Mein Deutschland:Tiger mit Fuchsfell

Auf der Suche nach der DDR: Warum Rechtsabbiegerpfeil, Frickler und ostdeutsche Bohemiens nicht in Vergessenheit geraten sollten.

Kate Connolly

Spätestens seit den Filmen "Goodbye Lenin" und "Das Leben der Anderen" interessieren die Briten sich für die Geschichte der DDR, vor allem junge Menschen besuchen mit Begeisterung Berlin. Nun naht der 20. Jahrestag des Mauerfalls, weshalb meine Kollegen und ich nach Menschen aus dieser vergangenen Ära gesucht haben, nach Stasi-Offizieren und ihren Opfern, nach Ostdeutschen, die sich auf das Abenteuer einer "Mischehe" eingelassen haben, nach der jungen Frau Jahrgang 1989, die ich einmal getroffen hatte und die mir den Kommunismus so erklärte: Dass man für Obst anstehen musste und dass man einen Kinderwagen vor dem Geschäft lassen konnte, ohne Angst, dass das Baby verschwinden würde.

Mein Deutschland: Die Autorin fragt ihre Freunde gerne nach positiven Hinterlassenschaften des totalitären Systems.

Die Autorin fragt ihre Freunde gerne nach positiven Hinterlassenschaften des totalitären Systems.

(Foto: Foto: ddp)

Jeder dieser Menschen hat eine spannende Geschichten zu erzählen, und sich dafür zu interessieren, bedeutet auch, sich für die Lebensläufe von Millionen von Menschen zu interessieren, die zunehmend desillusioniert von der Wende sind. Ebenso frage ich meine Freunde in Westdeutschland gerne nach den positiven Hinterlassenschaften des totalitären Systems. Zu den Antworten gehören: Rechtsabbiegerpfeil, Polikliniken und den Frickler, den man mir als einen Bastler beschreibt, der aus dem Nichts etwas zusammenbaut.

Diese Woche habe ich an einem einzigen Tag mehrere solcher Bastler, besonders farbige Charaktere getroffen. Es ging um den Film "Ein Traum in Erdbeerfolie", der das wilde und wunderbare Leben der inoffiziellen DDR-Modeszene beschreibt. DDR und Mode, fragte ich zunächst ungläubig, als ich zum ersten Mal davon hörte. Doch Marco Wilms, der ehemalige "Dressman", wie Models damals hießen, der den Film gedreht hat und eine der Hauptrollen spielt, hat mich eines Besseren belehrt.

Es war tatsächlich eine sehr lebendige Szene. Was nicht heißt, dass ihre Mitglieder nicht unter Repressalien litten - sie wurden regelmäßig festgenommen und geschlagen und von öffentlichen Plätzen verbannt, nur weil sie die falsche Frisur hatten. Doch die ostdeutschen Bohemiens hielten ihre Modeschauen ab, in Wohnzimmern, Kirchen oder verlassenen Badehäusern. Zum Beispiel Sabine von Öttingen: Diese Vivienne Westwood von Ost-Berlin und der Kopf hinter der Untergrund-Modeszene, versuchte, Alltagsgegenstände in ihre Designstücke einzuarbeiten: Duschvorhänge, Postsäcke oder eben auch diese feste, schwarze Erdbeerfolie.

Marco Wilms, der Filmemacher, ist alles andere als nostalgisch, er will nicht verklären. Und doch beklagt er, dass die Fähigkeit zur Improvisation eine aussterbende Kunst sei. Noch merke man den Unterschied zwischen West- und Ostdeutschen, die weitaus mehr Gedanken und kreative Energie in Alltagsdinge steckten. Ich musste an meine Großmutter denken, die stundenlang in ihrem Gartenhäuschen bastelte und die Kriegsgeneration verklärte und gegen die heutige Wegwerfgesellschaft wetterte. Und dann sitze ich mit Frank Schäfer, dem Friseur vom Prenzlauer Berg und einem der Überlebenskünstler aus dem Film, vor einem Glas Vodka mit Zitrone. Ein Fuchsfell um den Hals gelegt, die Ohrläppchen schwer von Ohrsteckern, erzählt Schäfer, wie er Anti-Pilz-Cremes benutzte, um Haare grün und pink zu färben. Es sei eben wie mit einem Tiger im Käfig, sagt Schäfer, der gebärde sich auch wilder als einer in Freiheit.

In dieser Sekunde wünsche ich mir, einmal zurück in die Vergangenheit katapultiert zu werden. Und vielleicht sollte ich doch noch einmal nachdenken, bevor ich die alte Toilettenbürste und den Koffer wegwerfe.

Vier Auslandskorrespondenten schreiben an dieser Stelle jeden Samstag über Deutschland. Kate Connolly berichtet aus Berlin für die britische Zeitung Guardian.

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