18. September 2009:Frage zur Jugendhilfe

Welche Maßnahmen helfen gegen gewalttätige Jugendliche wie die Schläger von München-Solln? Das war die Frage der vergangenen Woche. Hier sind Antworten der SZ-Leser.

Nach dem Tod eines couragierten Mannes in München-Solln, der Kinder vor gewalttätigen Jugendlichen schützen wollte, werden viele Rezepte gegen Jugendgewalt auf der Straße diskutiert - unter anderem längere Haftzeiten, Videoüberwachung, mehr Polizei. Welche Maßnahmen sind am wirkungsvollsten, um Übergriffe dieser Art zu verhindern?

18. September 2009: Wie kann eine solch schreckliche Gewalttat, wie sie sich am S-Bahnhof Solln in München ereignet hat, verhindert werden? SZ-Leser haben geantwortet.

Wie kann eine solch schreckliche Gewalttat, wie sie sich am S-Bahnhof Solln in München ereignet hat, verhindert werden? SZ-Leser haben geantwortet.

(Foto: Foto: ddp)

"Bei Übergriffen oder drohender Gefahr muss man Hilfe direkt beim Zugpersonal anfordern können. Zum Beispiel - nach Kölner Vorbild - durch einen Notknopf in jedem Waggon, der den Fahrer zwingt, im nächsten Bahnhof anzuhalten und nach dem Rechten zu sehen.

Das würde auch die übrigen Fahrgäste motivieren und potentielle Täter abschrecken. Die (wohl nur seltenen) Fahrplanverzögerungen dürften zu bewältigen und ein akzeptabler Preis für die generelle Erhöhung des Sicherheitsgefühls und die jederzeitige Hilfemöglichkeit sein."

Dr. Wolfgang Feldmann München

Polizeipräsenz verdoppeln

"Die Präsenz von Polizei und anderen Sicherheitskräften könnte doch sofort verdoppelt werden, wenn statt zu zweit einzeln gegangen (gefahren) würde. Im Vergleich zu dem couragierten Privatmann ist der Polizist außerdem neben seiner Ausbildung und Dienstkleidung auch gut bewaffnet."

Jürgen Schmücker München

Helfen statt Raushalten

"Ich habe einmal in einem ICE-Großraumwagen eine Frau gegen vier Betrunkene in Schutz genommen, während die übrigen Passagiere hinter ihren Zeitungen verschwunden sind. ,,Halten Sie sich da raus!'' hieß es damals seitens der Polizei. Aber das darf es nicht länger sein."

Horst Zobel Grünwald

Schwierige Sozialisation

"Was läuft schief in der Sozialisation der jungen Männer? Kann es sein, dass die nach wie vor am ,,Männlichkeitsdenken'' orientierte Erziehung Eigenschaften fördert, die in einer modernen Gesellschaft nicht mehr gebraucht werden und daher Frustrationen auslösen? Auch die Möglichkeit der Traumatisierung oder Verletzung dieser jungen Männer wird kaum benannt beziehungsweise von der Jugendhilfe beachtet."

Hannelore Güntner München

Mehr Streetworker statt immer neuer Sparpläne

"Die Stadt Fürstenfeldbruck hat aus Spargründen keine ,,Streetworker'' mehr. Dabei leisten diese einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung Jugendlicher in der Gesellschaft und gleichen manche Defizite in der heutigen Erziehung aus. Warum rufen angesichts solcher Kürzungen Politiker nach längeren Haftzeiten oder Videoüberwachung? Warum benennen sie nicht Jugendarbeitslosigkeit oder Migrationsprobleme?"

Friedrich Baernreuther Landshut

Harte Strafen nötig

"Bei diesen Intensivgewalttätern muss mit absolut harten und repressiven Mitteln gehandelt werden. Hier ist die Sozialarbeit und Psychologie am Ende. Alles andere ist Unfug und schädlich für eine liberale, offene und zivilisierte Gesellschaft. Wer die Würde und Integrität eines Menschen mit Füßen zertritt, hat jegliches Recht auf Verständnis oder gar Toleranz verloren."

Ulrich Chwalek Gars am Kamp, Österreich

Kinder brauchen Grenzen

"Wann finden wir zurück zu der Erkenntnis, dass Kinder neben Liebe und Verständnis auch nach Grenzen verlangen? Regeln, deren Übertreten mit Konsequenzen verbunden ist. Konsequent zu sein kostet indes Kraft und Mühen und verlangt nach Autorität, die wiederum muss sich erarbeitet und verdient werden. Freilich: Der totale Verrat von Autorität gebiert Monster."

Martin Steger Nürnberg

Training von Konflikt-Kompetenz

"Das, was in unserer Gesellschaft ,,etwas wert ist'', muss Menschen frühzeitig erlebbar und fühlbar gemacht werden. Kompetenzen mit Konflikten umzugehen, müssen bereits im Kindergarten trainiert werden. Unserer praktischen Erfahrung nach schon lange keine Frage mehr des ,,ob''."

Dr. Bernd Güdter Fürstenberg

Mangel an Empathie

"Gewaltverherrlichende Spiele, Filme und eine Identifikation mit den darin auftretenden Personen (täglich oft über viele Stunden) sind für viele Jugendliche oft eine Möglichkeit, ihre Aggressionen auszuleben oder sie erst recht ,,zu schüren''. Als Erzieherin in einer Kindertagesstätte kann ich diese Tendenzen beobachten. Auch ein Mangel an Empathie ist vermehrt zu spüren, deshalb gibt es inzwischen Gewaltpräventions-Programme wie ,,Faustlos'' für Kindergärten und Schulen. In erster Linie wünsche ich mir ein striktes Verbot von Gewaltdarstellungen in den Medien."

Brigitte Kehrle Garching bei München

Abfärbende Wirkung

''Jeden Abend um 20 Uhr 15 kann man sich auf einem anderen Privatsender bis ins kleinste Detail anschauen, wie Menschen massakriert und umgebracht werden, wie man mit Gewalt als Mittel zum Zweck seine Ziele erreichen kann. Dieses Mosaik bildet ab, wie sich unsere Gesellschaft entwickelt. Es färbt ab. Welche Wirkung hätte es für mich als Jugendlichen gehabt, jeden Abend im Fernsehen anzusehen, wie Menschen auf dem Boden gegen den Kopf getreten wird? Einer von vielen kann nicht mehr differenzieren und macht es nach.''

Christoph Völker Germering

Im Namen des Volkes

''Einen Tag vor der tödlichen Attacke berichtete die SZ über das Urteil gegen den Studenten Sven G., der - weil er gegen Schläger sein Messer eingesetzt hatte - ,,sein Notwehrrecht eindeutig überschritten habe'' und deshalb zu mehrjähriger Haft verurteilt worden ist. Man stelle sich vor, der Ermordete hätte sich mit seinem Taschenmesser wehren können, hat sich aber lieber totschlagen lassen, um nicht statt als Opfer als Täter dazustehen und im Namen des Volkes zu vier Jahren Knast verurteilt zu werden.''

Hans Scheuring Zorneding

Es gibt keine einfachen Lösungen

''Wir sind eine Klasse an der Bayerischen Landesschule für Körperbehinderte - 14 Jungs, alle zwischen 15 und 16 Jahre alt. Der grausame Mord durch Gleichaltrige hat uns - zusammen mit unserer Lehrerin Claudia Herwegh - sehr beschäftigt, doch in der Diskussion ist uns bald klar geworden, dass es keine einfache Lösung geben kann.

Viele waren dafür, durch den Einsatz von Überwachungskameras, Polizei und Sicherheitsleuten in den Zügen und auf den Bahnhöfen mehr Sicherheit zu schaffen, aber gleichzeitig stellen wir uns auch die Frage, wer das dann bezahlen soll? Bestimmt müssten auch Eltern verhindern, dass ihre Kinder Gewaltspiele spielen oder gewalttätige Filme ansehen. Aber wie soll das gelingen?

Wir sind uns alle sicher, dass unsere Eltern keine Chance hätten, uns daran zu hindern, Gewaltspiele zu spielen oder solche Filme anzuschauen, wenn wir das wollten. Es gibt keine absolute Kontrolle! Das gilt auch für die Erhöhung von Altersbeschränkungen - dann kauft mir das Spiel eben ein älterer Kumpel.

Und wenn man einfach weniger Gewalt zeigen würde? Aber was ist eigentlich Gewalt im Spiel oder Film? Sind PC-Spiele, mit denen schon Sechsjährige mittelalterliche Schlachten nachspielen können, Strategie- oder Gewaltspiele? Muss bei Gewaltdarstellungen immer Blut spritzen?

Bedeutet Gewalt immer das Töten von Menschen? Sind dann nicht auch alle Kampfsportarten Anleitungen zum Gewalttätigsein, auch mit Karate kann ich einen Menschen töten! Vielleicht sind Gewaltspiele aber auch eine Möglichkeit, Erfahrungen mit dem Tod zu machen, die man in der echten Welt nicht mehr machen kann?

Wir finden es sehr schwierig, den einen Auslöser für Gewalt zu finden und damit auch eine Lösung zu benennen, die Gewaltausbrüche verhindern könnte. Manchem hilft ein Egoshooter bestimmt, von eigenen Aggressionen runter zu kommen. Sicher vor sich selbst und der eigenen Gewalttätigkeit ist nur, wer Selbstbeherrschung gelernt hat, wer unterscheiden kann zwischen Spiel und Wirklichkeit. Das ist schwer und Jugendliche brauchen dabei Unterstützung, durch Eltern und Lehrer. Denn es hängt einfach alles mit allem zusammen! Nur wenn von allen Seiten daran gearbeitet wird, kriegt man das Problem unter Kontrolle.''

Klasse 8/9 b Bayerische Landesschule für Körperbehinderte München

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