28. März 2009:Lichtjahre von Lessings Toleranz entfernt

Mottenkiste aus Kultur-Kampf-Zeiten oder Kuschelecke der Vernunft? SZ-Leser diskutieren über aktuelle Kritik an Kirche und Vatikan.

"Ich schätze Sonja Zekris Arbeiten sehr und finde die Verlautbarungen und Entscheidungen des Vatikans während der letzten Monate nicht glücklich. Aber Russell hat auch nichts weiter getan als alte Kamellen aufzuwärmen (Feuerbach, Marx, Nietzsche), die nicht nur für Kant-Leser rasch zu neutralisieren sind. Es ist Humbug, wenn Frau Zekri in Anlehnung an Russell schreibt: "In seiner Rede widerlegte er die Unsterblichkeit mit den Mitteln der Logik".

28. März 2009: SZ-Leser zu Lessings Toleranz und christlichem Glauben.

SZ-Leser zu Lessings Toleranz und christlichem Glauben.

(Foto: Foto: dpa)

Das ist bestenfalls rührender, eigentlich aber eher erschreckend Unfug. Schlimmer aber als diese philosophischen Fehlleistungen ist Zekris Polemik gegen Religion und Kirche, die an alte Kultur-Kampf-Zeiten aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erinnert. Sie greift tief in die Mottenkiste emotionalisierender Ressentiments und enthauptet damit ihren eigen quasi aufklärerischen Standpunkt. Wer sich Lichtjahre von Lessings Toleranzgeboten entfernt - der kann nicht ernst genommen werden."

Wolfgang Grüne Burgwedel

Zerstörte Würde

"Sonja Zekris atheistische Missionspredigt ist intellektuell so anregend wie die Lektüre der Bild-Zeitung von vorgestern. Der altbackene Rekurs auf atheistische Argumente des 19. Jahrhunderts wird nicht spannender, bloß weil er in der heute so weit verbreiteten defamatorischen Tonlage ausgesprochen wird.

Sie zieht sich in die Kuschelecke der Vernunft, Menschenwürde und Freiheit des Individuums zurück und unterschlägt dabei, dass diese Vorstellungen im Modell der Weltdeutung des atheistischen Materialismus unsinnig sind. Wenn es nämlich nur die Materie und keine sie transzendierende Realität gibt, dann kann die neuronale Aktivität, die in Frau Zekris Kopf beim Verfassen ihres Artikels ablief, nicht mehr wert sein als jeder andere beliebige biologische Prozess.

Wieso bitte sollte der von der blinden und ziellosen Evolution hervorgerülpste Materieklops Mensch mehr wert sein oder eine größere Würde besitzen als ein Hund oder ein Stein? Materie ist Materie und bleibt Materie, egal in welcher Erscheinungsform sie auftritt. Der Atheismus ist angetreten, um dem Menschen seine wahre Würde wiederzugeben und hat sie dabei zerstört. Die Gräueltaten der atheistischen Diktaturen sind dafür ein schrecklicher Beweis."

Matthias Mandl München

Hat der Mensch eine Wahl?

"Nach der Lektüre des erfrischenden Artikels bleibt mir nur eine Frage zum Titel: Ist es wirklich eine "Entscheidung", zwischen Gott und Gottlosigkeit zu wählen? Gewiss, es gibt rationale Begründungen für eine Hinwendung zu Heilslehren: So das Erleiden ständigen Elends oder die Unberechenbarkeit einer immer komplexeren Welt.

Doch reichen diese Einsichten auch den Bedrängten aus, Gott als "Hilfskonstruktion" zu erkennen? Um sich nach dieser Erkenntnis dann endlich zu entspannen und happy zu sein? Wenn das zuträfe, wäre Religion nur ein Repressionsmechanismus, den man, nachdem er durchschaut ist, loswerden könnte. Zwang ist aber nur eine Seite religiösen Erlebens.

Die andere ist Verbundenheit mit Denkstrukturen, die geistige Heimat sind von Geburt an. Können wir sie ändern? Und wären Glaube und Nicht-Glaube damit eine Frage des Willens? Die Antworten der Hirnforscher reichen nicht aus. Eine landläufige Beobachtung ist, dass manche Menschen an die Existenz abstrakter Ideen glauben, wie an Gott oder an das Gute oder das Gerechte. Und dass andere Menschen dagegen konkrete, messbare Dinge als Gegenstände ihres Denkens brauchen - und damit an einem abstrakten Gott zweifeln.

Ob diese Denkunterschiede eine materielle Entsprechung im Gehirn haben, wird vielleicht die Forschung zeigen. Doch wer auch immer diese Diversität im Denken erzeugt hat - die blinde selektierende Evolution oder der allwissende Gott - sie muss nützlich beziehungsweise gewollt gewesen sein: Beide Dispositionen haben überlebt. Damit ist ein Wechsel zur Gottlosigkeit - oder umgekehrt - wohl nur gegen innere Widerstände zu haben. Diese "Entscheidung" berührt ein Fundament in uns."

Dr. Eva Baumann Essen

Zwischen Ökonomie und Esoterik

"So scharf Frau Zekri die Anmaßung und Lebensferne katholischer Dogmatiker und das Geschäft monotheistischer Fundamentalisten ausleuchtet, welche diesseitig Elenden und Hoffenden jenseitige Seligkeit verkaufen, so weich zeichnet sie die alternative Szene derjenigen, die mit dem Ruf "Gott ist tot!" sich auf den Marsch in eine diesseitige Glückseligkeit begeben - als ob Bertrand Russells Vernunftgebot, von Fauligem nicht auf Besseres zu schließen, nur fürs Jenseits gälte: Hat folglich die Idee, der Befindlichkeit von Individuen eine Vorrangstellung einzuräumen, für die Summe der Individuen mehr Menschenwürde, unbedingt weniger subjektives und objektives Elend zum Ergebnis? Ist die Entfernung von religiösen, unverständlich gewordenen Geboten und Ritualen, ist die darüber gewonnene Freiheit zur individuellen Rahmensetzung auch für die Schwächeren, die weniger Cleveren, die Unmündigen ein Gewinn?

Dringt in die Brache, die eine entzauberte Kirche hinterlässt, anstelle einer dem Miteinander verpflichteten Vernunft nicht nun die Vernunft von Ökonomen, deren materielle Glücksversprechen nur andersgeartete Opiate sind? Und treibt schließlich die Entfernung von den Kirchen die Enttäuschten und Unaufklärbaren nun nicht in die Arme diffuser Esoteriker, hinein in ein Himmelreich der im Nirgendwo Schwebenden?"

Klaus Dieter Edler Hannover

Spuren in der Geschichte

"Bei so mancher Kritik an der Kirche, die ja wegen der fehlerhaften Menschen immer auch reformbedürftig ist, trifft ein Wort von Heinrich Böll zu, der ja ein großer Kirchenkritiker und politisch unbequemer Querdenker war, aber eine Lanze gebrochen hat für die christlichen Prinzipien, die Spuren in der Geschichte hinterlassen haben, indem er schreibt: "Selbst die aller schlechteste Welt würde ich der besten heidnischen vorziehen, weil es in der christlichen Welt Raum gibt für die, denen keine heidnische Welt je Räume gab: für Krüppel und Kranke, Alte und Schwache; und mehr noch als Raum gab es für sie, die der heidnischen wie der gottlosen Welt nutzlos erschienen und erscheinen. Der Grund dafür ist die Liebe. Ich glaube, dass eine Milliarde Christen auf dieser Erde das Antlitz der Erde verändern können."

Roman Jobst Starnberg

Vom Fundamentalismus durchdrungen

"Endlich wieder ein Artikel mit Profil! Immer noch finde ich, dass Atheisten jedweder Couleur in der SZ nicht hinreichend vertreten werden. In dem Artikel von fehlen mir jedoch zwei Gedanken: Die Verwunderung über die Äußerungen von Benedikt XVI. ist deshalb nicht erstaunlich, weil sie zeigt, wie stark unsere Republik immer noch von dem Fundamentalismus der katholischen Kirche durchdrungen ist. Erstaunlich ist aber auch wie schwach reformatorisches Gedankengut in unserer Gesellschaft vorhanden ist. Fürwahr, die Hoffnung bleibt: ein paar mehr Anregungen von solch eifrigen Gotteskriegern wie unserem Benedikt und die Chancen wachsen, das inhumane Christentum in seine Schranken zu verweisen."

Dr. Franz Seidl Schwäbisch Gmünd

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