Süddeutsche Zeitung

Mein Deutschland:Wo Mauern purzeln

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In Deutschland jagen sich derzeit die Gedenktage zur Wiedervereinigung. Ausländer kommen da manchmal gar nicht mehr mit.

Eine Kolumne von Aktham Suliman

"Menschenskinder! Kommt, wir spielen Wiedervereinigung!" Einen Monat später gingen Hans-Peter, Sofie-Charlotte und Co. mit dem Hammer in der Hand zur Berliner Mauer und brachten diese am 9. November zu Fall. Danach war "Friede, Freude, Baklava" in Deutschland. So ungefähr könnte deutsche Geschichte klingen, wenn die Geschichtsschreibung auf der heutigen Wahrnehmung eines Otto Normalverbrauchers in der arabischen Welt basieren würde. Dass allerdings der "Mauerfall" am 9. November des Jahres 1989 und die deutsche Wiedervereinigung am 3. Oktober des darauf folgenden Jahres 1990 war, ist der Außenwelt nicht allzu tief im Gedächtnis. Auch nicht, dass zwischen diesen beiden Daten immerhin noch eine Währungsunion und ein Einigungsvertrag auf die Beine gestellt werden mussten. Denn auch in einem sich damals gerade einigenden Deutschland galt: Ordnung muss sein.

Daher bleiben "Mauerfall" und "deutsche Einheit" auch ein Vierteljahrhundert später für die arabische Öffentlichkeit kompliziert. Überdies war der 9. November nicht nur ein Jahr früher als der 3. Oktober; der 9. November war noch nicht einmal das Datum des Abrisses der Mauer mit Hammer und Kran. Er ist "lediglich" das Datum eines "Versprechers": Günter Schabowski, Mitglied des Zentralkomitee der SED, antwortete bei jener Pressekonferenz auf die Frage nach dem Gültigkeitsdatum des Reisebeschlusses für die DDR-Bürger mit den Worten: "Das tritt nach meiner Kenntnis . . . ist das sofort, unverzüglich."

Der 13. Juni 1990 ist der dritte Stichtag, der im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung in die Geschichte hätte eingehen können. An diesem Tag hat nämlich in der Bernauer Straße in Berlin der offizielle Abriss der Mauer - in der Noch-DDR - begonnen. Der Abriss endete dann offiziell - in der Schon-BRD - am 30. November 1990. Nirgends auf der Welt gibt es so etwas wie eine Mauer, die man an einem 9. November 1989 für "gefallen" erklärt, um sie dann ein Jahr später "abzureißen", und dazwischen ganz nebenbei eine "Einheit" zu schieben. Und nirgends sonst fragen Touristen auch 25 Jahre nach dem Fall und 24 Jahre nach dem Abriss: "Where is the wall?". Erkläre einer Deutschland den Arabern!

Aktham Suliman ist freier Journalist. Er lebt und arbeitet in Berlin.

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Quelle:
SZ vom 11.10.2014
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