Mein Deutschland:Spätzle gegen Melancholie

Herbststimmung im Allgäu

Spätsommerstimmung im Allgäu.

(Foto: dpa)

Sommerurlaub in einem polnischen Dorf, das früher einmal Schwaben hieß.

Eine Kolumne von Agnieszka Kowaluk

Seit ich in Bayern lebe, setzt meine Herbstmelancholie schon mitten im Sommer ein. Wie soll man in diese unbestimmte Sehnsucht verfallen, die früher in Polen immer von reifen Kastanien, blassgelben Rosen, Nebelgeruch und neu gekauften Schulheften ausgelöst wurde, wenn sich die Kinder aus Bayern erst Anfang September auf den Weg an die Adria-Strände machen?

Den Sommer verbringen wir seit Jahren in einem alten Dorf an der polnisch-ukrainischen Grenze. Entlang des sandigen Waldwegs, der zum Fluss führt und wo man innerhalb von Minuten Pfifferlinge fürs Abendessen findet, wachsen zwischen Waldbäumen in regelmäßigen Abständen uralte Linden, Fliederbüsche und verwilderte Apfelbäume.

Früher, lange bevor der EU-Grenzfluss zur Staatsgrenze wurde und der Sandweg ein Dorfweg war, standen hier Häuser. "Schwaben" nannte eine alte Nachbarin den Flecken im Wald; früher hätten dort auch Deutsche ihre Häuser gehabt. Was mit den ukrainischen, polnischen, jüdischen und deutschen Bewohnern des Dorfes passiert ist und warum diese Häuser heute nicht mehr da sind - man kann es nur ahnen. "Bloodlands" nannte der Historiker Tymothy Snyder die heutigen Gebiete Polen, Weißrussland, Ukraine, Russland und Baltikum. Denn hier tobten die beiden totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts besonders verheerend.

Nach einem Spaziergang, der an überwucherten Scheunen, Zaunresten und Kellerruinen vorbeiführt, mache ich mich ans Kochen. Wir haben Gäste und kommen auf mein deutsches Leben zu sprechen. Das bayerische Bier ist alle, aber das polnische schmeckt auch nicht schlecht zu den selbst gekochten Spätzle. Feinheiten, wie etwa die Tatsache, dass Spätzle kein "deutsches Essen", sondern typisch schwäbisch sind, interessieren eher am Rande.

Für einen Moment schließt sich für mich der Kreis - die schwäbische Kost hebt bei allen die Stimmung. So lässt sich die Spätsommermelancholie mit den leicht vergilbenden Linden ganz gut ertragen, an einem Ort, an dem früher einmal auch Deutsche, genannt "Schwaben", gewohnt haben.

Agnieszka Kowaluk ist freie Journalistin und Literaturübersetzerin. Sie lebt in München.

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