16. Februar 2009:Das Leben nach der Diagnose

Lesezeit: 5 min

Auch Menschen mit Demenz können offensiv und bewusst mit ihrer Krankheit umgehen, schreiben SZ-Leser.

"Die heikle Diagnose", 11. Februar 2009

Eine Alzheimer Patientin bei Gedächtnisübungen. (Foto: Foto: dpa)

Es gibt ein Leben nach der Diagnose

"So fasst ein Betroffener seine Erfahrungen ein Jahr nach der Diagnosestellung Alzheimer Demenz zusammen. Natürlich ist die Diagnose einer Alzheimer Demenz für Erkrankte im frühen Stadium und deren Angehörige zumeist ein Schock und wird individuell sehr unterschiedlich erlebt.

Wenn man jedoch rechtzeitig von seiner Diagnose erfährt, eröffnet es einem selbst die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit der Erkrankung und zur Ausgestaltung der eigenen Zukunft. Das entspricht auch dem Wunsch vieler Betroffener, wie wir im Rahmen eines speziellen Seminarangebots für Erkrankte im frühen Stadium erfahren haben: 'Ich wollte Bescheid wissen, nicht die Augen zumachen', formulierte es eine erkrankteTeilnehmerin.

Die Mitteilung der Diagnose Alzheimer Demenz fällt Ärzten angesichts der fehlenden Heilungsaussichten verständlicherweise schwer. Unseres Erachtens kann es nicht im Ermessen des Arztes allein liegen, ob ein Mensch mit einer Demenzerkrankung von seiner Diagnose erfährt oder nicht und ihm dadurch Chancen zur selbstbestimmten Zukunftsplanung verwehrt werden.

Das Recht auf ein Nicht-Wissen-Wollen kann nur der Betroffene selbst für sich beanspruchen, nicht jedoch ein Arzt. Grundsätzlich ist dabei davon auszugehen, dass in dieser Frage der Willen des Betroffenen schwerer wiegt als der Wille seiner Angehörigen. Es ist aber möglich und wird inzwischen auch vielfach praktiziert, dass vorab mit den Patienten und Angehörigen individuell besprochen wird, wie im Falle einer tatsächlichen Diagnose von Seiten des Arztes vorgegangen werden soll.

Sinnvoll ist es dabei auch, die Aufklärung über die Diagnose als Prozess anzulegen und nicht als einmaliges Ereignis zu betrachten. Betroffene und Angehörige können außerdem auf Möglichkeiten zur Beratung und Begleitung hingewiesen werden, auf die der Artikel überhaupt nicht eingeht. Betroffene und ihre Familien lernen dadurch sehr häufig, dass es ein Leben nach und mit der Diagnose gibt.

So trägt eine seriöse frühzeitige Diagnose oft dazu bei, das eigene Leben noch viele Jahre aktiv und selbstbestimmt mitgestalten zu können und die Erfahrung zu machen: 'Man kann lernen, damit zurecht zu kommen.'

Dass Menschen mit einer Demenz heute offensiver und bewusster mit ihrer Diagnose umgehen steht allerdings auch im Gegensatz zu dem häufig in den Medien vermittelten´Stereotyp vom 'hochaltrigen, verwirrten und pflegebedürftigen Patienten'. Hier ist in hohem Maße die Gesellschaft gefordert, den Blickwinkel zu ändern und angesichts der 'heiklen' Diagnose bessere Unterstützungssysteme aufzubauen."

Doris Wohlrab, Christine Zarzitzky (Alzheimer Gesellschaft München e.V.)

"18 Jahre Haft für einen Ahnungslosen"/" Recht à la carte im Fall Djerba", 8. Februar

Kein stichhaltiger Beweis

"Kein stichhaltiger Beweis nur nebulöse Vermutungen führten zur Verurteilung von Christian Ganczarski wegen angeblicher Beteiligung am Djerba-Anschlag und angeblicher Mitgliedschaft im Terrornetzwerk Al Qaida. Nicolas Richter hat recht, wenn er hier das staatliche Forum Shopping im Strafrecht geißelt und den befremdlichen Umgang Frankreichs mit den Freiheitsrechten der Bürger herausstreicht.

Aus meiner beruflichen und privaten Erfahrung mit der Justiz in Deutschland und Frankreich weiß ich nur zu gut, daß es in beiden Ländern zur Mode wird, mangels stichhaltiger Beweise einfach eine Verurteilung herbei zu konstruieren, weil bestimmte Leute aufgrund ihrer Geisteshaltung, Religion, Ethnizität oder auch aufgrund des gegen sie bestehenden Volkszorns eben einfach verurteilt gehören.

Der Rechtsstaat wird dann zweitrangig und all seine Errungenschaften scheinen die Volksmehrheit ohnehin wenig zu berühren. Seine Erosion über die Jahre hinweg kann daher keine Überraschung sein. Es sei nochmals daran erinnert, daß die sogenannte garde à vue in Frankreich bereits in der ersten Hälfte der Neunziger Jahre durch den rechtsgerichteten Innenminister Pasqua geschaffen worden war. Nunmehr kommt sie als Vehikel zur Rechtlosstellung all jener, die man des Terrorismus bezichtigt gerade recht.

Das französische Vorgehen gegen Ganczarski ist dabei nicht der einzige Fall dieser Art. Bereits im Oktober 2006 war der in Deutschland wohnhafte und angeblich mit Ganczarski bekannte Karim Mehdi nach Ermittlungsarbeit desselben mächtigen Untersuchungsrichters Bruguière zu mehr als neun Jahren Haft durch dasselbe Pariser Gericht verurteilt worden wie jetzt Ganczarski.

Auch Mehdi war seinerzeit - eine Woche vor Ganczarski - auf einem Pariser Flughafen festgenommen worden, nachdem die deutschen Strafverfolgungsbehörden mangels Beweisen einschlägige Strafverfahren gegen ihn eingestellt hatten, keinerlei Beteiligung an Anschlagsvorbereitungen und auch keine Mitgliedschaft im Al-Qaida-Netzwerk nachweisen konnten, ihn aber gleichwohl - auf dem Weg nach La Réunion - an die französischen Sicherheitskräfte verpfiffen.

Auch gegen Mehdi gab und gibt es keine stichhaltigen Beweise einer Anschlagsplanung auf der französischen Insel im Indik; er wurde vor allem aufgrund seiner angeblichen Aussagen während tage- und nächtelanger Vernehmungen bei Schlafentzug in garde à vue, aufgrund eines Adressbuchs und eines mitgeführten Reiseführers verurteilt. Es scheint also so, als ob das Modell Terroristenverfolgung eine ganz andere - unrühmliche Seite - deutsch-französischer Zusammenarbeit aufschlägt.

Gewiß sind unter den Terrorverdächtigen auch tatsächliche Terroristen. Auch sie genießen allerdings die Verfahrensrechte von Grundgesetz, französischer Verfassung und Europäischer Menschenrechtskonvention. Die vielen Verdächtigen, die gar keine Schuld tragen sind es wert, diese Verfahrensrechte auch unter Inkaufnahme des Freispruchs eines tatsächlichen Terroristen zu bewahren.

Umso mehr erschreckt es, daß der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sich bislang nicht eben bei der Betonung der Verfahrensrechte aller - auch von Terroristen - profiliert hat. Der Fall Mehdi ist in Strasbourg anhängig. Es bleibt zu hoffen, daß der Gerichtshof hier ein Machtwort sprechen wird, um dem illegalen Treiben deutsch-französischer Sicherheitsbehörden ein Ende zu bereiten."

Dr. David Schneider-Addae-Mensah, Strasbourg, Kehl

" Am Rande der Depression", 11. Februar 2009

Der Gewinn bleibt die heilige Kuh

"Ob es tatsächlich stimmt, daß die ganze Welt versucht aus der Geschichte zu lernen, wie Nikolaus Piper meint, wage ich zu bezweifeln. Tatsache ist, so die aktuelle Erfahrung, daß die Strickmuster, mit denen versucht wird die Krise zu bewältigen, ganz die alten sind: Kostenabbau und Entlassungen.

Konkret: Die Budget-Konferenz im Oktober letzten Jahres endet mit klaren Vorgaben. Die Verkaufsplanung ist deutlich zu reduzieren, um einen 'aggressiven Personalabbau' zu rechtfertigen, Ausgaben sind drastisch zu vermindern. Das Ganze mit dem Ziel bei 10% weniger Umsatz den EBT (in absoluten Zahlen!) um 10 % zu steigern.

Der Umstrukturierung genannte Personalabbau traf nicht zuletzt die mittlere Führungsebene, altersmäßig um die sechzig Jahre, und wurde euphemistisch als 'Early Retirement Plan' verkündet. Finanziell durchaus großzügig, 'gefördert' zum Teil durch angedeutet Repressionen, wurde man die los, welche die 'neuen' Krisenstrategien vermeintlich weniger willig mitgetragen hätten.

Nachdem dann der Umsatz noch stärker als erwartet einbricht, werden neue 'Umstrukturierungsmaßnahmen' angedacht. Die Umsatzeinbrüche sollen durch entsprechende Kosteneinsparungen so abgefangen werden, daß der Gewinneffekt 20 % nicht übersteigt.

Die Regeln der Fixkostendegression, im Aufschwung eingefordert, sollen wenn es abwärts geht nicht mehr gelten. Das geht natürlich nur über weiteren Personalabbau, beim Unternehmen selbst und in Konsequenz bei den vom Ausgaben-Stop betroffenen Geschäftspartnern, die letztlich die gleichen Krisenstrategien fahren.

Mit anderen Worten: der Gewinn/Shareholder Value bleibt die heilige Kuh, gegenfinanziert durch die Vernichtung von Arbeitsplätzen, und die Börse dankt es mit steigenden Kursen. Aus der Krise gelernt?

Irgendwie erinnert das an einen Alkoholiker, der im Kater nach dem (Wachstums-)Rausch verspricht, beim Trinken vorsichtiger zu sein. Nur ein kleiner Schluck gegen Kopfschmerzen und mit dem Kater schwinden die guten Vorsätze. Bis zum nächsten Rausch. Na denn Prost!

Helmut Mayer, Kirchheim/Neckar

© sueddeutsche.de/brei - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: