Mein Deutschland:Im Engergiesparmodus

Ist das Klischee vom faulen Beamten überholt? Bei gewissen Tätigkeiten blühen die Staatsdiener jedenfalls auf.

Sascha Buchbinder

Früher waren mir Klischees ein Graus. Dann kam ich nach Berlin, genauer ins Führerscheinbüro des Landesamts für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten und stand mitten drin, im real existierenden Beamten-Klischee. Irgendwer hatte mich angerufen und mir nuschelnd mitgeteilt, dass mein europäischer Führerschein - nach vier Monaten Wartezeit - endlich fertig sei. Nun steh ich da, in dem tristen Gebäude vor einer abgewetzten Türe. Ich öffne sie und sehe vier Beamte, regungslos vor vier Monitoren. Erst geschieht nichts, dann ergreift die einzige Frau im Raum die Initiative.

Mein Deutschland: Das Bild vom faulen, bösartigen Beamten ist überholt.

Das Bild vom faulen, bösartigen Beamten ist überholt.

(Foto: Foto: dpa)

"Sie wollen?" "Ich komme, um meinen Führerschein abzuholen." "Sie wurden angeschrieben?" "Ich wurde angerufen." "Kann nicht sein. Wir rufen nicht an." Da mischt sich ihr Kollege ein. Er: "Doch, ich hab angerufen." Sie: "Angerufen?" Er schweigt. Sie: "Dann geh du!" Er: "Ich hab schon zwei gemacht. Geh du!" Sie: "Nein du!" Er: "Nein du!"

"Deutschlands Schicksal: vor dem Schalter zu stehen"

Die Frau erhebt sich tatsächlich und nähert sich. Langsam. Im Energiesparmodus. Als ich endlich das Büro mit meinem Führerschein verlassen habe, rast die Beamtin, plötzlich wieselflink, hinter mit her. "Hallo! Moment mal!" Eine letzte Überprüfung hat ergeben, dass auf meinem neuen Ausweis nicht vermerkt war, dass ich Brillenträger bin.

Der Ausweis war schneller wieder weg, als ich bis drei zählen konnte. Inzwischen kenne ich auch die wunderbar verdichtete Erklärung von Kurt Tucholsky: "Deutschlands Schicksal: vor dem Schalter zu stehen. Deutschlands Ideal: hinter dem Schalter zu sitzen." Trotzdem bin ich überzeugt: Das Bild vom faulen, bösartigen Beamten ist nicht mehr zeitgemäß.

Zum Beispiel die Polizisten. Tagtäglich widerlegen sie auf den Berliner Straßen das Klischee vom sturen preußischen Beamten. Da sitz ich an meinem Schreibtisch. Regierungsviertel, ein Haus mit hermetisch verschlossenen Fenstern, als eine Stimme donnert: "Es jibt ne Farbe, die heißt Rot!" Da erschrickt man, egal wie sicher und unbeobachtet man sich eben noch fühlte.

Lektion in Farbenkunde

Dann realisiere ich: Irgendwer hat ein Rotlicht missachtet. Aber statt den Verkehrssünder streng nach Vorschrift zu bestrafen, nutzt die Polizeistreife einfach den Lautsprecher auf ihrem Autodach für eine kleine Lektion in Farbenkunde. Da haben dann alle was von und es geht keine Zeit verloren, in der man mühsam aus dem klimatisierten Auto aussteigen und in der Sommersonne rumstehen muss.

Die Beobachtung zeigt: Wenn man Beamten etwas wirklich Sinnvolles zu tun gibt, dann blühen die regelrecht auf. Zu sehen beispielsweise bei der Feuerwehr: Großeinsatz in Berlin Friedrichshain. Drei mächtige Feuerwehrautos plus ein paar kleine Begleitfahrzeuge versperren die Straße. Ein Drehkorb wird ausgefahren, in Stellung gebracht. Zwei Feuerwehrmänner schreiten zum Einsatz.

Es gilt eine Katze zu retten, die sich aufs Fensterbrett der Nachbarwohnung verlaufen hat. Passanten bleiben stehen, die Fensterrahmen füllen sich mit Schaulustigen. Alle beobachten, wie die Männer konzentriert und mit großem Ernst das Kätzchen retten. Zwei starke Hände greifen zu, die Tür eines Katzenkäfigs schließt sich. Die Menge applaudiert - und der Retter, in seinem Korb schwebend, macht eine artige Verbeugung. Soll noch einmal jemand behaupten, Beamte seien dröge!

Vier Auslandskorrespondenten schreiben an dieser Stelle jeden Samstag über Deutschland. Sascha Buchbinder arbeitet für den Schweizer Tagesanzeiger.

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