Süddeutsche Zeitung

Mein Deutschland:Bunt bemalte Kisten und gestrickte Bettvorleger

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Warschau hatte nichts von dem Münchner Bullerbü-Charme.

Agnieszka Kowaluk

Für diesen Laden hätte ich während meines Studiums in Warschau alles gegeben: bunt, lustiges Design, originell und gemütlich - der Bullerbü-Charme aus München-Schwabing, etwas gehoben und etwas teuer. In meiner buchstäblich grauen Vergangenheit konnte ich in den frühmarktwirtschaftlichen Läden der polnischen Hauptstadt trotz der plötzlichen Fülle an Waren noch nicht viel kaufen: Alles war allzu zufällig, zu fremd. Für mein Studentenzimmer bastelte ich mir deswegen Bücherregale aus bunt bemalten Obstkisten, und den kleinen Bettvorleger hatte meine Oma mir aus Stoffresten gestrickt. Ich nähte mir lustige Röcke aus Baumwolle, und behauptete, dass ich Jeans langweilig finde, denn in Wahrheit hatte ich weder Ahnung, wo ich eine ordentliche Westjeans hernehmen konnte, noch Geld dafür.

Heute simulieren die hübschen Gebrauchsgegenstände und die Klamotten in der Haupteinkaufsstraße Schwabings ihre "Armut", ihr "Selbstgemacht-Sein" und ihre Schlichtheit in Opposition zur Glitzerwelt der großen Kaufhäuser. Bunt bemalte Kisten sind wieder in, gestrickte Bettdecken im Oma-Look und Baumwollkleidchen - für ein kleines Vermögen - auch. Warum freut mich das nur nicht? In meiner Gegend, wo hübsche Geschäfte in bevorzugt skandinavischem Design wie Pilze nach dem Regen aus dem Boden schießen, verschwinden ständig alte Läden, die früher die Substanz dieses Viertels ausmachten. Es findet ein lustiges Geschäftekarussell statt: Das Nagelstudio kommt dahin, wo früher eine Wäscherei war, ein cooler Friseur lässt sich in Räumen nieder, wo man belgische Pralinen kaufte, Sushi anstelle von Leberkäs-Semmeln. Ich bange inzwischen um meinen Strumpfladen und werde nostalgisch vor einer Metzgerauslage.

Neulich wäre ich beinahe wieder in die typische Nostalgie einer Ausländerin verfallen, die es hübsch und gemütlich haben muss, um ihr Dasein in der Fremde leichter zu finden, wäre da nicht der Artikel in der Süddeutschen Zeitung über die von NPD-Mitgliedern betriebenen Öko-Bauernhöfe gewesen. Ernüchternd, wie sie die eigene Verwurzelung mit einer Besessenheit auf das "Eigene" verwechseln, das Regionale mit dem Völkischen ("deutscher Honig" klingt in diesem Text auf einmal nicht so lecker wie sonst), Respekt vor der Natur mit Nationalismus, Slow-Food-Philosophie mit konservativem Denken. Tradition lässt sich leicht missbrauchen, und Althergebrachtes muss nicht automatisch Besseres bedeuten.

Und dann dachte ich wieder an Warschau. Wie würde es ohne die spektakulären Veränderungen der letzten Jahre aussehen? Ja, im Grau der vorkapitalistischen Ära, ohne bunte Werbetafeln und moderne Gebäude der Stararchitekten war die Stadt auch vital und liebenswert. Und Godards "Verändere nichts, damit alles anders wird" ist zwar ein guter Spruch, doch nicht für eine europäische Hauptstadt, die im Zweiten Weltkrieg zu 90 Prozent zerstört wurde.

Obwohl ich belgische Pralinen in der Münchner Hohenzollernstraße manchmal schmerzlich vermisse, so möchte ich doch in keinem Museum leben. Am Ende der Straße existiert neben dem neuen Computerladen eine tolle öffentliche Bibliothek. Und sie sehen nebeneinander ziemlich gut aus.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Agnieszka Kowaluk ist Journalistin und Literatur-Übersetzerin in München. Sie berichtet unter anderem für die polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza.

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Quelle:
SZ vom 25.04.2012
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