Süddeutsche Zeitung

Mein Deutschland:Russische Ostern

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Alle haben das Osterfest gefeiert. Doch das erste russische Staatsoberhaupt nach der Oktoberrevolution, das über eine kirchliche Schwelle schritt, war Boris Jelzin.

Andrey Kobyakov

Ostern in Deutschland ist sicher wunderbar - und doch überkommt mich immer dann eine gewisse Melancholie.

Ich denke dieser Tage, wie so viele andere Russen auch, besonders häufig an bemalte Eier, an Osterbrot und Paskha - so heißt nicht nur ein süßer Quarkaufstrich in der Form des Kuchens, sondern auch das Fest selbst auf Russisch. Und dazu an das schöne Wetter, das von Jahr zu Jahr unweigerlich an diesem Tag eintrifft.

Jesus Christus erwähnen die Russen übrigens auch gerne, aber im Unterschied zu den Deutschland eher an letzter Stelle, obwohl den festlichen, traditionellen Ostergruß "Christus ist auferstanden - wirklich und wahrhaftig auferstanden" fast jeder kennt.

Drei Generationen von Zwangsatheisten leben nun in Russland, und trotzdem ist Ostern ein besonderer Feiertag. Sogar die Kommunisten konnten dieses Fest nicht torpedieren.

Das Einzige, was dem Regime gelang, war, dass die Massen die feierlichen Bräuche nicht mehr mit dem Christentum verbanden.

Lenin und Stalin, Chruschtschow und Breschnew - sie alle haben das Osterfest gefeiert. Doch das erste russische Staatsoberhaupt nach der Oktoberrevolution, das über eine kirchliche Schwelle schritt, war Boris Jelzin.

Überraschenderweise wirkten seine Besuche in Kirchen nie komisch. Jelzins Nachfolger - Wladimir Putin und Dmitrij Medwedew - gehen auch regelmäßig und demonstrativ in die Kirche. Ganz ernst nimmt man das heute nicht mehr, viele empfinden es als eine inszenierte Show, als ein politischer Vorschuss dafür, dass die Kirche die weltliche Macht unterstützt. Gelegentlich enden solche Inszenierungen mit einer Blamage.

Die russische Olympiamannschaft wurde vor ihrer Abreise nach Vancouver pompös geweiht, zum ersten Mal in der Geschichte Russlands. Und zum ersten Mal in der olympischen Geschichte erzielten russische Sportler so schlechte Ergebnisse wie in Kanada. Gott kehrte sich von ihnen ab, mutmaßen nun viele, weil er die Zeremonie für inszeniert hielt.

Auch das bevorstehende Osterfest versucht man politisch zu instrumentalisieren. Wie ist sonst zu erklären, dass Moskau gerade jetzt die Direktflüge zwischen Russland und Georgien erlaubte? Die Flugverbindung zwischen beiden Ländern war nach dem Militärkonflikt um die abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien im August 2008 eingestellt worden. Die schrecklichen Explosionen in der Moskauer U-Bahn, die vermutlich von islamistischen Terroristen organisiert wurden, fanden auch nicht von ungefähr gerade am Anfang der Karwoche statt.

Und selbst der Handel feiert sein privates Osterfest, seit langem sind die Russen es gewohnt, dass die Lebensmittelpreise schon ein paar Tagen vor Ostern steigen.

Deshalb versucht man, alles Nötiges für die Festtafel frühzeitig kaufen. Vor allem die Eier, die nicht nur gekocht und bemalt, sondern auch für Osterbrot und Paskha gebraucht werden. Weshalb - auch dies ist ein typisch russisches Osterzeichen - jede Zeitung und jeder Fernsehsender jedes Jahr vor Ostern vor Salmonellen warnt. Die größere Gefahr aber geht nicht von rohen Eiern aus, sondern vom Wodka. Deshalb werden am Samstag und Sonntag russische Polizeistreifen verstärkt in den Städten patrouillieren. Auch das gehört zum Osterfest, leider.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Andrey Kobyakov arbeitet in der russischen Redaktion der Deutschen Welle in Bonn.

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SZ vom 03.04.2010
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