Süddeutsche Zeitung

Mein Deutschland:Ein Experiment

Die Kraft der Sprache im Film.

Kate Connolly

Es hat mich überrascht, dass ein britisch-australischer Film mit einem ziemlich abseitigen Thema in Deutschland ein Kassenschlager wurde: "The King's Speech" stand mehrere Wochen an der Spitze der Kino-Hitliste. Interessanterweise sind die Meinungen über die Gründe für den Erfolg in Deutschland geteilt. Einige Kritiker sagen, das deutsche Publikum interessiere sich für den historischen Zusammenhang - Großbritannien steht kurz vor dem Krieg mit dem Dritten Reich, als der Duke of York gezwungen ist, in die Fußstapfen seines Bruders Edward VIII. zu treten. Andere sagen, die Kinogänger seien eher an der Lebensgeschichte des Duke interessiert, der als frisch gekrönter König George VI. sein Stottern überwinden muss, um das Land zu führen.

Mein Kino vor Ort - ein kleines Programmkino am Ende meiner Straße - beschloss, aus "The King's Speech" ein Experiment zu machen, und zeigte den Film im Original mit Untertiteln. Als Engländerin war ich verständlicherweise entzückt. So musste ich Colin Firth oder Helena Bonham Carter nicht auf Deutsch sehen - zumal das Thema des Films die Kraft der Sprache ist. Englische Filme auf Deutsch zu sehen, hat mir oft Schmerzen zugefügt - außer zu der Zeit, als ich Deutsch lernte und in einer kleinen Stadt in Norddeutschland lebte, wo a) jegliche Unterhaltung willkommen war und b) mir Filme auf Deutsch halfen, meine Sprachkenntnisse zu schärfen.

Die Entscheidung meines Kinos bedeutete also für mich, dass ich erstmals in Deutschland einen englischsprachigen Film im Original sehen würde. Die Frau an der Kasse erklärte mir, das Publikum sei nicht sehr offen für solche "Experimente", aber die Geschäftsführung des Kinos hoffe, dass sie mehr Leute für die Idee gewinnen würde, wenn sie öfter Filme im Original zeige. Sie sprach wie die Geschäftsführerin eines Supermarktes, die versucht, Genfood ins Angebot zu nehmen. Ich fragte sie, ob sie den Erfolg des "Experiments" bereits beziffern könne. Sie sagte, ein älteres Paar, das den Film bereits auf Deutsch gesehen habe, habe nach der englischen Version endlich verstanden, warum der Film im März vier Oscars bekommen habe.

Die Besessenheit, mit der in Deutschland synchronisiert wird, hat mich immer fasziniert. Zweifellos hat es mit den Wünschen des Publikums zu tun, aber auch mit der hoch entwickelten Synchronsprecher-Industrie, der größten in Europa. Ich habe viel Zeit in anderen europäischen Ländern verbracht, wie zum Beispiel in Schweden oder der Slowakei, wo die Englischkenntnisse der jungen Leute sehr gut sind. Und das liegt auch daran, dass sie englische Filme grundsätzlich im Original sehen. Daher frage ich mich, ob es nicht ein Fehler ist, alles zu synchronisieren. Das deutsche Interesse an den einzelnen Sprachartisten, die Hollywood-Schauspielern ihre Stimme leihen, kennen wir nicht. Zum einen weil bei uns so wenige ausländische Filme gezeigt werden - was zugegebenermaßen auch ein Fehler ist. Aber wenn nicht-englische Filme zu sehen sind - zum Beispiel "Das Leben der Anderen" oder "Der Untergang" - dann zieht das britische Publikum die Original-Version mit Untertiteln vor. Die Kinobesucher meinen offenbar, durch die Synchronisation gehe dem Film etwas verloren.

Wie auch immer. Wir dachten, wir müssten die Tickets vorbestellen, weil der Andrang so groß sei, doch am Ende saßen wir nur zu viert im Kino. Ich fürchte, sie werden das "Experiment" nicht wiederholen.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Kate Connolly berichtet für den britischen Guardian aus Berlin.

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SZ vom 16./17.04.2011/ib
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