Mein Deutschland:Bitte nicht wegwerfen!

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In Polen wurde schon getrennt, da war das Wort "Recycling" noch gar nicht erfunden.

Agnieszka Kowaluk

Falls Sie sich fragen, was mit diesem angewelkten Feldsalat passiert ist, der gestern noch im Supermarktregal lag, oder mit den leicht eingedrückten Tomaten und besonders mit der aufgerissenen Kaffeepackung: Ich habe sie gekauft! Denn ich versuche gute Europäerin zu sein, möchte wie die Deutschen nachhaltig leben. Und während der polnische Außenminister in Berlin Vorschläge zur Rettung der EU ausbreitet, rette ich den Salat davor, weggeworfen zu werden.

Eine Frau hält in München (Oberbayern) auf der Messe "Ifat Entsorga", einer Fachmesse für die Wasser-, Abwasser-, Abfall- und Rohstoffwirtschaft, einen Würfel aus zusammengepressten PET-Flaschen in Händen. (Foto: dpa)

In Deutschland wird viel produziert, viel konsumiert und viel weggeworfen. Der in übergroßen Mengen bereitgestellte Schweinegrippeimpfstoff wird vernichtet. Elektroschrott wird nach Afrika geschickt und dort verbrannt. Kleine Kinder verscherbeln dann eine Handvoll Kupfer aus europäischen Computern, um ihr Mittagessen zu verdienen. Das mit den gebrauchten deutschen Autos wiederum gehört einerseits in den Bereich Humor (diese müden Witze über deutsche Autos, die noch vor ihren Besitzern nach Polen in den Urlaub fahren), führt aber andererseits zu dem eigentlichen Thema.

Die gebrauchten Autos werden nämlich von tüchtigen Polen gekauft, repariert und fahren weiterhin auf Polens Straßen. Auf manchen zumindest, denn die zahlreichen Staus in großen polnischen Städten werden mittlerweile hauptsächlich von neuen und teuren Wagen verursacht. Dass die Polen zur Zeit wie verrückt modernste und schickste Modelle kaufen, verriet mir kürzlich ein Mitarbeiter einer Münchner Autofabrik. Das nachhaltige Denken der Polen wird aufgewogen von dem jahrzehntelang erarbeiteten Nachholbedürfnis nach Neuem und Luxuriösem. So oder so gesehen sind die Polen vorbildliche Europäer.

Womit wir bei der EU wären - und dem welken Salat: Als Vertreterin Deutschlands neige in den Ferien zur Belehrung meiner polnischen Familie und Freunde, Glas, Papier und Plastik doch bitte zu trennen und den Biomüll zu entsorgen. Woraufhin meine ansonsten geduldige Mutter mich, die Nachhaltigkeitsexpertin, daran erinnert, dass in Polen Papier, Glas und Blechdosen schon gesondert gesammelt wurden, als das Wort "Recycling" noch gar nicht erfunden war. Ich weiß, wie es ist, in einer nicht vom Kapital und Konsum regierten Welt zu leben. Nicht schön. Einige in Deutschland sagen, die EU-Osterweiterung brachte die Krise. Andere behaupten, sie habe diese verzögert, denn seit der Erweiterung boomt der deutsche Export. Polen konsumieren viel und gerne. Aber muss auch ich jetzt immer nur das Neueste haben?

Ich, die Enkelin der besten Köchin Nord-, West- und Süd-Ost-Europas, der Oma, die so lange einen perfekten Blumenkohl auf dem Gemüsemarkt suchte, bis sie ihn fand - und dann gnadenlos um den Preis feilschte - esse heute in München Gemüse, das sie veranlasst hätte, dem Gemüsehändler zu raten, sich zu schämen und den Salat an sein Pferd zu verfuttern. Verzeih mir, Oma! Denn wir hatten damals vielleicht keine bunten Plastiktüten, aber wunderbare Tomaten. Die Gurken glänzten weder noch entsprachen sie der EU-Norm, und die Äpfel hatten Flecken. Aber alles verströmte ein Aroma, das ich heute vergeblich suche.

Geschenkpapier bastle ich übrigens bis heute aus alten Zeitungen. Die Werbungen berühmter Automarken auf Doppelseiten der deutschen Magazine haben eine unschlagbar schöne Grafik.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Agnieszka Kowaluk ist Journalistin und Literatur-Übersetzerin. Sie berichtet unter anderem für die polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza.

© SZ vom 03./04.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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