Mein Deutschland:Die Deutschen kommen

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Ein Blick auf den Bahnhof Sobibór in Polen (Foto vom 01.12.2009). 1942 wurde hier ein deutsches Vernichtungslager errichtet, in dem nach Schätzungen bis zu 250.000 Juden in Gaskammern getötet wurden. (Foto: REUTERS)

Wie aus arroganten und provokanten Bemerkungen über Polen stille Teilnahme und Verständnis für Polen wurde.

Eine Kolumne von Agnieszka Kowaluk

Während einer Busfahrt am Bug entlang, dem wunderschönen Grenzfluss der EU, den wir tags zuvor auf einer Kanufahrt erkundet hatten, kam mir der Gedanke, dass ich gar nicht so viel über diese Gegend wüsste, wären die Deutschen nicht gewesen. Vor einigen Jahren verbrachte ich die zwei verregnetsten Maiwochen meines Lebens mit einer Gruppe junger Leute aus München in der Gegend von Sobibór. Vor der Abreise nach Polen hatten einige lange Gesichter gemacht, denn sie wären lieber nach Italien gefahren oder in die Türkei. Polen lag auf der Interessenskala deutlich weiter unten. Das konnte ich verstehen.

Die Warschauer Clubs, das spätabendliche Bummeln im Univiertel, das Herumhängen am Weichselufer - so hätten sie ihren ersten Abend auch in Barcelona, Ljubljana oder Stockholm verbringen können. Und dann kam der Osten, das Ende der Welt. Ich weiß nicht genau, wann es passierte, dass aus der Skepsis und den halb arroganten, halb provokanten Bemerkungen mancher Ausflügler über die EU-Subventionen für Polen aufmerksame Beobachtung wurde, stille Teilnahme, Verständnis.

Vielleicht fing es in Wlodawa an, dem einst multikulturellen Städtchen, mit den Geschichten der jungen Fremdenführerin zwischen der Synagoge und der russisch-orthodoxen Kirche, den alten heruntergekommenen Holzvillen und ehemaligen jüdischen Geschäften? Oder bei dem alten Mann in Józefów, der mitten im Wald auf eigene Faust ein Hausmuseum errichtet hatte, weil er die alten Haushaltsgegenstände seiner Großeltern nicht entsorgen, sondern allen zeigen wollte? In seiner Sammlung aus der untergegangenen Welt Polesiens bewahrte er auch ein Stück Stacheldraht aus dem Todeslager Sobibór auf und fand genau die richtigen Worte, um den jungen Deutschen davon zu erzählen, den ersten, die er in seinem Leben traf.

Vielleicht entstand das gegenseitige Verständnis auch in dem kleinen Lokal an der Grenze im Nirgendwo, wo die energische Besitzerin selbst Vegetarier und Veganer mühelos sattbekam, nur mit dem, was in ihrem Garten wuchs und ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Ich begleitete meine Deutschen und verstand mein Polen so gut wie selten.

Agnieszka Kowaluk berichtet unter anderem für die polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza.

© SZ vom 17./18.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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