Süddeutsche Zeitung

Sprachlabor (110):Familienzuwachs

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger denkt über Floskeln nach.

"HURRA", rief unser Leser B. kürzlich, "die humanitäre Katastrophe hat ein kleines Geschwisterchen bekommen: das fossile Kraftwerk ", und da er schon mal in Fahrt war, deutete er, wie zum Erweis der nahen Verwandtschaft, auf das bleifreie Auto , den kalorienarmen Koch und noch ein paar dieser Geschöpfe. Sie alle sind uns vertraut, wir kennen sogar ihren berühmten Onkel, den vierstöckigen Hausbesitzer , doch anders als bei diesem neigen wir beim fossilen Kraftwerk zur Toleranz. Natürlich hat Herr B. recht, wenn er, von der Bedeutung des Wortes fossil ausgehend, sich und uns fragt, ob es möglich sei, bei Ausgrabungen statt auf versteinerte Quastenflosser auf funktionierende Kraftwerke zu stoßen. Andererseits ist die korrekte, beispielsweise von der RWE AG verwendete Bezeichnung fossil gefeuerte Kraftwerke nicht nur unhandlich, sondern wegen der Zweideutigkeit von gefeuert auch leicht komisch.

DOPPELT GENÄHT hält angeblich besser, doch muss das nicht für alles und jedes - auch so eine dubiose Doppelung - gelten. Unser Leser Dr. P. findet, dass das besonders auf den "auch in Ihrer Zeitung häufig zu lesenden" Spruch zur falschen Zeit am falschen Ort zutrifft. Mit der Häufigkeit verhält es sich so, dass die Redensart seit Januar 2000 bei uns 208-mal verwendet wurde, bei uns und den in unserem Archiv greifbaren anderen Medien 892-mal; Google bringt dafür gut eine halbe Million Treffer. Wir haben zwei Stichproben gemacht. Fall eins: Im August 2002 sprach der CDU-Politiker Peter Müller bei brütender Hitze im nur dünn besetzten Dießener Festzelt. War er deswegen, wie unser Blatt schrieb, "zur falschen Zeit am falschen Ort"? Wohl nicht: Der Ort war goldrichtig, er hätte nur vielleicht erst in der Kühle der Nacht reden sollen. Fall zwei: Wer "atemberaubende Seriendesigns erwartet, war" - der Berliner Zeitung zufolge - "bei Wolfsburger Neustarts immer zur falschen Zeit am falschen Ort". Auch das stimmt nicht ganz, denn wenn Wolfsburg wirklich der falsche Ort für Atemberaubendes ist, dann ist man dort doch zu jeder Tages- und Nachtzeit richtig. Wie es aussieht, wird die Floskel selbst öfter als nötig zur falschen Zeit am falschen Ort verwendet, bleibt sich also insofern selber treu.

DIRK NOWITZKI ist, einem bei uns erschienenen Porträt zufolge, "bestbezahlter deutscher Sportler auf der Erfolgstraße". Man wüsste nun auch noch ganz gern, wer auf dieser Straße der schlechtestbezahlte Sportler ist.

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Quelle:
SZ vom 25./26.06.2011
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