Süddeutsche Zeitung

Sprachlabor (121):Multilingualität

SZ-Redakteur Hermann Unterstöger schließt Wissenslücken.

WIE MÄCHTIG Musik im Ernstfall wirken kann, wissen wir aus Heinrich von Kleists Novelle "Die heilige Cäcilie oder Die Gewalt der Musik". Bei dem zum Lucerne Festival entsandten Kritiker ging es glimpflicher ab, doch riss ihn das Ereignis dermaßen hin, dass er über die Streicher schrieb, sie "reibten sich zart in kleinen und großen Sekundenintervallen". Unsere Leser E. und Dr. K. schreibten da-zu heiter erstaunte Briefe. Ganz allein steht unser Mann mit seiner schwachen Konjugation des starken Verbs reiben übrigens nicht. Bei dem Portal "xLingua" wird das Präteritum von aufreiben so gebildet: ich reibte auf, du reibtest auf und so fort. xLingua versteht sich aber auch als "ein vollkommen neuer Ansatz zur Multilingualität".

WISSENSLÜCKEN sind peinlicher als Druckfehler, meint unser Leser G. und weist darauf hin, dass die Tuareg zwar als Volk so heißen, dass es aber den einzelnen Tuareg, wie er bei uns vorkam, nicht gibt. Im Singular heißen die Tuareg Targi (männlich) und Targia (weiblich), und wenn man es ganz genau nimmt, ist auch die Bezeichnung Tuareg unkorrekt. Sie selbst nennen sich je nach Heimatgebiet Imajeghen, Imuhagh und Imushagh, wobei das gh laut Wikipedia "als gerolltes/gegurgeltes r" ausgesprochen wird. Im Übrigen, fügt Herr G. hinzu, tragen die Tuareg auch keinen Turban, sondern einen Wickelschleier namens Litham. Wikipedia weiß dazu, dass der Schleier auch Tagelmust heißt, mit Indigo gefärbt ist und auf die Gesichtshaut abfärbt, was den Tuareg den Beinamen "blaues Volk" oder "blaue Ritter der Wüste" eingetragen hat.

DIE MITTEILUNG, wonach im Jugendsender des ZDF auch Bands wie Warpaint "stattfinden", erinnerte unseren Leser Z. an die Antwort, die ein Straubinger Bürgermeister einst auf die Frage nach der Prostitution in seiner Stadt gegeben haben soll: "Eine solche findet hier nicht statt." In der Tat finden nach landläufiger Übereinkunft weder Personen noch Sachen statt, sondern nur Ereignisse wie die Mondlandung, das Fußballspiel der Altherrenmannschaft oder die Fahnenweihe des Trachtenvereins. Sätze wie "Paula findet heute Abend leider nicht statt" oder "In unserem Garten findet neuerdings eine Kletterrose statt" sind zwar machbar, sollten aber höchstens zur Erzielung komischer Effekte verwendet werden. In Pauls Deutschem Wörterbuch findet sich indessen der Hinweis, dass stattfinden einst auch im Sinn von vorhanden sein verwendet wurde, wozu aus Lessings kleinem Gedicht "Alexander" die Stelle "finden [ . . . ] daselbst auch Wein und Mädchen statt" zitiert wird. Der Beleg hätte ganz gut auch zur Straubinger Prostitution gepasst, aber die findet ja nicht statt.

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Quelle:
SZ vom 24./25.09.2011/ib
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