Süddeutsche Zeitung

Mein Deutschland:Nationalismus heute

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100 Jahre später gibt es große Worte und viele Umarmungen.

Eine Kolumne von Pascale Hugues

Bundespräsident Joachim Gauck und der französische Präsident François Hollande treffen sich an diesem Sonntag auf dem Hartmannsweilerkopf. Als ich noch ein Kind war, war diese Bergkuppe im Elsass für mich nichts weiter als ein sonntägliches Wanderziel auf den Wegen der Vogesen. Gauck und Hollande werden dort der Toten des Ersten Weltkriegs gedenken. Sie werden sich erinnern, dass vor 100 Jahren, am 3. August 1914, das Deutsche Reich Frankreich den Krieg erklärte. Es wird große Worte geben, so viele wie nie, Umarmungen, Fahnen, Kränze - all jene Paraphernalien der deutsch-französischen Feierlichkeiten.

Aber was ist eigentlich nach 100 Jahren noch von dem Bild geblieben, das die beiden ehemaligen Erbfeinde von sich geben? Beide Nationen haben es zu Anfang dieses Sommers vorgemacht. Die Deutschen: Tausende Fans bejubelten ihre Fußball-Weltmeistermannschaft vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Eine Explosion von Leichtigkeit und Freude, kleine unschuldige Fahnen überall. Keine Spur von Nationalismus . . . bis zu jenem eigenartigen Gaucho-Tanz.

Während ich vor dem Fernseher zusammenschreckte - "Was ist das jetzt?!" - beruhigten mich meine jugendlichen deutsch-französischen Söhne: "Entspann dich doch! Das ist doch Brauch in sportlichen Wettbewerben! Man muss doch aus einer Mücke keinen Elefanten machen!" Das deutsche Feuilleton dagegen blieb sich treu und stürzte sich erneut in eine breite Debatte über den Nationalismus.

Und die Franzosen? Einige Tage später, in Paris, fand die Parade zum 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag statt. Panzer, Düsenjets, Militärbataillone mit Maschinenpistolen, die Marseillaise wird im Hintergrund gespielt. "Was ist das jetzt?!" schrien meine Söhne. Ich alleine blieb als Zuschauerin vor dieser altmodischen Show sitzen. Ich dachte an die jungen Franzosen, die jungen Deutschen, die vor 100 Jahren strotzend mit Nationalismus in den Kampf zogen. Meine Söhne dagegen verließen schulterzuckend das Stück. Diese lächerliche Demonstration militärischer Männlichkeit fanden sie zum Sterben langweilig.

Pascale Hugues ist Deutschland-Korrespondentin des französischen Nachrichtenmagazins Le Point. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.

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SZ vom 02./03.08.2014
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