Mein Deutschland:Maalulas Glocken müssen schweigen

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Das Foto (29. Juni 2009) zeigt das syrischen Dorf Maalula, nördlich von Damaskus. Maalula ist eine der wenigen Orte im Nahen Osten, wo die Bewohner noch Aramäisch, die Sprache von Jesus Christus, sprechen.

(Foto: AFP)

Deutsche Touristen haben sich von der Magie des syrischen Ortes einfangen lassen.

Eine Kolumne von Aktham Suliman

Die Deutschen sind ein Weihnachtsvolk. Schon der Klang des Wortes "Weihnachten" deutet auf eine volkstümlich-deutsche Verwurzlung. Tatsächlich heißt es in der Predigtsammlung Speculum ecclesiae um 1170: "diu gnâde diu anegengete sih an dirre naht: von diu heizet si diu wîhe naht." ("Die Gnade kam zu uns in dieser Nacht: deshalb heißt diese nunmehr Weihnacht"). Und weil die Deutschen nicht nur Dichter und Prediger sind, sonder auch Denker, erfanden sie im späten Mittelalter den Weihnachtsmarkt dazu.

Den Erfindern von Glühwein und Bratwurst etwas entgegenzuhalten könnte aus syrischer Sicht einer unüberwindbaren Aufgabe gleichkommen. Wenn es Maalula nicht gäbe: Jenes Dörfchen fünfzig Kilometer nördlich der Hauptstadt Damaskus, in der eine der ältesten christlichen Gemeinden der Welt lebt und in dessen Klöstern und Kirchen immer noch auf Aramäisch, der Sprache von Jesus Christus, gepredigt wird. Kaum ein deutscher Tourist hat sich die Magie dieses Ortes entgehen lassen. Kaum ein deutscher Journalist wurde dort bei der Suche nach "stories" nicht fündig. Maalula war die Garantie für ein Gleichgewicht in den deutsch-syrischen Weihnachtsbeziehungen, ganz nach dem Motto: Wir haben etwas, was ihr nicht habt!

Das galt allerdings nur bis Anfang dieses Monats. Denn Maalula geriet ins Kreuzfeuer des syrischen Bürgerkrieges. Islamistische Rebellen erstürmten die nach Bethlehem zweitwichtigste christliche Stadt des Nahen Ostens, vertrieben die einheimischen Verteidiger und nahmen zwölf Nonnen aus einem Kloster als Geiseln. Laut einem von arabischen Nachrichtensendern ausgestrahlten Geiselvideo befänden sich die Nonnen im "Schutz" ihrer "Befreier". Eine genauere Analyse lässt dagegen Schlimmes befürchten, denn niemand in der Geschichte hatte zuvor Nonnen aus Maalula ohne Kreuze um den Hals gesehen und niemals schwiegen die Glocken dort zur Weihnachtszeit.

Viele syrische Christen sind in den vergangenen Monaten ausgewandert, auch aus Maalula, auch nach Deutschland. Diese werden sich weniger den Weihnachtsmärkten widmen, als vielmehr jener Frage: "eily, eily, lema shabaqtni?" (aramäisch für: "Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?")

Aktham Suliman ist freier Journalist. Er lebt in Berlin.

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