Mein Deutschland:Bühne der Globalisierung

Deutschland erscheint mancherorts als eine offene, plurale Gesellschaft. Doch das Bild täuscht.

Celal Özcan

Ein türkisches Sprichwort sagt: Nicht der kennt viel, der lange lebt, sondern derjenige, der viel reist. Unterwegs in Deutschland habe ich manchmal das Gefühl, ich durchreise die ganze Welt. Dieses Land ist eine Bühne der Globalisierung. Türkisch, Spanisch, Griechisch haben schon längst ein Heimatrecht.

Mein Deutschland: Deutschland ist reich, reich an Menschen aus vielen Ländern. Man muss das nur zu schätzen lernen.

Deutschland ist reich, reich an Menschen aus vielen Ländern. Man muss das nur zu schätzen lernen.

(Foto: Foto: ddp)

Im Nachtzug nach Moskau, zwischen München und Ingolstadt, beobachtet ich einen jungen Schwarzen vor seinem Laptop. Er telefoniert auf Deutsch, akzentfrei, mit sanfter Stimme. Er trägt eine auffällige, teure Armbanduhr und wirkt sportlich und smart. Auf dem Monitor seines Laptops erscheint ein großes Foto, das ihn mit einem weißen Mann zeigt; sie küssen sich. Jeder, der durch den Gang läuft, kann das Bild sehen. Aber das scheint ihn überhaupt nicht zu stören.

"Ich bin Deutsche, so wie Sie."

Ein türkischer Student, der mit einem Erasmus-Stipendium vier Monate in Ulm die Uni besucht, erzählt mir, er habe dort so viele Freundschaften geschlossen - mit Studenten aus Peru, Ecuador und Chile, aus Portugal und Spanien, aus Japan und Indien -, dass es ihm so vorkommt, als habe er in Deutschland die ganze Welt kennengelernt.

Deutschland - eine offene, plurale Gesellschaft? Das Bild täuscht. In Dörfern und Kleinstädten gewinnt man ganz andere Eindrücke. Eines Tages fahre ich von Tegernsee nach Wildbad Kreuth. Der Taxifahrer ist ein gesprächsfreudiger Rentner. Wildbad Kreuth, sagt er, sei früher ein Kurort gewesen, mit vielen Gästen aus dem zaristischen Russland. "Reiche Russen", sagt er. Auch jetzt kämen wieder viele Russen, doch die Einheimischen würden sie nicht mögen. "Aber mir sind diese Russen lieber als die Muslime." Peinliche Stille. "Wegen dem Fundamentalismus", fügt er entschuldigend hinzu.

In einem Laden unterhält sich ein Mann mit der Verkäuferin. Sie hat einen starken russischen Akzent. Der Mann fragt neugierig, woher sie komme. Die Frau reagiert empört: " Ich bin Deutsche, so wie Sie." Die Frau will nicht verraten, woher sie stammt. Sie fühlt sich als Deutsche, das genügt doch.

Auf dem Geburtstag eines Türken der dritten Generation, man spricht Deutsch, es sind viele deutsche Freunde da und die meisten Türkischstämmigen haben nur einen sehr begrenzten türkischen Wortschatz. Ich frage einen von ihnen, ob er sich jemals ausgegrenzt gefühlt habe. Im Kindergarten, sagt er. Sein bester Freund, ein Deutscher, habe zu seinem Geburtstag alle eingeladen, nur ihn nicht. Der Vater hatte gesagt: "Den Türken nicht". Zu Hause habe er seiner Mutter gesagt, er hasse sie, weil sie ihn als Türken geboren habe. Später sei er dann doch noch eingeladen worden.

Deutschland ist reich, reich an Menschen aus vielen Ländern. Man muss es nur zu schätzen lernen.

Vier Auslandskorrespondenten schreiben an dieser Stelle jeden Samstag über Deutschland. Celal Özcan arbeitet für die türkische Zeitung Hürriyet.

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