Süddeutsche Zeitung

Mein Deutschland:Sucht einen Ausweg!

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Zwischen Russland und Deutschland wird der Frieden immer brüchiger und die Beziehungen immer kühler.

Eine Kolumne von Maia Belenkaya

Ich dachte niemals, in welchem Kontext ich diese einfache und rührende Anekdote erzählen werde, die sich mit meiner Familie vor ein paar Jahren hier in Deutschland ereignet hat. Wir waren mit unserer Tochter, damals einem lockigen Engelchen, im Park. Ein älterer Herr sprach sie lächelnd an und fragte uns darauf: "Woher kommen Sie?" Nach unserer Antwort grinste der neue Bekannte: "Ah, wunderschönes Russland! Vor allem Moskau ist bezaubernd!" "Sie waren schon mal da?", interessierte es uns. "Jaja", sagte der Mann noch fröhlicher, "dort verbrachte ich ein halbes Jahr in Kriegsgefangenschaft".

Ich bin erstarrt. Und mein Mann streichelte unserer kleinen Tochter über den Kopf und bemerkte zu meiner und wohl auch zu seiner eigenen Verblüffung: "Schau, Liebes, dieser Opa hat mit deinem Opa Krieg geführt."

Damals kam es mir unangebracht vor, fast lästerlich. Aber aus irgendeinem Grund habe ich mich trotzdem nicht geärgert. Jetzt, wo ich so vieles über das Deutschland von heute weiß, darüber, wie hartnäckig das Land seine Vergangenheit aufarbeitet - auf keinen Fall würde mich das ärgern. Und ich glaube, meinen Vater, der Frontsoldat war, auch nicht. Vor einem halben Jahr erschien es mir, dass man vielleicht mit dieser Geschichte die Gegensätze von damals überwinden kann. Beide Opas waren im Krieg. Auf verschiedenen Seiten. Für Beide bedeutete es Leid. So etwas darf nie wieder passieren.

Mehr noch, beim Nachdenken über diese Geschichte war ich der Meinung, dass wir jetzt für immer Freunde bleiben. Und immer Ansätze zur Verständigung finden werden. Doch der Frieden wird immer brüchiger und Beziehungen immer kühler. Zwischen meinem Russland. Meiner Ukraine. Meinem Deutschland. Und ich weiß keinen Ausweg aus dieser Situation. Und ich befürchte, dass die Politiker ihn auch nicht kennen.

Deshalb will ich diese Politiker aus meinen geliebten Ländern ganz frech bitten. Redet miteinander! Klärt einander auf, kommt einander entgegen, seid nicht beleidigt und beleidigt selbst nicht! Sucht den Ausweg! Damit später ihre Enkel über ihre Großväter sagen können, dass die wenigstens versucht haben, einander zu verstehen - und vielleicht sogar sich gegenseitig zu retten.

Maia Belenkaya ist freie Journalistin. Sie lebt in München.

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Quelle:
SZ vom 16./17.08.2014
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