Hamburg/Berlin (dpa) - Ausgefallene Konzerte, immer wieder verschobene Tourneen, geschlossene Clubs, abgesagte Messen, wenige Arbeitsmöglichkeiten - der deutschen Veranstaltungsbranche geht es schlecht. Seit Ausbruch der Coronapandemie im März 2020 sind wie in kaum einer anderen Branche Gewinne weggebrochen und unzählige Arbeitsplätze haben sich mangels Beschäftigung quasi in Luft aufgelöst. „Die Lage ist mehr als angespannt nach 22 Monaten Corona“, sagte Timo Feuerbach, Geschäftsführer Europäischer Verband der Veranstaltungs-Centren (EVVC), am Donnerstag bei einem Online-Pressegespräch der wichtigsten Verbände der Veranstaltungswirtschaft.
Die Branche fordert deshalb übereinstimmend einen Sonderbeauftragten in der neuen Bundesregierung, der für sie ein offenes Ohr hat und vermitteln kann. „Wir brauchen dringend eine Beauftragte oder einen Beauftragten für die Veranstaltungswirtschaft im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Unsere Branche gehört zu den von Corona am schwersten betroffenen Wirtschaftszweigen. Umsatzeinbrüche von 75 bis 90 Prozent sind keine Seltenheit“, so Feuerbach.
Die Branche hatte vor Corona rund 1,1 Millionen Menschen beschäftigt und einen Direktumsatz von etwa 81 Milliarden Euro gemacht. Sie gilt damit als sechstgrößte Wirtschaftsbranche in Deutschland. „Also: Veranstaltungen sind ein großer Wirtschaftsfaktor, aber auch ein wichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft. Und das muss in Berlin mehr Berücksichtigung finden“. Das sei auch ein wichtiges Signal für alle Mitarbeiter und Unternehmen der Branche.
„Wir brauchen eine Einflussnahme und ein klares Ohr für das, was die Praxis braucht“, sagte Jens Michow, Präsident des Bundesverbandes der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft, dazu. Der Sonderbeauftragte soll dem Forum Veranstaltungswirtschaft zufolge zudem praxisnah dafür sorgen, dass langfristige Perspektiven und Planungen wieder möglich sind. Des Weiteren sollen auf die Branche zugeschnittene Sonderprogramme - auch aus EU-Mitteln - möglich gemacht werden und bundesweit einheitliche Vorgaben existieren. Eine Verlängerung der Staatshilfen bis Ende 2022 sei das Mindeste, besser noch wäre eine Fünf-Jahres-Planung bis 2028, so Axel Ballreich, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes der Musikspielstätten in Deutschland.
Wie schlecht die Stimmung bei den Unternehmen derzeit ist, zeigt auch eine Sonderauswertung des Geschäftsklima-Indexes des Ifo-Institutes. Der Index für die Branche habe im Oktober bei minus 26 gelegen, sagte Klaus Wohlrabe, der stellvertretende Leiter des Ifo-Zentrums dazu. Zum Vergleich: die deutsche Wirtschaft sortierte sich über alle Wirtschaftszweige hinweg bei plus 11 ein. Die Branche blicke damit ähnlich skeptisch in die Zukunft wie die Reise- und Tourismusbranche.
Zudem sei bei den Veranstaltern, Technikern, Managern und Künstlern nach dem leichten Höhenflug im Sommer und Frühherbst nun der Pessimismus zurückgekehrt. Seine Prognose für die Geschäftsklima-November-Zahlen, die nächste Woche veröffentlicht werden sollen: „Sie werden dramatisch schlecht ausfallen.“ Schon im Sommer hätten rund 70 Prozent der Veranstaltungsunternehmen zudem gesagt, dass sie sich in ihrer Existenz bedroht fühlen. Der deutsche Durchschnittswert lag da bei rund 20 Prozent.
Die Veranstaltungsbranche appellierte deshalb auch an die Musikfans, ihre bereits gekauften Tickets nicht zurückzugeben - vor allem, um die kleineren Veranstalter zu unterstützen und damit die Vielfalt des Kulturbetriebes zu erhalten. „Wer es sich leisten kann, der sollte sich das wirklich überlegen und die Karten einfach am Kühlschrank hängen lassen“, so Verbandspräsident Michow.
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