22. Juni 2009:Belogen und betrogen

Lesezeit: 3 min

SZ-Leser diskutieren: Haben Ungarns Postkommunisten die Bevölkerung enttäuscht und den Demagogen in die Arme getrieben?

SZ-Leser schreiben zu Artikeln über Rechtsradikalismus in Osteuropa ( " Zu viel Braun im Osten", 12. Mai und " Unheil in Ungarn", 16. Mai):

In Budapest fordern Demonstranten immer wieder den Rücktritt der Regierung. (Foto: Foto: AP)

"Herr Brill erwähnt nicht, dass die Postkommunisten (MSzP), die sich Sozialisten nennen, die Bevölkerung mit ihrer Politik betrogen haben. Er erwähnt auch nicht, dass die Enttäuschung der Bevölkerung deshalb entstand, weil die sogenannten Liberalen (SzDSz) die Steigbügelhalterrolle zu einer Politik übernommen haben, die das durch den Westen als Klassenerster eingestufte Ungarn zum Klassenletzten befördert hat.

Es fehlt auch der Hinweis darauf, dass sich die neosozialistische Nomenklatura am Volkseigentum bereichert hat, welches vorher zum Teil durch die Verstaatlichung von Privateigentum gestohlen worden war. Man könnte noch die dem Machterhalt dienende Verschuldungspolitik Ungarns hinzufügen und den Ausverkauf sämtlicher Ressourcen, wodurch die Staatslasten zu den zweitgrößten in der EU zählen. Herr Brill erwähnt auch nicht, warum die Spannungen zwischen Ungarn und seinen Nachbarn entstanden sind. Nämlich durch die von westlichen Demokratien diktatorisch festgelegten und der ungarischen Nation aufgezwungenen Friedensdiktate und die damit einhergehenden Grenzziehungen.

Eine Lösung wäre sicherlich, mit den notwendigen Grenzkorrekturen nach ethnischen Gegebenheiten zu beginnen, damit wenigstens ein verfaulter Zahn des Geschichtsdiktats des Westens und der Siegermächte gezogen wird. Zumindest aber sollte die EU die Autonomieforderungen der von Ungarn abgetrennten Gebiete unterstützen, damit die Menschen dort - innerhalb der EU - nicht um ihre elementaren Rechte wie Sprache oder Schulen kämpfen müssen.

Die linksliberale Wirtschaftspolitik in Ungarn, die alles andere, nur nicht sozial war, ist gescheitert. Die Mehrheit der Bevölkerung profitiert nicht davon und Millionen leben in Armut, genauso wie im Osten Deutschlands. Diese verarmte Bevölkerungsschicht hat nicht das Gefühl, dass der Staat sich um sie kümmert. Im Gegenteil, der ungarische Staat war und ist offensichtlich nicht in der Lage, die notwendigen Reformen zu realisieren. Wie reagiert die Bevölkerung? Sie wendet sich den Demagogen zu, die es immer verstanden haben, das Volk aufzuhetzen."

Lazlo Köhler München

Sozialisten am Ende

"Die EU ist noch nicht die UdSSR, nur weil bei den landesfernen EU-Wahlen in Ungarn eine radikale Gruppe drei von 22 Mandaten erzielt hat. Das Niederknüppeln des politischen Gegners hat die 'Sozlib' Medgyessy-Gyurcsány-Bajnai- Regierung schon praktiziert. Es ist wohl eine gewisse Wende eingetreten: Die ungarische Bevölkerung ist nicht mehr bereit, die ungezielte Aggression des amoralischen Plünderers (man zähle nur die Unterschlagungen, Betrügereien und Bestechungen gar hochrangiger sogenannter sozialliberaler Politiker aus den letzten Regierungsperioden) hinzunehmen, die Hetze der einzelnen Ethnien gegeneinander zu akzeptieren, die Verunglimpfung nationaler Werte weiter zu akzeptieren, die ihr diese siebenjährige sogenannte sozialliberale Regierungsphase auferlegt hat!

Weil Sie es nicht erwähnen, sei ergänzungshalber hinzugefügt, dass bei den EU-Wahlen nur noch 500.000 'alte Genossen' den Sozialisten ihre Stimme gaben - von einem zehn Millionen Menschen zählenden Volk. Die SzDSz verschwand gänzlich von der politischen Bühne!"

Gabor Czibulas München

Mehrheitlich fremdenfeindlich

"Man kann nicht laut genug die Existenz des Rechtsradikalismus und der Magyar Garda beklagen. Aber warum erst heute, drei Jahre nach der Gründung? Schon 2006 hätte die europäische Öffentlichkeit laut aufschreien müssen, hätte der rechten Seite und besonders der Fidesz Konsequenzen aufzeigen müssen. Man kann aber die beiden großen Parteien nicht einander gleichsetzen.

Sie schreiben: 'Nährboden dieser Entwicklung ist der Hass, mit dem ... die Fidesz und die Sozialisten die politische Atmosphäre Ungarns vergiftet haben.' Es war und ist aber Viktor Orbán, der vor sieben Jahren, als er die Wahlen verlor, die Massen auf die Straßen trieb und gegen die Regierung hetzte. Als Anerkennung dafür wurde er bei den Europäischen Volksparteien zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Ich habe noch nie gehört, dass etwa die CDU/CSU oder Angela Merkel ihn wegen seiner Nähe zu Jobbik auch nur ganz leise kritisiert hätten. Man kann gespannt sein, wie die drei Abgeordneten der Jobbik nun im Europäischen Parlament behandelt werden.

Sie schreiben über die 'angebliche Unterdrückung auf fremden Boden'. Schauen Sie die Sprachgesetze in der Slowakei an, die neuesten Verwaltungsgesetze in Rumänien, dann werden Sie diese Unterdrückung belegt finden. Schauen Sie an, was die Regierung Fico mit Slota zusammen in Pressburg tut. Schauen Sie an, was die serbische Regierung vor Wahlen in der Wojwodina verspricht und was sie dann nachher davon hält.

Man muss nicht Falsches über die ungarische Gesellschaft schreiben, die Tatsachen sind schon traurig genug. Die Gesellschaft ist mehrheitlich nationalistisch, fremdenfeindlich, zigeuner-, juden- und schwulenfeindlich. Die Rechtsprechung ist auch zum Weinen. Was kann man von der Führung der Polizei erwarten, die bei der Ausbildung von einer Krisztina Morvai (Jobbik) an der Universität Vorlesungen im Strafrecht anhören muss?"

Yvan-Sylvester Nagy Berlin

© SZ vom 23.06.2009/sus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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