Süddeutsche Zeitung

08. Mai 2009:Von Reformen und dicken Fellen

Lesezeit: 3 min

Berlin-Bonn-Gesetz und kommunale Steuern: SZ-Leser diskutieren zu Reformvorschlägen, Inuit-Kulturen und "Homoheiler-Kongressen".

Ein Gesetz, das sich überlebt hat

"Die Behauptung, ein Totalumzug der Ministerien nach Berlin würde fünf Milliarden Euro kosten, ist falsch. Sie beruht auf alten Schätzungen, bei denen übersehen wird, dass die Repräsentationsbauten in Berlin schon alle stehen. Für einen seriösen Vergleich sind die Betriebskosten zu betrachten, die in Bonn und Berlin ähnlich sind. Vergleichen muss man also Umzugskosten und Einsparungen.

Meine Berechnungen haben ergeben, dass durch den Abbau von Doppelstellen in Bonn und durch Arbeitszeiteinsparung durch Wegfall von Reisezeiten dauerhaft 500Stellen eingespart werden könnten. Da dadurch auch Raumkosten gespart würden, käme man auf eine Einsparung von insgesamt rund 40 Millionen Euro. Da der reine Umzug rund 250 Millionen Euro kosten würde (inklusive Trennungsgelder und ähnliches) hätte man diese Kosten nach etwa sechs Jahren wieder drin. Und die derzeitigen Reisekosten sind dabei noch gar nicht berücksichtigt.

Der Beschluss zum Bonn-Berlin-Gesetz wurde aus Furcht vor Bonns Niedergang gefasst. Dieser ist nicht eingetreten, denn viele Behörden und Einrichtungen haben sich bis heute in Bonn angesiedelt. Man könnte weitere Dienstleistungen in Bundesoberbehörden in Bonn auslagern, was Arbeitsplätze in Bonn erhalten und gleichzeitig die Umzugskosten nochmals verringern würde. Im Berlin-Bonn-Gesetz wurde zwar eine dauerhafte Arbeitsteilung zwischen Bonn und Berlin festgelegt. Jedoch haben sich die Rahmenbedingungen, gerade auch mit Blick auf die Situation des Bundeshaushaltes, derartig geändert, dass man sich einer Änderung des Gesetzes nicht mehr verschließen darf."

Jochen-Konrad Fromme Berlin

Bonner Arbeitsplätze

"Der Bundestagsabgeordnete Eisel verschweigt, dass bei der Berechnung der in Bonn verbleibenden Arbeitsplätze das Postministerium und die Nachfolger der Post unberücksichtigt blieben. Nach einer Erhebung der IHK Bonn arbeiteten im Herbst 2008 in der Region Bonn bei der Post, der Telekom und der Postbank immerhin 22.100 Mitarbeiter, dies ohne das Personal der beiden für die ehemalige Post zuständigen Bundesoberbehörden. Da der Abgeordnete Eisel den Bundestagspräsidenten zitiert, darf ich hinzufügen, dass Norbert Lammert an die mit dem Umzugsbeschluss verbundene Nötigung erinnert hat. Hans-Jochen Vogel hatte seinerzeit nur einen milderen Ausdruck gewählt."

Reinhardt Strauß Berlin

Kommunen ohne Geld

"Der Deutsche Städtetag rechnet mit Gewerbesteuerverlusten von 20 Prozent ('Kommunen in der Klemme', 27. April). Fast möchte man sagen, es geschieht ihnen Recht! Weshalb halten die Kommunen mit aller Macht und Zähigkeit an dieser Form der kommunalen Steuer fest? Sie ist doch in der jetzigen Form außerordentlich anfällig für Konjunkturschwankungen, im Guten wie im Schlechten. Fast alle wissen, dass eine Reform der kommunalen Steuern so notwendig ist wie eine Reform zur radikalen Vereinfachung der Steuergesetze, anscheinend ist das aber den nur für vier Jahre Gewählten zu arbeitsaufwendig.

Dabei gibt es für die kommunalen Steuern eine ganze Reihe von hervorragenden Vorschlägen. Welche Art von Gerechtigkeit ist es, dass ein kleiner Handwerker Gewerbesteuer zahlen muss, wobei nicht einmal alle Betriebsausgaben abzugsfähig sind, ein gutverdienender Rechtsanwalt, Notar, Steuerberater oder Arzt nichts direkt zu den kommunalen Aufgaben beisteuern muss? Es würde doch die kommunalen Einnahmen erheblich stabilisieren und berechenbarer machen, wenn sich alle mit einem guten Einkommen an der Finanzierung ihrer Gemeinde beteiligen würden, wobei die Gemeinde das Recht, Hebesätze zu bestimmen, natürlich behalten sollte."

Bert Unckell Würzburg

Europas Krämerkultur zerstört die Inuits

"Glücklicherweise haben sich die Inuit ('Dickes Fell', 25. April) rudimentäre Überbleibsel ihrer alten Kultur bewahren können. Nicht die Lebensform des reinen Jägers veränderte unsere wilde, wunderschöne Welt, sondern die der Ackerbauer und Viehzüchter. Die Zerstörung der Kulturen grönländischer Inuit erfolgte in drei Schritten. Mitte des 18. Jahrhunderts nahm man ihnen die Trommeln weg, verbot den Frauentausch und drohte mit Fegefeuer. Nett, sich das in einer eisigen, stockdunklen Polarnacht anhören zu müssen.

Im zweiten Schritt gab man den Inuit Mehl, Töpfe und Gewehre. Jetzt sollten sie auf Befehl jagen. Die Inuit verlernten die alten Techniken. Europa gierte nach Pelzen, schnellere Boote mussten her, bessere Waffen und Dosen. Und drittens sagt man nun, dass keine Robben mehr geschossen werden dürfen. Europa will keine Pelze mehr! Wie soll der Jäger denn seinen Sprit bezahlen? Ein Kajak nützt ihm nichts mehr. Der überempfindliche und hysterische Durchschnittsnaturschützer ist Produkt einer bäuerlichen Krämerkultur und nimmt durch seine Einmischung dem Inuit den Stolz."

Jochen Kirsch Günding

Vor den Karren gespannt

"Da ich die SZ wegen ihrer ausgewogenen Berichterstattung sehr schätze, bin ich über 'Heterogene Ansichten' (29. April) erschrocken. Der Bericht handelt von einem medizinisch-psychologischen Kongress in Marburg, auf dem neben mehr als 100 anderen Themen auch einige Aspekte der Homosexualität diskutiert werden sollen. Dagegen protestiert nun der Lesben- und Schwulenverband LSVD, der sich an drei der eingeladenen Referenten wegen ihrer abweichenden Ansichten stört.

Rechtfertigt dies, den ganzen Kongress schon in der Überschrift als schwulenfeindlich zu bezeichnen und als Blickfang ein großes Bild eines Schwulengegners (aus Kanada, nicht aus Marburg!) zu setzen? So schürt man Vorurteile. Auch im Bericht ist von Ausgewogenheit wenig zu spüren. Dort ist von 'Homoheiler-Kongress' die Rede, von 'Homophobie, Sexismus und religiösem Fundamentalismus'. Mit den gleichen aggressiven Methoden hat der LSVD vor einem Jahr den Jugendtreff 'Christival' in Bremen bekämpft. Schön, dass die Universität Marburg den Kongress trotzdem abhalten wird."

Dr. Siegfried Geckeler München

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Quelle:
SZ vom 08. Mai 2009/sus
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