17. Juni 2009:Die überforderte SPD-Spitze

Der Generalsekretär und der Vizekanzler als Retter? SZ-Leser diskutieren, ob Müntefering und Steinmeier die SPD aus der Krise führen können.

Zum Thema SPD ("Gründlich verspekuliert, 9. Juni, "Denken wie Habermas, kämpfen wie Schröder", 13./14. Juni, und "Ein bisschen Voodoo für die Seele", 15. Juni) schreiben Leser:

17. Juni 2009: In der Diskussion: Können Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier die SPD aus der Krise führen?

In der Diskussion: Können Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier die SPD aus der Krise führen?

(Foto: Foto: dpa)

"Franz Müntefering war ein hervorragender Generalsekretär, unter dessen Regie die SPD erfolgreiche Wahlkämpfe führte. Ohne ihn und seine geschickte Strategie im Hintergrund wäre Gerhard Schröder niemals Bundeskanzler geworden. Als Parteivorsitzender hat er aber weder unter Schröder als SPD-Kanzler noch danach eine überzeugende Rolle darzustellen vermocht. Erinnern wir uns an seinen unüberlegten Rücktritt als Vorsitzender, weil ein Parteitag nicht seinen Wunschkandidaten zum Generalsekretär zu wählen bereit war. Das erinnerte doch fatal an Lafontaines Verhalten zu Beginn der rot-grünen Koalition. Erinnern wir uns an sein Verhalten in der Zeit des Parteivorsitzenden Beck, das nicht gerade von überzeugender Loyalität geprägt war. Erinnern wir uns an seine Rolle bei der Kandidatur von Gesine Schwan für das Amt des Bundespräsidenten. Wer eine Partei in einer Koalition mit CDU und CSU führt, hätte diese Gegenkandidatur verhindern müssen - alleine schon deshalb, weil die Erfolglosigkeit dieses Unterfangens voraussehbar war.

Und Frank-Walter Steinmeier? Auch er hat unter Schröder bestens funktioniert. Und er gibt einen respektablen Vizekanzler ab. Aber denken wie Habermas und kämpfen wie Schröder, formulieren wie Eppler und karikieren wie Staeck ist wohl ein wenig zuviel verlangt. Aber es gab bei den Sozialdemokraten schon Kanzlerkandidaten, die einige dieser Begabungen einbrachten und damit überzeugten. Nur wurden sie alle nicht vorher protegiert, sondern hatten sich ihre Führungsrolle in der SPD erkämpfen müssen. Das kann der Kanzlerkandidat Steinmeier nun wahrlich nicht von sich behaupten. Und so wirkt er auch."

Waldemar Hirsch Heidenheim

Politik gegen die Mehrheit

"Die Ratlosigkeit der SPD- Parteiführung angesichts des miserablen Europawahlergebnisses scheint auf der Vergesslichkeit der Schröder-Entourage zu beruhen. Die Hoffnung dieser Spitzengenossen, die Arbeitnehmer und die Empfänger von Lohnersatzleistungen, also drei Viertel der Wahlberechtigten könnten ebenso vergesslich sein, hat sich nicht erfüllt. Eine grobe Analyse der Politik der Parteiführung kann nur zu dem Ergebnis gelangen, dass diese Politik in den letzten zehn Jahren gegen die große Mehrheit der Bevölkerung gerichtet war.

Die Ermäßigung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommenssteuer - wohl ein Herzenswunsch der Abgeordneten -, der Krieg gegen Serbien, die Abschaffung der Besteuerung der Firmenveräußerugen - Einfallstor für Münterferings 'Heuschrecken' -, all dies war von der Mehrheit der Bevölkerung zu bezahlen. Bitterer noch ist die Feinanalyse etwa der Tätigkeit der beiden Justizministerinnen. Nahezu alle Justizgesetze, gegen fachwissenschaftlichen Rat durchgesetzt, dazu die Änderungen im BGB und in Sonderheit im Familienrecht, waren gegen die Interessen von Arbeitnehmern und Lohnsersatzempfängern gerichtet.

Erwähnt sei nur die Erhöhung der gesetzlichen Zinsen. All diese Maßnahmen haben die sozialen Benachteiligungen von Arbeitnehmern und Lohnersatzempfängern verstärkt. Darüber täuschen auch die scheppernden Phrasen des Genossen Müntefering nicht hinweg. Mit dieser Parteiführung wird der Stimmanteil bei der Bundestagswahl 25 Prozent nicht erreichen, die Vertreibung von Kurt Beck von der Parteiführung wird sich daher nicht auszahlen."

Reiner Plorin Hamburg

Auch die Union hat Stimmen verloren

"Man muss die SPD nicht mögen, um den Kampagnenjournalismus, dem diese Partei derzeit ausgesetzt ist, als unerträglich zu empfinden. Was ist geschehen: Bei der Wahl zum Europäischen Parlament hat die SPD 0,7 Prozentpunkte an Stimmen verloren, die CDU/CSU aber 6,7 Prozentpunkte. In Sitzen bedeutet das für die SPD nach Angaben der Süddeutschen Zeitung keine Veränderung bei der SPD und ein Einbuße von sieben Sitzen bei CDU/CSU.

Daraus wird nun allenthalben ein 'Debakel' der SPD. Fakt ist aber, dass beide Koalitionsparteien Wählerstimmen verloren haben - und zwar in Prozentwerten die SPD drei, die CDU/CSU fünfmal so viel, nämlich 15 Prozent. Wenn die SZ daraus quer durch das ganze Blatt ein 'Debakel' oder eine 'dramatische Niederlage' der Sozialdemokraten macht, dann grenzt das an Nachrichtenfälschung. Jedenfalls wird so - gewollt oder ungewollt - üble Meinungsmache betrieben."

Wolfgang Schimmel Ammerbuch

Verrat an den Arbeitnehmern

"Die Führenden der SPD sind irgendwie blöd. Die wollen immer noch nicht wahr haben, was der karrieregeile Schröder mit der SPD angerichtet hat. Ich habe Jahrzehnte lang SPD gewählt. Den Verrat, den Schröder an Arbeitnehmern und sozial Schwachen getrieben hat, werde ich nie vergessen und nie mehr SPD wählen. So denken eben viele."

Paul Insterburg Augsburg

Schluss mit der Leisetreterei

"Nico Fried schreibt: '...dieses ziegenbockhafte, ein wenig dreckige Lachen Steinmeiers...' Mit dieser persönlichen Verunglimpfung relativiert er subkutan die anschließend gequält positive Kommentierung von Steinmeiers Rede beim SPD-Parteitag vom vergangenen Sonntag. Oder an anderer Stelle über Wieczorek-Zeul: '...dass die Ideologie, die sie mit ihrem Applaus verteufelt, zumindest nicht die war, die in den letzten elf Jahren in Deutschland regiert hat.'

Doch, genau diese Ideologie des 'der Markt regelt alles - wenn man ihn nur lässt' hat regiert! Und hat uns in den Schlamassel am Finanzmarkt und jetzt auch in der Wirtschaft geführt! Dieses Gedrängel, man müsse auch die Finanzmärkte völlig liberalisieren, um nicht hinter den großen Finanzmärkten dieser Welt zurück zu fallen. Dieser Ehrgeiz unfähiger Politiker, den überheblichen Wirtschaftsbossen endlich auch einmal zu zeigen, dass sie etwas von Wirtschaft verstehen! Mit dem Resultat eines kompletten Fiaskos der Landesbanken. Alle wollten doch dazugehören zu dieser Welt 'mein Haus, mein Pferd, mein Auto....' getarnt als angeblich objektiver Zwang zur Globalisierung, geprägt von überheblichen Managern angelsächsischer Prägung.

Dazu gehören wollten sowieso die Stoibers und Westerwelles dieser Welt. Leider ließen sich jedoch auch die Politiker der SPD durch CDU und FDP vor sich her treiben wie auch die sekundierende, meinungsprägende Welt der Wirtschaftsjournalisten. Wäre es nicht angebracht, hier dem Niveau der SZ entsprechend mal einen sehr selbstkritischen Artikel zu schreiben? Statt dieser 'wohl oder übel, müssen wir ja wohl mal...'-Berichterstattung über jüngste Entwicklungen innerhalb der SPD? Ich bin jedenfalls dankbar, dass von Steinmeier endlich die Zeit der Leisetreterei beendet wird. Er hat doch auch recht, was das Führungsverhalten von Merkel betrifft. Was stammt denn als Idee oder Know-how originär von ihr? 'Abwarten, abgucken und dann draufsetzen' ist genau ihr Stil."

Jutta Wirth München

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