Mein Deutschland:Drei Monate Ferien

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100 Gramm Kognak in der ersten Arbeitswoche.

Andrey Kobyakov

Endlich Ferien! Endlich können sich Eltern und Kinder voneinander erholen! Die einen müssen nach der Arbeit nicht mehr die Hausaufgaben ihrer Sprösslinge nachprüfen, die anderen genießen in vollem Maße die Aufmerksamkeit ihrer liebevollen Omas und Opas. Wer Lust hat, kann täglich vormittags im Sportverein trainieren, und in den Schulgebäuden warten auf die kleinen Urlauber Interessenzirkel und Sportsektionen. Sie dürfen auch dort schlafen - wie im Ferienlager. Und die Lehrer kümmern sich um sie. Klingt merkwürdig? Ja, wenn man glaubt, dass es sich um Deutschland handelt. Es geht aber um Russland. Dort haben die Kinder zwar zurzeit nicht frei - die russischen Frühlingsferien waren schon im März. Aber bald ist ja Sommer, und das bedeutet: drei Monate Ferien!

Kinder der vierten Klasse einer Grundschule in Kaufbeuren jubeln mit ihren Zeugnissen in den Händen vor einer Tafel. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Deutschland und Russland sind, was die Ferienkultur anbelangt, völlig verschieden. So gibt es in den meisten russischen Kindergärten beispielsweise nur Sommerferien, weil Erwachsene eigentlich auch nur im Sommer Urlaub nehmen - und da generell gleich einen Monat. Die Kirche hat in Russland - geschichtlich bedingt - viel weniger Bedeutung als in Deutschland, dementsprechend gibt es auch keinen Zusammenhang zwischen religiösen Festtagen und Schulferien. Der einzige arbeitsfreie Festtag in Russland ist Weihnachten, der 7. Januar. Das orthodoxe Ostern, das in diesem Jahr mit dem katholischen zusammenfällt, gehört zu den Lieblingsfeiertagen der Russen - unabhängig davon, dass die große Mehrheit von ihnen ungläubig ist. Denn Ostern wird gesehen als Frühlingsfeiertag, als Zeichen des nahenden Sommers.

In Russland konzentriert sich alles auf die Sommerferien. "Wie kann man nur im Sommer lernen?!" Diesen erstaunten Ausruf hört man immer, wenn man in Russland über die deutschen Ferienzeiten erzählt. "Arme Kinder", schüttelt man dagegen hier den Kopf, wenn man erfährt, dass der Samstag in Russland ein ganz normaler Unterrichtstag ist. Die Frage, ob es sinnvoll ist, dass die "armen Kinder" dreimonatige Sommerschulferien haben, erörtert man in Russland schon seit langem - ohne neue Erkenntnisse. Denn die Haupturlaubszeit dort ist der Sommer, und den Urlaub innerhalb des Jahres zu teilen, wie hier, ist eher untypisch. Die Kinder werden dann in den Schulen betreut oder fahren zu den Großeltern. Nach drei Monaten ist das größte Problem allerdings, sie wieder an den Alltag zu gewöhnen. Daher gestalten die Lehrer die ersten Stunden nach den Ferien entspannt und spielerisch.

Erwachsene gehen mit dem sogenannten Posturlaubsstress anders um: Einer Umfrage zufolge kommt fast ein Drittel der Urlauber erst zwei oder drei Tage vor Arbeitsbeginn wieder nach Hause zurück. An den ersten Arbeitstagen meiden die Russen jede Überbelastung und gehen möglichst früh ins Bett. Einige nehmen Vitamine und Beruhigungsmittel. Als weitere Methoden nannten die Befragten 100 Gramm Kognak täglich in der ersten Arbeitswoche. Diese beginnen sie vorwiegend am Donnerstag oder Freitag - damit dann gleich wieder Wochenende ist.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland und ihr Heimatland. Andrey Kobyakov arbeitet in der russischen Redaktion der Deutschen Welle in Bonn.

© SZ vom 21./22.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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