Mein Deutschland:Leuchttafeln statt Blitzkrieg

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Glücklich über den errungenen Sieg beim Finale der Fußball-Weltmeisterschaft im Münchner Olympiastadion am 7. Juli 1974 hebt Bundestrainer Helmut Schön (l) den Schützen des zweiten und entscheidenden deutschen Tores, Gerd Müller, von den Schultern seiner Mannschaftskameraden. (Foto: dpa)

Stolz auf den Humor der Polen.

Eine Kolumne von Agnieszka Kowaluk

Vor 40 Jahren wurde Deutschland im Münchner Olympiastadion Fußballweltmeister. Einige Tage zuvor hatte es Polen im Halbfinale besiegt. Diese unter dem Namen "Wasserschlacht von Frankfurt" bekannte Partie hätte in die Fußballgeschichte eingehen können als der erste Sieg einer polnischen Nationalmannschaft über eine deutsche. Die Mannschaft um Grzegorz Lato, den Torschützenkönig des Turniers, und Jan Tomaszewski, den Pelé den besten Torwart der Welt nannte, vielleicht die beste polnische Mannschaft aller Zeiten, war ganz nahe dran. Doch das Wetter war nicht auf Polens Seite: Kurz vor dem Anpfiff ging über dem Frankfurter Stadion ein gewaltiger Wolkenbruch nieder. Der Ball blieb in den Pfützen stecken, die Fußballer rutschten eher, als dass sie liefen, und am Ende hatten die Deutschen mehr Glück: Gerd Müller schoss das einzige, das entscheidende Tor.

Im Oktober soll die deutsche Elf in Warschau zur Qualifikation für die Europameisterschaft 2016 gegen die polnische antreten. Nach dem Spiel vom Dienstag fragten sich manche polnische Fußballfans allerdings besorgt: Ist es denn technisch überhaupt möglich, dass die Leuchttafel im neuen Warschauer Stadion das Ergebnis der deutsch-polnischen Begegnung wiedergibt? Der Pressesprecher beruhigte: Ja, es sei möglich, eine zweistellige Toranzahl anzuzeigen.

In solchen Momenten bin ich vielleicht weniger auf die aktuelle polnische Nationalelf stolz als auf den Humor meiner Landsleute. Solche Kommentare zum Sieg Deutschlands über Brasilien lassen mich kurz die anderen vergessen, in denen die Rede ist von "Blitzkrieg", "Exekutionen" und "Kampfmaschinen" - als wäre der Zweite Weltkrieg nicht zu Ende. Die martialische Sprache, mit der über Fußball geredet wird, ist zwar keine polnische Spezialität. Der Brite Simon Kuper schreibt in seinem Buch "Ajax, the Dutch, the War" über den Einfluss des Krieges und der Kriegspropaganda auf die Sprache der Sportkommentare. Es wäre an der Zeit, dies zu ändern, damit ein Gespräch über deutschen Fußball, den viele Polen aus ganzem Herzen bewundern, nicht zu einem Streit über Patriotismus gerät. Ich jedenfalls halte Deutschland am Sonntag die Daumen - auch dafür, dass es in Rio nicht regnet.

Agnieszka Kowaluk ist freie Journalistin und Literaturübersetzerin. Sie lebt in München.

© SZ vom 12./13.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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