Süddeutsche Zeitung

Mein Deutschland:Lieblingsgerät Mikrowelle

Beim Einkauf greift der Deutsche auch gerne in die Tiefkühltruhe.

Celal Özcan

Über den Sinn des Satzes "Liebe geht durch den Magen" habe ich immer wieder gerätselt. Angesichts der Stapel an Kochbüchern in den Buchhandlungen oder der Kochsendungen im Fernsehen, wo jeden Abend ein Sternekoch ein raffiniertes Menü mit frischesten Zutaten der Saison zubereitet, drängt sich der Eindruck auf, dass die Deutschen ein Volk exzellenter Köche, sprich wunderbarer Liebhaber, sind.

Ein Spaziergang durch die Supermärkte offenbart eine andere Welt. Die Gefrierschränke nehmen ganze Wände ein, mehr Platz als die Regale mit frischem Obst und Gemüse. Öffnet man eine Tür, packt einen die herauswabernde Kälte am Kragen.

Tiefgefrorene Erbsen, Karotten und Mischpilze, Brokkoli und Blumenkohlröschen, Rahmgemüse und Blattspinat, Fertigpizzen und Fischstäbchen.

Servierfertig in zehn Minuten. In den Einkaufswagen türmen sich eingeschweißte Tortellini mit Schinken-Sahne-Sauce; Salat in Kunststofftüten, den man angeblich nicht einmal mehr zu waschen braucht, dazu ein Dressing nach Geschmack; Königsberger Klopse, vakuumverpackt, mit glibbriger Instantsoße. Ein Schlaraffenland, wo aber der Appetit nicht so recht aufkommen mag.

Flaniert man dagegen durch die Goethestraße in München, versteht man Thilo Sarrazins Eifersucht auf die türkischen Gemüsehändler ein wenig besser. Ein Obst- und Gemüseladen reiht sich an den anderen.

Auf dem Bürgersteig drängen sich die Kunden. Orangen und Mandarinen werden hier nicht stück-, sondern kistenweise gekauft, Auberginen, Artischocken, Paprika und Zucchini in riesigen Mengen. Es scheint, als würde in den Küchen türkischer Familien von früh bis Abend nur geschält, geschnippelt und gekocht.

Tatsächlich steht das Essen durchaus im Mittelpunkt des Lebens, wie auch Aziz Nesin in seiner satirischer Erzählung "Greift doch bitte zu" schildert. Da prahlt die Hauptfigur, seine deutschen Gäste "verlieren den Verstand, wenn sie unsere gefüllten, gewickelten Spezialitäten, unsere Fleisch- und Käsepasteten, unsere Joghurt-, Blätterteig- und Honigpasteten essen.

Wenn meine Frau einen Blätterteig ausrollt, kann man durch den Teig durchsehen, als würde man durch einen Tüllvorhang blicken. Wenn man diese Teigpastete im Wasserdampf zubereitet, kann man davon zwei Kilo hintereinander essen, und es kommt einem vor, als hätte man nur zweihundert Gramm davon gegessen. Und erst recht die mit Mandeln gefüllte Honigpastete, sie löst sich noch im Mund auf." In türkischen Supermärkten steht tatsächlich die Tiefkühltruhe als ein kleiner bescheidener Kasten verwaist in einer Ecke.

Beim Kochen in Deutschland kommt nicht nur Tiefkühlkost, sondern auch Technik zur höchsten Geltung. Die Küche muss eine Granitoberfläche haben, einen Edelstahl-Doppel-Kühlschrank, eine Espressomaschine, da kommen schnell mal zwanzigtausend Euro zusammen. Doch das Lieblingsgerät in deutschen Küchen ist nicht der Kochherd, sondern die Mikrowelle. Die aber macht jede Liebe durch den Magen kaputt.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Celal Özcan arbeitet für die türkische Zeitung Hürriyet.

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SZ vom 20.03.2010/ib
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