29. April 2009:Die Nerven liegen blank

Lesezeit: 3 min

Auf die Warnung folgt ein Schrei der Entrüstung: SZ-Leser diskutieren die Kritik an Gesine Schwan nach ihrer Warnung vor sozialen Unruhen.

"Gesine Schwan hat vor sozialen Unruhen gewarnt. Eine der Situation durchaus angemessene Warnung, voller Weitsicht, im Ton moderat und verantwortungsvoll vorgetragen. Reaktion: Ein Schrei der Entrüstung geht durch die Spitze der SPD. Warum eigentlich? Es ist, um es einmal etwas weniger moderat auszudrücken, nicht fünf vor zwölf. Es ist drei vor zwölf. Das muss auch von Sozialdemokraten eingesehen werden.

Erregt Kritik auch in der eigenen Partei: Gesine Schwan. (Foto: Foto: Stephan Rumpf)

Die SPD, wer das auch immer sein mag, ist gut beraten, sich jetzt schon argumentativ zu wappnen und über wirksame Maßnahmen zur Eindämmung des sozialen Unfriedens nachzudenken. Hat man in dieser Partei jede Verbindung zur Lebenswelt der Regierten verloren? Hat man nicht vernommen, dass und wie Herr Lafontaine mit dem Aufstand kokettiert? Herr Lafontaine zündelte, deutlich erkennbar. Zündeln führt in Deutschland aber nie zu etwas Gutem. Es endete bisher immer im Desaster."

Prof. Dr. Heinrich Dederichs Eitorf

Mitschuldig am Elend

"Fast möchte man das Verhalten der SPD-Oberen als unanständig bezeichnen, die Gesine Schwan erst die Präsidentenkandidatur angetragen haben und sich nun von ihr distanzieren, weil sie befürchten, die von ihr für möglich gehaltenen sozialen Unruhen könnten so herbeigeredet werden.

Nun, auch ohne Frau Schwans Äußerungen sind solche Unruhen - bei weiterer Verschlechterung der wirtschaftlichen und persönlichen Lage vieler Betroffener - durchaus vorstellbar und mit Recht würden die Menschen auf der Straße dann auch auf die Politiker als Mitschuldige für ihr Elend hinweisen, da diese, entgegen ihrem Amtseid - sich ums Wohl der Menschen dieser Republik zu bemühen - zuließen, dass Banker unverantwortliche Risiken eingingen, die letztlich zur jetzigen Misere führten."

Klaus Häusler Hamburg

Nerven liegen blank

"Man kann ja zu den Warnungen vor sozialen Unruhen stehen, wie man will. Aber die Reaktion darauf, in ihrer Schnelligkeit und Heftigkeit und auch, von welchen Personen die Reaktionen kamen, sagen sie nicht mehr aus als die Warnung selbst? Zeigen sie nicht, wie die Nerven blankliegen? Und liegt die heftige Reaktion der Parteien nicht auch daran, dass sie mit den Hartz-IV-Gesetzen die Angst der Menschen vor dem sozialen Abstieg bis weit in die Mitte der Gesellschaft getragen haben?

Es erinnert an das Verhalten, vor nicht langer Zeit, als der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, prognostizierte, dass die Wirtschaft um fünf Prozent sinken wird. Auch damals waren die Reaktionen ähnlich wie jetzt. Von Unverantwortlichkeit war die Rede, von Panikmache wurde gesprochen. Und jetzt ist die Situation, wie sie ist. Es darf nicht sein, was nicht sein darf. Man darf nichts dramatisieren, aber auch nichts verniedlichen. Es kann doch durchaus sein, dass die Lage eintritt, wenn die Finanz- und Wirtschaftskrise länger andauert und immer mehr Menschen von der Arbeitslosigkeit in Hartz IV abgleiten, in die Ausweglosigkeit. Die Geschichte ist doch voll von solchen Beispielen.

Aber einen positiven Aspekt kann man jetzt schon vermelden. Interessant ist doch bei den Reaktionen vor sozialen Unruhen, dass Personen, die den Begriff soziale Marktwirtschaft nur mit Widerwillen und Abscheu in den Mund genommen und eifrig an deren Abschaffung mitgearbeitet haben, diese jetzt über den grünen Klee loben und preisen. Und so vereinigt alle die Angst, die einen vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, die anderen vor dem Verlust der Macht."

Günter Kubo Würzburg

An der Schwelle zur Systemkrise "Wenn der DGB-Vorsitzende Michael Sommer und die Präsidentenkandidatin Gesine Schwan die Sorge äußern, dass die Finanzkrise eine Wirtschaftskrise mit Dimensionen nach sich zieht, die bei Nichtbewältigung soziale Unruhen auch in der Bundesrepublik nach sich ziehen kann, dann ist das nicht das Herbeireden von sozialen Unruhen.

Die kommen mit oder ohne solche Befürchtungen, wenn wir Millionen zusätzliche Arbeitslose bekommen sollten, wenn die Bürger durch Deflation oder Inflation hindurch müssten, wenn die dramatischen Folgen nicht gerecht bewältigt erscheinen. Das alles sind keine an den Haaren herbeigezogenen Angstpropaganda-Thesen, sondern Prognosen möglicher Entwicklungen aller möglichen Fachgremien und Fachleute. Das ist auch kein "Nach dem Munde der Linkspartei reden", denn die ist hier ebenso unwichtig wie jede andere Parteidimension.

Wir stehen vor einer erkennbaren Systemkrise und damit auch vor Systemfragen. Vielmehr geht es darum, sich Gedanken über die möglichen Auswirkungen jenseits des täglichen Reparaturbetriebes der Politik an den Kurzzeitfolgen des weltweiten Zockens zu machen. Da ist die Sorge um die gesellschaftlichen Grundlagen, um die Demokratie, um Gerechtigkeit der Folgenbewältigung auch damit ausdrückbar, dass man die Stabilität unserer Gesellschaft mit Sorge betrachtet. Nicht herbeigeredet, sondern angesprochen, das ist allemal besser als den Kopf in den Sand gesteckt oder alles in gewohnter Weise glattgeschwätzt."

Alfred Münch Olching

Auf Kosten unserer Kinder

"Herr Köhler hält die momentane Wirtschaftskrise für 'beherrschbar'. Aber auf wessen Kosten? Auf Kosten der Facharbeiter, welche nach einer Phase der Kurzarbeit trotz guter Ausbildung arbeitslos werden und in Hartz IV fallen? Auf Kosten der Geringverdiener ohne ausreichende Ausbildung, welche froh sein müssen, in den Firmen, die gestärkt aus der Krise hervorgehen, für noch weniger Lohn noch mehr arbeiten zu dürfen, und dabei um ihre Existenzgrundlage bangen?

Oder gar auf Kosten unserer Kinder, welche die finanziellen Folgen der steigenden Staatsverschuldung spüren werden? Sie werden die Kredit- und Zinslasten für die Verursacher der Krise bezahlen müssen, während die ihre Schulden in Bad Banks auslagern, ohne großen Schaden zu nehmen. So wird das 'Beherrschen' der Krise vor allem zu Lasten des kleinen Mannes gehen, während die Großen sogar noch davon profitieren."

Josef Gegenfurtner Schwabmünchen

© SZ vom 30.04.2009/sus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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