihm aufgestoßen, beide aus der Feder von Gastautoren. Im ersten ging es um die prekäre Situation der Bundeswehr, die mit dem geflügelten Wort "Die Konsuln mögen zusehen, dass der Staat keinen Schaden nimmt" bedacht wurde. Herr H. erinnert daran, dass mit der Formel "Videant consules ne quid detrimenti capiat res publica" der römische Senat den Notstand ausrief und seine Rechte auf die Konsuln übertrug, eine Art Ermächtigungsgesetz, wenn man so will. Im zweiten Fall wurde Sokrates unterstellt, er habe der Philosophie "Glückskekssprüche" hinterlassen. Die Philosophen, und nicht nur sie, sehen das etwas anders. Weiß übrigens jemand die letzten Worte des Sokrates? In Platons "Phaidon" werden sie überliefert, und zwar dergestalt, dass Sokrates, als die durch das Gift bewirkte Kälte bereits seinen Unterleib erreicht hatte, zu Kriton sagte: "Wir schulden dem Asklepios noch einen Hahn. Vergesst dieses Opfer nicht!" Müssen wir uns Sokrates womöglich als Scherzkeks vorstellen?

SOKRATES soll auch über die Jugend allerlei Abfälliges gesagt haben: dass die jungen Leute keinen Respekt vor dem Alter hätten, bei Tisch die Süßspeisen verschlängen, ihre Lehrer tyrannisierten, lauter so Zeug. Nun wurde bei uns über die jungen Leute von heute berichtet, dass sie, in London beispielsweise, Flachbildschirme plündern. Ein Leser oder eine Leserin, der/die sich hinter dem Namen "Sphinx" verbirgt, scheint sich da etwas auszukennen. Er/sie vermutet, dass die Typen wohl eher Shops plündern und die Flachbildschirme mitgehen lassen; geplünderte Flachbildschirme seien zu nichts mehr zu gebrauchen.

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Quelle:
SZ vom 29./30.10.2011
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