Mein Deutschland:Heiligabend - ein Festtag in China

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In Deutschland werden die Straßen mit jeder Stunde leerer. In Peking bleibt niemand zu Hause.

Shi Ming

Es weihnachtet - oder nicht? Auf der Straße sieht man hie und da Weihnachtsbäume, aber nirgends eine Krippe. In Restaurants tragen junge Frauen Mützen, die sonst Weihnachtsmänner tragen. Sie verneigen sich vor Gästen und grüßen diese nicht mit "huanying guanglin" (herzlich Willkommen), sondern klangvoll auf Englisch "Merry Christmas" - mit unterschiedlichsten chinesischen Zungenschlägen. Es läutet keine Glocke von hohen Türmern, um die Mengen zum Gottesdienst am Heiligabend zu rufen. Dafür plärrt aus vielen Radios und CD-Players "Stille Nacht, Heilige Nacht!", in allen Sprachen - nur nicht auf Chinesisch.

Santa Claus-Figur neben der Xishiku Cathedral am Weihnachtstag in Beijing, China. Katholiken besuchen die Kirche während der Weihnachtsfeiertage , um der Geburt Christi zu gedenken. (Foto: dpa)

Mir sagt man, dass Weihnachten nirgendwo in der Welt begeisterter gefeiert wird als in Peking, meiner Heimatstadt, auch wenn in dieser Stadt Prozessionen und die Predigt christlicher Gruppen in der Öffentlichkeit verboten bleiben - Untergrund- oder Familienkirche, das ist der richtige Name für jene Gruppen, von denen ich in Deutschland nur lese, wenn jemand verhaftet oder polizeilich verhört wird. Davon, wie sie Weihnachten feiern, höre und lese ich fast nichts.

In China liest und hört man, jedenfalls von offiziösen Medien, auch (fast) nichts davon, was christlich ist. Dennoch verbreiten sich christliche Festtage wie Weihnachten oder Ostern unter den Städtern, genauso wie christliche Begriffe. Gewissenlose Unternehmer hätten "yuanzui" (Erbsünde). Diese bräuchten "jiushu" (Erlösung). Neuerdings versuchte sogar ein maoistischer Professor der Peking-Universität online den absurden Nachweis zu erbringen, Mao sei niemand anderer als der jüngere Bruder Jesu Christi, da Jesus am 24. Dezember, Mao zwei Tage später (26. Dezember, allerdings 1893) das Licht dieser Welt erblickt habe. Klar war die Allegorie: Wenn im Westen Jesus Christus der Retter der Welt sein soll, hätten Chinesen einen ebenbürtigen Erlöser, der auch noch mit dem christlichen verwandt sei.

Doch auf der Straße spürt man nichts von dem Einschleichen christlicher Allegorien in die chinesische Urbanität. Auf der Straße erfährt man auch nichts von den wenigen Unsichtbaren, die hin und wieder am eigenen Leibe erfahren müssen, was die Anbetung fremder Götter in China bedeuten kann. Nein. Auf der Straße zeugen wogende Massen schlicht davon, dass es weihnachtet.

Und es weihnachtet anders, als ich es hierzulande kenne. Hierzulande werden die Straßen mit jeder Stunde leerer, stiller... In Peking dagegen strömen die Mengen in Restaurants, Karaokebars und Cafés. Um dorthin zu gelangen, sorgen sie dafür, dass Autos und Busse von 15 bis 23 Uhr alle Ringstraßen vollstopfen. Auch die U-Bahnen sind voll. Gegen 16 Uhr geht dann nichts mehr. Die Stadt verwandelt sich in einen einzigen Parkplatz, wo Menschenmengen auf der Strecke bleiben, verwundert oder empört, warum ausgerechnet an diesem Festtag nichts mehr gehe.

Von der Selbstverständlichkeit dieses Festes überzeugte mich bei meinem jüngsten Weihnachtsbesuch in Peking eine junge Frau im Bus. Sie stand neben mir, schubste mich zur Seite, als ihr Handy klingelte - zur Melodie "O du Fröhliche". Als sich am anderen Ende der Verbindung jemand offenbar unwillig zeigte, den Tag als Festtag für China anzuerkennen, schrie sie kichernd in den Hörer, "Was? Du hockst noch zu Hause? Weißt du, was für ein Tag heute ist? 24. Dezember, Heiligabend! Da bleibt doch niemand zu Hause. Du Trottel!"

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Shi Ming ist freier Journalist und Publizist. Er lebt in Freiburg.

© SZ vom 24./25./26.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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