Die besten Blogs:Nachrichten-Netze an Syriens Grenze

Alle auf den Taksim-Platz!

Ausgewählt: Selçuk Caydi

Westerwelle ruft zur Besonnenheit im syrisch-tuerkischen Konflikt auf

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) ruft zur Besonnenheit im syrisch-türkischen Konflikt auf. Westerwelle  äußert sich am 4. Oktober 2012 in Berlin während eines Pressestatements vor Journalisten. Westerwelle warnt vor einer Verschärfung des syrisch-türkischen Grenzkonflikts. "Jetzt geht es um Deeskalation", sagte Westerwelle.

(Foto: dapd)

Nicht Agenturen, nicht Fernsehen oder Internetzeitungen, sondern ein 35 Jahre alter Informatiker irgendwo im südlichsten Zipfel der türkischen Landkarte berichtete in der Nacht zu Donnerstag über neue Schüsse an der türkisch-syrischen Grenze: "Türkische Kanonen schießen wieder zurück", lautete der Tweet. @SonCesaret schreibt aus dem Provinz Hatay, wo die meisten Flüchtlingslager der Exil-Syrer sind. @SonCesaret ist einer dieser entschlossenen Kriegsgegner, die sich mit der Türkei genauso verbunden fühlen wie mit Syrien. Als "Letzter Mut", wie sein Pseudonym übersetzt heißt, und seine Freunde merkten, wie dünn oder falsch über den syrischen Bürgerkrieg berichtet wird, fingen sie an zu twittern. Aus Freundschaften und Verwandtschaften auf beiden Seiten der Grenze entstanden spontane Netze. So erfuhr die Öffentlichkeit, dass die Türkei in diesem Krieg indirekt mitmischt und kein Unschuldsengel ist.

"Durch das Netz konnten wir vieles aufdecken", sagt @SonCesaret. Dafür brauchte man tatsächlich Mut. Er berichtete über islamistische Söldner und Al-Qaida-Leute unter den Rebellen. Ob die Türkei sie bewaffnet und ausbildet? Maya Naser, ein Freund von @SonCesaret, wurde in Nordsyrien Ziel eines Scharfschützen, weil er Antworten auf solche Fragen suchte. Der letzte Tweet des syrischen Fernsehjournalisten @nasermaya trägt sein Todesdatum: 26. September 2012.

Nicht nur brisante Informationen über Syrien, auch die Kommentare im Internet sprengen alle Klischees. Auch Foti Benlisoy lehnt es in seinem Blog fotibenlisoy.tumbir.com ab, Partei entweder für die Türkei oder für Syrien zu ergreifen. Der junge Istanbuler Grieche würdigt den Widerstand der Syrer gegen das totalitäre Regime von Baschar al-Assad, lehnt aber den islamistischen Fundamentalismus unter den Rebellen strikt ab. Benlisoy schreibt auch für diverse linke Medien. Er ist ein kühler Kopf in der schnell erregbaren Türkei. In wohl gesetztem Türkisch artikuliert er seine ausgefallenen Meinungen über die Syrienkrise. Benlisoys Tweet kam ebenfalls in der Nacht und rief zu einer Demonstration gegen den Krieg auf: Alle auf den Taksim-Platz! Am Donnerstagabend um 19 Uhr versammelten sich dann tatsächlich Tausende in Istanbuls Mitte, auch Blogger der Tageszeitung Milliyet , die täglich ihre gewagten Beiträge unter milliyetblog.com schreiben. Mehmet Ali Sirin, Hüseyin Seyfi und andere bieten türkischen Lesern im Netz kritischere Töne als in der Zeitung. Milliyet ist in der Bloggerszene einer der wenigen Anbieter in der türkischen Medienwelt. In der konservativen Türkei müssen sie Maß halten.

Für vernichtend scharfe Kritik sind Autoren wie Nihat Genc zuständig. Auf seiner vielbesuchten Facebook-Seite geht er den türkischen Premier Tayyip Erdogan und dessen Partei frontal an. Leute wie Genc waren es, die mit ihren Facebook-Seiten, Tweets und Blogs dafür sorgten, dass sich der weite Taksim-Platz mit Demonstranten füllte. Die Polizei, die sonst bei jedem Protest abschreckende Präsenz zeigt, war nicht da. Sie hatte wohl keine Blogs gelesen.

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