Mein Deutschland:Der Preis der Normalität

Deutsche und Franzosen haben ihren Hass überwunden - den 65. Geburtstag des D-Day sollten die beiden Nationen dennoch nicht vergessen.

Pascale Hugues

Der 6. Juni ist, wie man im französischen Journalistenjargon sagt, ein marronier, ein Kastanienbaum. Ein Ereignis, das jedes Jahr wiederkehrt, wie die Blätter im Frühjahr. Heute feiert der D-Day seinen 65.Jahrestag und er interessiert nur noch eine Handvoll Veteranen, die letzten Überlebenden des Zweiten Weltkriegs, die sich an diesem Tag an die Tragödie ihrer Jugend erinnern werden. Nicolas Sarkozy, der erste französische Präsident, der nach dem Krieg geboren wurde, hat sogar "vergessen", Königin Elizabeth zu den Feierlichkeiten in der Normandie einzuladen.

Mein Deutschland: Am 6. Juni feiert der D-Day seinen 65.Jahrestag und interessiert nur noch eine Handvoll Veteranen.

Am 6. Juni feiert der D-Day seinen 65.Jahrestag und interessiert nur noch eine Handvoll Veteranen.

(Foto: Foto: dpa)

Man könnte fast denken, dass Frankreich den Krieg alleine gewonnen hat. Die jungen Leute werden im Fernsehen nur Reihen zitternder alter Herren sehen, Fahnen, Militärparaden, ein verstaubtes Folklore, ein Ritual, das ihnen nichts bedeutet. Zum Glück wird wenigstens Barack Obama ein wenig Vitalität und frisches Blut zu den Stränden der Normandie bringen.

Es ist schwierig, über die Bedeutung der Erinnerung an den D-Day zu sprechen, ohne wie ein Moralprediger zu wirken, der die Völkerfreundschaft beschwört, wie ein Gutmensch voller edler Absichten. Wer heute einen Schüler fragt, was der D-Day für ihn bedeutet, dürfte in leere Augen blicken. 1944, das ist für einen Jugendlichen schon Vorgeschichte.

Die Zeit vergeht, und mit ihr der Hass. Zum Glück. Doch vielleicht lohnt es sich doch zurückzublicken, vor allem an diesem Jahrestag. Dass Frankreich und Deutschland in Frieden leben, nach langen Jahrzehnten der blutigen Auseinandersetzungen, ist ein wahres Wunder. Als ich diese Woche im Nachlass meiner Großmutter kramte, fiel mir ein Buch mit Bildern in die Hände.

Da es vor 65 Jahren in Frankreich wenig zu essen gab, rauchten die Frauen, um den Hunger zu überlisten. Meine Großmutter fing das Rauchen unter der deutschen Besatzung an und sammelte die Bildchen, die den Zigarettenschachteln von Eckstein-Halphaus und Waldorf-Astoria beigelegt waren. Diese kleinen Bilder zeugen von den damaligen Großereignissen: Versailles, steht da, sei ein "schmachvolles Dokument", Lloyd George, Clemenceau und Wilson seien "feindliche Staatsmänner.

Wer in Bibliotheken in Zeitschriften von damals blättert, wer in Archiven recherchiert, wer die großen Reden der Generäle und Staatsmänner nachliest, wird dies- und jenseits des Rheins über zehntausende von Sätze stolpern, die brutalen Nationalismus ausdünsten. Schwülstige Sätze, die heute bestenfalls Empörung, vermutlich aber nur Schulterzucken oder Lachen hervorrufen würden, so sehr ist ihr Pathos aus der Mode gekommen.

Über die Klischees hinweg - der ernste, ordentliche Deutsche und der französische Hallodri und Lebemann - lässt sich heute keine Spur von Hass mehr finden. Dafür vielleicht zu viel Gleichgültigkeit, zu wenig Neugierde, ein blasiertes Gähnen angesichts der Bilder aus der Normandie heute Abend im Fernsehen.

Das ist wohl der Preis der Normalität.

Vier Berliner Auslandskorrespondenten schreiben an dieser Stelle jeden Samstag über Deutschland. Pascale Hugues arbeitet für das französische Nachrichtenmagazin Le Point.

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