13. Januar 2009:"Casino-Kapitalismus"

SZ-Leser finden: Eigentum verpflichtet, es gibt Schlimmeres als TV-Duelle und es ist unheimlich nervig, wie in Deutschland ständig mit Steuern politisiert wird.

"Casino-Kapitalismus"

"Jeder Fehltritt ein Absturz", 8. Januar

13. Januar 2009: Lesermeinung: Kein Gezocke auf dem Arbeitsmarkt.

Lesermeinung: Kein Gezocke auf dem Arbeitsmarkt.

(Foto: Foto: dpa)

Eigentum verpflichtet - aber nicht zum Zocken

Nur wer zum Risiko bereit ist, könne auf Dauer Erfolg haben, schreibt Marc Beise. 100000 Mitarbeiter gingen unsicheren Zeiten entgegen, weil Adolf Merckle keine zweite Chance eingeräumt worden sei, und er trostlos auf den Bahngleisen endete. Unbeschadet der persönlichen Tragödie: Unsicheren Zeiten gehen 100000 Mitarbeiter deswegen entgegen, weil Merckle sich verzockt hat. Gezockt hat er nicht mit seinem Privatvermögen - was sein gutes Recht wäre - sondern mit seinen Unternehmen und damit mit 100000 Arbeitsplätzen. Ist das der Mut zum Risiko, den Beise fordert?

Wer wie Merckle Firmen kauft, die er nicht finanzieren kann, ruiniert damit Rentabilität und Zahlungsfähigkeit. Unüblich ist das leider nicht mehr, viele gesunde Unternehmen sind allein durch solche An- und Verkäufe schon in rote Zahlen geraten. In der Regel müssen die Arbeitnehmer die Kosten tragen durch verschärften Rationalisierungsdruck und Personalabbau - häufig auch durch Schließungen. Wohlgemerkt von Unternehmen, die vorher rentabel und wettbewerbsfähig waren.

Schulden in Höhe von zwölf Milliarden Euro hat Merckle Heidelberg-Cement aufgebürdet, um ein weiteres Unternehmen zuzukaufen. Zinsen und Tilgung dafür sollten jetzt zusätzlich erwirtschaftet werden. Das entspricht zwar der Wirtschaftsphilosophie von Hedge-Fonds, seriöses Unternehmertum, das eine zweite Chance verdient hätte, ist es aber nicht. Eigentum verpflichtet, meint - altmodisch? - das Grundgesetz. Es verpflichtet aber nicht zum Zocken.

Gerd Nies, München

"Casino-Kapitalismus"

"Jeder Fehltritt ein Absturz", 8. Januar

Mit Fehlern gelassen umgehen

Mit der Beschreibung des Zustandes unserer Fehlerkultur hat Marc Beise völlig recht. Sich heute hinzustellen und zu sagen: "Ich weiß es nicht" oder "Ich muss darüber nachdenken" oder "Ich habe einen Fehler gemacht" - undenkbar! Dies liegt insbesondere auch daran, dass uns von den sogenannten Eliten in zahllosen Gesprächsrunden vorgegaukelt wird, sie hätten das Patentrezept.

Schlimm ist, dass sich diese Entwicklung mittlerweile auf die einfachen Angestellten auswirkt. Die Angst, Fehler zu machen, dämpft die Bereitschaft, Risiken einzugehen und kreative (wenngleich manchmal auf den ersten Blick ungewöhnliche) Vorschläge zu machen. Gerade mit Blick auf den sich abzeichnenden Mangel an fachlich qualifizierten und kreativen Mitarbeitern kommt dem Verhalten der Führungskräfte diesbezüglich eine besondere Bedeutung zu, das allerdings in eine entsprechende Unternehmenskultur eingebettet sein muss. Es wäre sicherlich ein positives Ergebnis der gegenwärtigen Krise, gingen wir mit Fehlern künftig gelassener und menschlicher um.

Andreas Matschkus, Goslar

"Casino-Kapitalismus"

"Adolf Merckle begeht Selbstmord", 7. Januar

Kapitalismus mit menschlichem Antlitz

Der moderne Unternehmertyp jammert über zu niedrige Renditen, zu hohe Löhne und zu viel Arbeitnehmerrechte. Er sucht oft sein Heil in scheinbar rentableren, spekulativen Anlagemöglichkeiten wie Immobilien, Investmentfonds und Aktien, um ganz schnell reich zu werden. Deshalb ist der Unternehmer und Milliardär Adolf Merckle, der sich mit VW-Aktien verspekuliert hatte, nicht nur ein Opfer der Finanzkrise, sondern in erster Linie ein Opfer seines eigenen Strebens nach noch mehr Geld, Einfluss und Anerkennung.

Damit hat er sein Imperium und die Arbeitsplätze seiner von ihm abhängig beschäftigten und anvertrauten Menschen aufs Äußerste gefährdet. Denken wir daher besonders an die Menschen, die wegen der Finanzkrise und der Bankenwillkür ihren Arbeitsplatz und ihre Existenz verlieren. Wir müssen endlich weg vom Raubtier - und Casino-Kapitalismus. Wir brauchen einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz.

Roland Klose, Bad Fredeburg / Hochsauerland

"Casino-Kapitalismus"

"Tut bitte nicht so", 3./4. Januar

Es gibt Schlimmeres als TV-Duelle

Kandidaten-Duelle vermitteln wenigstens ein Quentchen politische Bildung. Standpunkte und Meinungen von Spitzenpolitikern werden hinterfragt und die Programme der Parteien werden wenigstens im Ansatz dargestellt. Das ist deutlich mehr an politischer und gesellschaftlicher Bildung, als jede Telenovela, jede Sex-and-Crime-Richter-Show an einem Fernsehnachmittag bieten.

Wenn jetzt Evelyn Roll in ihrem Essay fordert, das Mehrheitswahlrecht einzuführen, damit die politische Wahlrealität der Medien-Wahlrealität besser entspricht, dann wäre dies nichts anderes als ein Sieg der Medien über die Politik, frei nach dem Motto: Das Fernsehen bastelt sich die politische Landschaft zurecht. Was kommt als Nächstes? Casting-Shows für angehende Bundestagsabgeordnete? Wollen wir in dieser Richtung weitermachen? Nein!

Hat das Mehrheitswahlsystem tatsächlich die besseren Argumente auf seiner Seite? Beide Systeme, das Mehrheitswahlsystem und Verhältniswahlsystem, haben ihre Stärken und Schwächen.

Wäre eines der beiden Systeme dem jeweils anderen deutlich überlegen und wahltechnisch gesehen logischer, so hätte sich sicherlich in den stabilen Demokratien der Welt mittlerweile schon

ein Wahlsystem klar durchgesetzt. Wenn sonst nichts dagegen spricht, leben wir also weiterhin mit unserem Verhältniswahlsystem und genießen wir die TV-Duelle. Es gibt Schlimmeres im Fernsehen.

Anton Weber, Regensburg

"Casino-Kapitalismus"

"Tut bitte nicht so", 3./4. Januar

Meinungsvielfalt durch Verhältniswahlrecht

Welche Vorteile man im Mehrheitswahlrecht auch erkennen mag - klare Mehrheitsverhältnisse, übersichtlichere politische Landschaft, das Hervortreten starker Führungsfiguren - ein Argument steht den Anhängern dieses Systems nicht zur Verfügung: Dass nämlich ein solches Wahlsystem die "Politikverdrossenheit" zurückdrängen und die Wahlbeteiligung erhöhen würde. Da stehen die Verhältniswahlsysteme im internationalen Vergleich nicht schlechter da - eher etwas besser.

Verwunderlich ist das nicht, denn das Verhältniswahlrecht bietet nun einmal mehr Meinungen und Überzeugungen die Chance auf parlamentarische Präsenz als das personenfixierte Mehrheitswahlrecht. Auch das Duell McCain-Obama konnte mit 66,6 Prozent Wahlbeteiligung zwar einen neuen US-Nachkriegsrekord aufstellen, lag aber immer noch weit hinter dem Minusrekord von 77,7 Prozent bei der Wahl zum Deutschen Bundestag im Jahre 2005. Und dass die USA mit ihrem Präsidialsystem in den letzten Jahren besser regiert wurden als Deutschland (egal ob große Koalition oder Rot-Grün) wird wohl auch niemand ernsthaft behaupten wollen.

Markus Viellvoye, München

"Casino-Kapitalismus"

"Falsche Steuerversprechen", 3./4. Januar

Die Krankenschwester und ihre Steuern

Ich bin 37 Jahre und verdiene mit 66000 Euro jährlich brutto ganz gut. Mein durchschnittlicher Steuertarif liegt bei gut einem Drittel. Ich finde das absolut in Ordnung - und nicht wie im Kommentar kritisiert - unerträglich hoch. Ich nutze diesen Staat auf vielfältige Weise - von Straßen und Autobahnen über Bibliotheken und Theater bis zur hervorragenden Justiz und korruptionsfreien Polizei. Unerträglich nervig ist vielmehr, dass in Deutschland permanent mit dem Steuertarif Politik gemacht wird.

In derselben Ausgabe der SZ fordert der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer eine steuerliche Entlastung für die Dauerklischeefacharbeiterin Krankenschwester. Meine Lebensgefährtin ist Krankenschwester und verdient etwa 32000 Euro im Jahr. Eine Steuersenkung würde für sie 30 bis 50 Euro ausmachen. Also eine Tankfüllung. Viel wichtiger als 50 Euro mehr im Portemonnaie sind uns ein handlungsfähiger Staat mit guter Infrastruktur. Das würde nämlich zum Beispiel ein personell gut ausgestattetes Krankenhaus mit zufriedenen Mitarbeitern bedeuten.

Ralf Briese, Oldenburg

"Casino-Kapitalismus"

"Wir werden Schulden machen müssen", 6. Januar

Von der nächsten Generation geborgt

Die Diskussion um die neuen milliardenschwere Konjunkturprogramme lässt daran zweifeln, ob die politischen Entscheidungsträger die zukünftigen Herausforderungen erkannt haben und dagegen angehen wollen. Der Gasstreit mit Russland führt uns wieder vor Augen, wie abhängig unser Lebensstil von den beschränkten natürlichen Ressourcen ist. Aber anstatt die Zeichen der Zeit zu erkennen und zu sehen, dass wir unseren Lebensstil und unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in Zukunft nur stärken können, wenn wir in eine nachhaltige Nutzung der Ressourcen, wie erneuerbare Energieträger, investieren, verharrt die Politik primär in alten Lösungsmodellen.

Die derzeit diskutierten Maßnahmen können allenfalls kurzfristig helfen, jedoch fehlt zu einer langfristigen Verbesserung der Lage noch der politische Wille. Dieser wäre jedoch schon allein aus Gerechtigkeitsgründen angebracht, da die zukünftige Generation, von der die bis zu 50 Milliarden Euro geborgt sind, auch von diesem Geld profitieren sollte.

Ralf Bilke, Bayreuth

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