14. Januar 2009:"Ach, Morrison"

Die SZ-Leser wundern sich: Über einen, der sich nicht wehren kann, darüber, wieso manche Pillen schlucken, statt mit dem Arzt zu reden und über mysteriöse Provinzmärchen.

"Ach, Morrison"

"So superverfolgt und supergeheim", 10./11. Januar

14. Januar 2009: Wie wir und Jim Morrison die Welt gerettet haben...

Wie wir und Jim Morrison die Welt gerettet haben...

(Foto: Foto: AP)

Wie wir und Jim Morrison die Welt gerettet haben

Wie es 1970 wirklich war: Das ist ein großes Versprechen im Untertitel, bebildert mit Jim Morrison, der sich nicht mehr wehren kann. Da wird der Leser neugierig, noch dazu wenn er im selben Alter ist wie die Autorin, und vergisst, was er sich geschworen hatte: Die Diarrhöe der wirklich wahren 68er-Geschichten nicht mehr zur Kenntnis zu nehmen.

Es ist, liebe Weggefährten der Geburtsjahre 50 ff.,auf Dauer einfach zu nervend, und etwas peinlich obendrein, dass eine ganze Generation von Studiendirektorinnen, Internisten, Redakteurinnen und Unternehmensberatern auch jenseits der 55 einfach nicht davon lassen will, ihre pubertären Erweckungen als das Wehen des weltgeschichtlichen Mantels nachzuträumen. In weniger komfortablen Zeiten hatte man das mit 25 hinter sich.

Wir erzählen, aufgepeitscht von rasenden Talkshow-Moderatoren und der Renaissance der Vinylschallplatte, lieber zum hundertsten Mal unseren 28-jährigen Kindern, wie wir und Jim Morrison beinahe einmal die Welt gerettet hätten. Wenn wir Germanistik studiert haben, legen wir bei Eintritt der Altersdiabetes unweigerlich ein Werk über die ganz und gar wahre Geschichte unserer Jugend vor. Der Arbeitstitel lautet meist: "Ich, Mama und Papa". Warum wohl unsere Kinder etwas so Spannendes nicht lesen möchten?

Frau Lewitscharoff hat uns, wie so viele vor ihr, nun schon einmal einen Blick in das Schatzkästlein ihrer Erinnerungen tun lassen. Ach ja! War es wirklich so? Hatte das extrem frühreife Kind mit 15 Jahren Proust, Mann, Kafka, Joyce und Musil intus, fand es russisch aussehende dickliche Männer mit Körpergeruch eklig, entlarvte es auf dem Teppichboden in Degerloch die Spießigkeit der Weltrevolution?

Stellte es alsdann tatsächlich Hegel auf die Füße, schluckte es ein paar Drogen (ach, Morrison!), verzog es nach Berlin, wäre es fast einmal eine wirklich wahre Künstlerin geworden, verspürte es des Eros warmen Flügel, dekonstruierte es Heino, führte es mit 14 eine Psychoanalyse Kiesingers und Pasolinis durch? Kann das alles sein? Aber gewiss doch! Nichts ist unmöglich, sagt Joschka Fischer, und der war schließlich auch dabei, auf dem Teppichboden, und muss es daher wissen.

Natürlich mag es sein, dass all dieses Geschwätz gar nichts bedeutet, außer vielleicht für die Autorin und ihre zwei allerbesten Freundinnen. Das macht nichts, denn etwas muss ja gesagt werden, und warum dann nicht dies (ach, Warhol!)? Und wir können, falls wir wider Erwarten tatsächlich alt werden sollten, uns unsere Pubertätstagebücher immerhin später im Heim gegenseitig vorlesen. Dennoch, auch das muss hier einmal gesagt werden: Ich und Jimi Hendrix waren uns im Jahr 1970 einig, dass Prinzessinnen aus Degerloch an Nervigkeit nur schwer zu überbieten sind.

Prof. Dr. Thomas Fischer, Baden-Baden

"Ach, Morrison"

"So superverfolgt und supergeheim", 10./11. Januar

Die Gräuelmärchen von 1968

Wie groß muss die Angst vor den außerparlamentarischen Aktivitäten der 68er sein, dass immer wieder Schreiberlinge als "Zeitzeugen" vorgeschickt werden, Gräuelmärchen von 1968 aufzutischen? Jeder dieser selbsternannten 68er-Experten - Frau Lewitscharoff war 14 Jahre, Herr Aly kam im Spätherbst 1968 nach Berlin - ergeht sich in seiner damaligen aktiven Rolle als undemokratischer Krawallmacher und/oder dogmatischer Leninist-, Stalinist-, Trotzkistepigone.

Ihre autoritären Borniertheiten, über die sich schon damals 95 Prozent der 68er-Studenten ärgerten, versuchen sie heute diesen antiautoritären, radikaldemokratischen Studenten anzuhängen (siehe Götz Alys Buch "Unser Kampf"). Der Grund für die anhaltenden Denunzierungsversuche ist wohl das Bekenntnis dieser studentischen Mehrheit zur Realisierung egalitärer Demokratie und zum Ausbau des Sozialstaats. Diese Ziele jagen wohl den heute ideologisch, politisch und ökonomisch Herrschenden panische Angst ein, gerade nachdem das Desaster ihrer neoliberalen elitären Weltanschauung die Welt in Angst und Schrecken versetzt hat.

Dr. Günter Neubauer, Bonn

"Ach, Morrison"

"Mehr ist weniger", 10./11. Januar

Pillen schlucken statt mit dem Arzt reden

Übliches Ärztegejammer, denen geht es nur ums Geld, und dabei haben sie die Honorarreform selbst mit ausgehandelt - zu diesem Fazit könnte der Artikel von Nina von Hardenberg verleiten. Auch ich selbst komme mit der Aussage, 35 Prozent weniger Einkommen als im Vorjahr zu haben, zu Wort. Da entsteht leicht der Eindruck, nur meiner Praxis geht es so schlecht. Nach Angaben des bayerischen Vorsitzenden des Berufsverbandes der Nervenärzte, Dr. Gunther Carl, liegen aber bayernweit die Einbußen in dieser Größenordnung.

Ganz abgesehen davon, dass in nervenärztlichen Praxen nun auch Arbeitsplätze abgebaut werden: Viel gravierender sind die Folgen für die Patienten. Es werden nur noch psychiatrische Gespräche von insgesamt 30 Minuten in drei Monaten bezahlt. Damit können weder Depressionen leitliniengerecht behandelt (in den ersten vier Wochen wöchentlich Termine, dann zweiwöchentlich) noch überhaupt eine erste Untersuchung angemessen durchgeführt werden.

13,48 Euro für ein zehnminütiges fachpsychiatrisches Behandlungsgespräch, da lohnt sich ein Vergleich mit einem Friseurbesuch oder dem Autoservice. Eigentlich kann man sich gar nicht vorstellen, dass es wirklich politisch gewollt ist, bei mehr Honorar insgesamt ausgerechnet die sprechende Medizin weniger zu honorieren, wo doch bekannt sein dürfte, dass nahezu jeder zweite Bundesbürger im Laufe seines Lebens mindestens einmal an einer psychischen Störung erkrankt, fast ein Drittel der vorzeitigen Verrentungen mittlerweile aufgrund einer psychisch bedingten Erwerbsminderung erfolgt und der Krankenstand zwischen 1997 und 2004 insgesamt zurückging, dabei aber die psychisch bedingten Krankheitstage zum Teil um bis zu 70 Prozent gestiegen sind.

Nachdem nur noch fallweise gezahlt wird, muss man nun viele Fälle sammeln, also: den Einzelnen schneller abfertigen, dafür länger krank schreiben, weil man weniger oft den Genesungsprozess prüfen kann, eher ins Krankenhaus einweisen, da Krisen nicht mehr gut ambulant abgefangen werden können, insgesamt statt sprechen mehr schlucken, nämlich teure Medikamente. Das wird dann das Medikamentenbudget wieder gewaltig sprengen.

Beziehungsorientierte qualifizierte wohnortnahe fachärztliche Behandlung ade! Auf in die schöne Welt der fernen Ambulanzen, der Medizinischen Versorgungszentren, der vollen Wartezimmer und langen Wartezeiten, der wechselnden Bezugspersonen und Heilung suggerierenden High-Tech-Medizin. Falsch ist die Behauptung des Artikels, dass Psychiater nur noch mit Vorabkasse behandeln wollen. Niemand hat das bisher gefordert.

Dr. Andreas Meißner, München

"Ach, Morrison"

"Mehr ist weniger", 10./11. Januar

Es geht um mehr als um das Honorar

Alle Wähler sollten wissen, dass die seit 1. Januar 2009 geltenden Änderungen im Gesundheitswesen die Facharztversorgung in der Fläche, also insbesondere auf dem Land, reduzieren werden. Sollten die jetzt begonnenen Reformen im Sinne der Gleichmacherei nach der Wahl 2009 ihre Fortsetzung finden, werden die Fachgruppen der Kinder- und Jugendärzte, Kardiologen, Augenärzte, Hautärzte und Hals-Nasen-Ohrenärzte nur noch an Polikliniken und in Versorgungszentren zu finden sein, wie dies im 1989 überwunden geglaubten real existierenden Sozialismus der Fall war.

So bekommt jetzt ein Praktischer Arzt ohne spezielle Qualifikation für die Versorgung von Kindern- und Jugendlichen und für die Durchführung von Vorsorgeleistungen dasselbe oder, je nach Vertrag, sogar ein höheres Honorar als der eigentlich dafür qualifizierte Kinder- und Jugendarzt. Spezialisierte allergologisch tätige Ärzte etwa erhalten für die Hyposensibilisierungsbehandlung von Allergikern von jetzt an kein zusätzliches Honorar mehr, obwohl sie für die Behandlung dieser Patienten mehr und besser fortgebildetes Personal beschäftigen müssen.

Die spezialisierte Behandlung und Therapie in freier Praxis wird also faktisch abgeschafft und an zu schaffende "Zentren" verwiesen. Und dies gilt nicht nur für Patienten, die auf teure Geräte angewiesen sind! Für wirklich hilfebedürftige Patienten brechen also an den zukünftigen "Zentren" harte (Warte-) Zeiten an. Und dies gilt mit zeitlicher Verzögerung auch für Privatpatienten, da für diese zehn Prozent auf Dauer keine hochspezialisierte medizinische Infrastruktur auch in der Fläche vorgehalten werden kann.

Bei den Protesten der Fachärzte geht es also um mehr als nur ums Honorar. Es geht um den Erhalt einer hochwertigen medizinischen Versorgung der Bevölkerung in Deutschland durch qualifizierte Ärzte und weitergebildete, qualifizierte Helferinnen. Politik muss gestalten. Wer aber diese sozialistisch zu nennende Ausgestaltung des Gesundheitswesens nicht will, muss der gegenwärtigen Gesundheitspolitik im Herbst 2009 das Mandat entziehen.

Dr. Achim Timnik, Neusäß

"Ach, Morrison"

"Mehr ist weniger", 10./11. Januar

Verlierer der Reform sind die Patienten

Nicht nur Psychiater müssen Umsatzeinbußen von 25 bis 35 Prozent hinnehmen, sondern vor allem die Patienten mit seelischen Erkrankungen sind die Verlierer des Gesundheitsfonds. Ihnen wird die notwendige ambulante fachärztlich psychiatrische Behandlung vorenthalten, da je nach Bundesland mit dem vorhandenen "Budget" nur noch etwa 30 Minuten Gesprächsleistungen pro Quartal und Patient möglich sind.

Patienten, die in der psychiatrischen Facharztpraxis behandelt werden, haben jedoch einen hohen und oft auch akuten Behandlungs- das heißt Gesprächsbedarf. Schwergradig psychisch kranke Menschen haben keine Lobby und sind, da in der Behandlung zeitaufwändig, auch für den Hausarzt wenig "attraktiv". Verringert sich das ambulante Behandlungsangebot weiter, dadurch dass Psychiater sich aus der psychiatrischen Versorgung zurückziehen und nur noch sogenannte Richtlinienpsychotherapie anbieten, werden die Erfolge der Psychiatriereform mit der wohnortnahen, Klinik vermeidenden Versorgung zunichte gemacht.

Dr. Oliver Biniasch, Ingolstadt

"Ach, Morrison"

"Ausgeträumte Regionen", 7. Januar

Provinz ist nicht gleich Provinz

Hinnerk Schönemann stammt angeblich aus der Pregnitz. Nicht nur ein gebürtiger Mecklenburger wie ich fragt, wo das sein soll. Der Schauspieler gibt ein Dorf bei Plau am See als Heimatort an, in dem er sich kürzlich niedergelassen hat. Plau am See gehört zu Mecklenburg und dort in die Region der südlichen Mecklenburgischen Seenplatte. Die Prignitz (nicht Pregnitz) liegt südlich davon, in Brandenburg. Jerichow, der Ort, in dem der neue Film von Petzold spielt, liegt im Bundesland Sachsen-Anhalt nahe der Elbe zwischen Havelland und Havelscher Mark.

Für den Durchreisenden mag das alles gleich trostlos aussehen. Strukturelle und mentale Probleme ähneln sich. Aber wer näher hinsieht, merkt schnell: Provinz ist nicht gleich Provinz.

Dr. Matthias Rein, Pullach

"Ach, Morrison"

"Wahlkampfschlager gesucht", 10./11. Januar

Durchsichtiges Manöver eines Wahlkämpfers

Wieder einmal wird Europa in den Dienst kurzfristiger Parteiinteressen gestellt. Um ein populäres Wahlkampfthema zu haben, fabuliert Seehofer über nationale Volksabstimmungen zu EU-Fragen, ohne an die Notwendigkeit demokratischer Veränderungen innerhalb der EU zu denken. Politische Bürgerbewegungen, wie die Newropeans, setzen sich mit Nachdruck dafür ein, dass die europäischen Bürgerinnen und Bürger selbst die grundlegenden Weichenstellungen in der EU vornehmen.

Dazu zählen neben der Stärkung des EU-Parlaments auch Volksabstimmungen, die an einem Tag nach gleichen Regeln in der gesamten EU stattfinden. So werden europäische Fragen europäisch diskutiert und entschieden, ohne dass nationale Aspekte das Votum der Wähler verfälschen. Außerdem verhindert dies, dass Wahlkämpfer wichtige europäische Themen für Ihre Zwecke missbrauchen.

m Übrigen sei nationalen Politikern an dieser Stelle geraten, sich europäischen Themen mit dem nötigen Ernst zu widmen.

Thomas M. J. Kusch, Frankfurt a. Main

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