Mein Deutschland:"Türken, türkte, getürkt"

Der Zwiespalt um die "Türken-Gabi": Gabriele Paulis neuer Spitzname wirft die Frage auf: Wird die Türkei für den Wahlkampf missbraucht?

Celal Özcan

Was sich hinter der Bezeichnung Türkischer Honig verbirgt, erfuhr ich zum ersten Mal auf dem Oktoberfest. Die klebrig süßen Schnitten mit Pistazien oder Walnüssen, türkisch "Helva", sind hier viel weicher, dem europäischen Geschmack angepasst. Vom Oktoberfest, wo laut Vorschrift ausschließlich bayerische Gerichte angeboten werden dürfen, also keine Pizza und kein Döner, ist Türkischer Honig nicht mehr wegzudenken. Türkischer Honig gilt als bestens integriert.

Mein Deutschland: Die "Türken-Gabi"? Gabriele Pauli mag ihren neuen Spitznamen gar nicht.

Die "Türken-Gabi"? Gabriele Pauli mag ihren neuen Spitznamen gar nicht.

(Foto: Foto: dpa)

Das Wort "türken" lernte ich erst durch meinen Beruf richtig zu verstehen. Ich hatte für den WDR ein Interview mit dem türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk geführt. Der spätere Nobelpreisträger war damals selbst in der Türkei noch relativ unbekannt, und keines seiner Bücher war ins Deutsche übersetzt. Beim Schneiden des Beitrags im Bayerischen Rundfunk meinte der Tontechniker sofort, die Tonqualität sei miserabel, das Interview folglich unbrauchbar. Aber es war schon als Beitrag eingeplant. In Panik fragte ich: Und was jetzt? Türken, sagte der Tontechniker. Sie finden jemanden, der als Orhan Pamuk den Interviewtext liest. Ich rief einen Freund an, dessen Stimme ein wenig an Orhan Pamuk erinnerte, und der sprach dann den Text im Studio. Der WDR war von der Aufnahme begeistert: Hier wurde also getürkt.

Immer wieder begeistert mich die deutsche Sprache mit ihrer Flexibilität, ihren Wortspielen. Es braucht nur ein bisschen Phantasie: Teuro, Leitkultur, Reformstau, Sparpaket, Ellenbogengesellschaft ... Wieder und wieder habe ich überlegt, wie man etwa Ernst Jandls Gedicht "Manche meinen, lechts und rinks könne man nicht velwechsern, werch ein Illtum" ins Türkische übersetzen könnte. Jedes Mal gab ich resigniert auf.

Jetzt schenkte auch die Europawahl der deutschen Sprache ein neues Wort: "Türken-Gabi". Allerdings sind beide Seiten mit diesem Ausdruck unglücklich. Gabriele Pauli sagte, sie werde einer Gruppe zugeordnet, der sie nicht angehöre und die in Deutschland nicht gut angesehen sei. Auch die Türken können mit diesem Begriff wenig anfangen, obwohl ihre Gemeinschaft um ein Mitglied reicher geworden ist. Nein, Gabriele Pauli und die Türken haben wirklich nichts miteinander zu schaffen: Hier wurde ebenfalls getürkt, und zwar schlecht.

Die türkischen Mitbürger haben keine Stimme, aber man bedient sich ihrer, um Stimmung zu machen. Fehlen geeignete Themen, erfindet man Schlagwörter, mit denen sich punkten lässt: Es war der CSU-Politiker Bernd Posselt, der seine einstige Kampfgefährtin zur "Türken-Gabi" machte. Immerhin ist die Türkei bei diesen Europawahlen in Deutschland nicht so präsent wie in früheren Jahren oder wie im Nachbarland Österreich, wo der FPÖ-Chef mit dem Kreuz in der Hand und mit Slogans wie "Abendland in Christenhand" Kampagnen führt. In Deutschland wissen die Wähler inzwischen zu gut, dass die Frage der EU-Mitgliedschaft in den nächsten fünf Jahren, für die sie ihre Vertreter ins Europaparlament entsenden, nicht entschieden wird. Die Politiker hierzulande wiederum haben gelernt, auf ihre Türken ein wenig Rücksicht zu nehmen. Denn sie gehören einfach dazu, wie der Türkische Honig.

Vier Auslandskorrespondenten schreiben an dieser Stelle jeden Samstag über Deutschland. Celal Özcan arbeitet für die türkische Zeitung Hürriyet.

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