Mein Deutschland:Lieber nichts versemmeln

Filmerbe in Gefahr

Filmrollen lagern im Bundesfilmarchiv in Dahlwitz/Hoppegarten. Das Filmarchiv ist das größte Filmarchiv in Deutschland.

(Foto: ddp)

Man kann nicht Bairisch mit einem südpolnischen Dialekt übersetzen.

Agnieszka Kowaluk

"Fjeden" sagen die harten Jungs an den Straßenecken von Baltimore, wenn sie sich ganz sicher sind - wie man seit der US-Kultserie "The Wire" weiß. Sie sagen das natürlich nur in der deutschen Fassung. Und ich habe lieber Baltimorisch auf Deutsch, als die Serie gar nicht zu kennen. Und alle Achtung vor dem Sprachgefühl des Übersetzers - das Wort "fjeden" (kommt von "auf jeden Fall") wurde zu einem der Jugendwörter des Jahres 2011 gewählt. Wird man jedoch die Dialogliste nicht irgendwann - wie den "Hamlet" oder die "Göttliche Komödie" - neu übersetzen lassen müssen? Weil der Ausdruck nicht mehr aktuell sein und von unseren Kindern nur belächelt werden wird?

"Übersetzungen altern schneller als die Originale", sagte einmal ein renommierter Übersetzerkollege. Sollte man aber deswegen auf "The Wire" in Deutsch verzichten? Auf den ins Polnische übersetzten Wolf Haas, weil sein grandioses Österreichisch unübersetzbar scheint? Auf James Joyce? Elfriede Jelinek? Als Übersetzer wagt man viel. Man versucht Unmögliches, vermittelt, übermittelt, schafft neu, was so nicht da war, mischt sich ein, geht dazwischen. Und doch gibt es Bereiche, von denen man sich lieber fern hält. Man kann nicht Bairisch mit einem südpolnischen Dialekt übersetzen, man kann nicht den Slang einer Großstadt in dem Slang einer anderen wiedergeben. Da muss ein Kunstgriff her.

Und es gibt Bereiche, wo man die exakten Äquivalente zwar kennt, sie jedoch nicht über die Lippen bringt. Es dauerte eine Weile, bis ich "Rosinensemmel" sagen konnte. Aber ich fühle mich dabei immer noch wie jemand, der eine Frau beim Bäcker spielt, die Rosinensemmeln kauft. Und weil ich mich hier schon so verausgabe, werde ich sicher nie "Würschtl" essen und Kaffee aus einem "Haferl" trinken. Deutsch kann man lernen und leben, Bairisch - wie Baltimorisch - bleibt die Sprache derer, die es schon in den Sandkasten gelegt bekommen haben. In der Sandkastenvergangenheit verbrachte ich übrigens viel Zeit mit einer guten Freundin. Wir sprachen miteinander gepflegtes Deutsch und an der Seite brüllten wir unsere zweisprachigen Kinder in jeweiliger Muttersprache an: Ich auf Polnisch, sie auf Niederbairisch. Eine schöne Sprache. Fjeden!

Agnieszka Kowaluk arbeitet als Literatur-Übersetzerin und für die Gazeta Wyborzca. Sie lebt in München.

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