Süddeutsche Zeitung

Mein Deutschland:Pani kanclerz und die Wiesn

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Die Polen mögen Angela Merkel und organisieren Reisen zum Oktoberfest.

Eine Kolumne von Agnieszka Kowaluk

"Und, was schreiben die polnischen Zeitungen so über die deutschen Wahlen?", fragt mich ein Freund. "Dasselbe wie die deutschen", winke ich ab. Angela Merkel hätte auch in Polen gewonnen. 2012 wurde sie hier, und das nicht zum ersten Mal, zum "beliebtesten ausländischen Politiker" gewählt. Im Polnischen wird die weibliche Form weder bei "Politiker" noch bei "Kanzler" benutzt. Weswegen sie als "Frau Kanzler" - "Pani kanclerz" tituliert wird.

Merkel hat einen guten Draht zu den Polen und umgekehrt. Und das nicht erst, seit bekannt wurde, dass einer ihrer Großväter ein Pole namens Kazmierczak war. In Polen wusste man zum Beispiel die Geste zu schätzen, als Merkel nach der Wahl 2005 ihren ersten Auslandsbesuch Warschau und nicht etwa Moskau oder Washington abstattete. Mit ihr sind die deutsch-polnischen Beziehungen endlich normal und gleichzeitig besonders geworden. Ausgerechnet im mehrheitlich katholischen Polen weiß man mit der protestantischen Art Angela Merkels gut umzugehen. Eine Deutsche mit deutschen Tugenden wie Fleiß, Disziplin, Sparsamkeit weckt Vertrauen, denn so haben die Deutschen zu sein. Keine Experimente!

Das zweite große deutsche Thema in den polnischen Zeitungen war in den vergangenen Tagen das Oktoberfest. Dass Touristikbüros spezielle Reisen nach München organisieren und es polnische Internetseiten zum Oktoberfest gibt, ist eine neue Entwicklung. Ich erinnere mich an einen Bericht Mitte der 90er-Jahre, also aus der Zeit, in der in Polen das Reisen erst anfing, in Mode zu kommen, und in der Deutschland weiter unten auf der Liste der Traumziele stand. Der polnische Wiesnreporter zeigte sich sichtlich irritiert. Die Kombination von Fahrgeschäften, üppigem Essen, Bierseligkeit und überhaupt Trachtenrausch haben es ihm nicht angetan.

Das Oktoberfest kann man genießen, wenn man einen Schlüssel dazu hat. Was gut gegen den ersten Schock hilft: die Vorstellung von den Deutschen als rationale, sparsame und langweilige Zeitgenossen zu lockern. Die Wiesn ist Rausch und Tradition. Der Duft der gebrannten Mandeln wird weitere 200 Jahre um die Wiesn wehen. Nur keine Experimente!

Agnieszka Kowaluk berichtet unter anderem für die polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza.

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Quelle:
SZ vom 28./29.09.2013
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