05. August 2009:Ihr nervt mich!

Daniel Kehlmanns Kritik am modernen Regietheater stößt in der Theaterwelt nicht überall auf Verständnis. SZ-Leser diskutieren.

Zu den Berichten über Daniel Kehlmanns Auftritt bei den Salzburger Festspielen schreiben Leser:

05. August 2009: In einer sehr persönlichen Rede hat Literat Daniel Kehlmann den Modernisierungszwang des heutigen Theaters kritisiert.

In einer sehr persönlichen Rede hat Literat Daniel Kehlmann den Modernisierungszwang des heutigen Theaters kritisiert.

(Foto: Foto: ddp)

"Daniel Kehlmann hat mir mit seiner Salzburger Attacke gegen das Regietheater aus der Seele gesprochen. Es müsste denen, die jetzt ihrerseits Kehlmann attackieren und ihm sogar Populismus vorwerfen, doch zu denken geben, dass die allermeisten meiner Schriftsteller-Freunde ebenso wie ich seit Jahren gar nicht mehr oder nur äußerst selten und dann voller Skepsis ins Theater gehen, weil wir dort allzu oft eine widerwärtige weil vorsätzliche Demontage - Dekonstruktion lautet das Modewort - der Meisterwerke des Theaters erleben mussten, die vor allem auf einen Verrat an der Literatur hinauslief.

Als ich mir zuletzt einem befreundeten Schauspieler zuliebe in Zürich Shakespeares "Kaufmann von Venedig" ansah, musste ich als ersten Satz von der Bühne hören: "Du nervst mich!", was mich sofort zu der Replik "Ihr nervt mich!" und sofortigem Abgang hätte veranlassen müssen, aber dem Freund zuliebe blieb ich im Theater, wo es in diesem Ton weiterging und Shakespeare gnadenlos dem vulgärsten Zeitgeist-Jargon und den dümmlichsten Gags geopfert wurde (den größten Publikumserfolg erzielte eine Nebenfigur, weil sie in breitestem Schweizerdeutsch ihre Sätze mampfte).

Bei der anschließenden Premierenfeier kam ich mit einigen sympathischen Schauspielschülerinnen ins Gespräch und fragte vorsichtig, ob denn der rigorose Verzicht auf Shakespeares Sprache in ihrem Sinne sei. Aber keine begriff überhaupt meine Frage und nicht eine einzige hatte sich je mit Shakespeares Originaltext und den kongenialen und bewährten Übersetzungen Schlegels beschäftigt oder auch nur einmal Fritz Kortners überwältigende Interpretation des Shylock auf Video angesehen. Sie alle wollten nur Theater pur, worunter sie ganz offensichtlich Theater als Gag-Orgie und Entfaltungsfeld für schauspielerischen Exhibitionismus verstanden,

Dass in Nicolas Stemanns Entgegnung auf Daniel Kehlmann das Wort Literatur nicht ein einziges Mal fällt, obwohl Theater, zumal das Shakespeares, doch primär literarische und dichterische Sprache ist, finde ich bezeichnend. Wer vom Theater erwartet, dass es seine adäquate und dem dichterischen Wort dienende Vermittlerfunktion erfüllt, dem graust es vor Regisseuren, die primär sich selbst verwirklichen wollen und denen deshalb die großen Theatertexte nur noch als Vorwand für ihren pubertären Narzissmus dienen, weswegen es bei ihnen fast nie ohne Entblößungen auf der Bühne abgeht.

Das "forcierte und fordernde Theater", das Stenmann propagiert, wäre ein solches doch nur, wenn es nicht so ungeheuer phantasielos wäre, dem Zuschauer alles Historische ins gerade Angesagte des Zeitgeists übersetzen zu wollen, statt ihm zuzutrauen, in scheinbare historischen Figuren wie Shylock und den übrigen Protagonisten Shakespeares zeitlose und eben deshalb zu jeder Zeit aktuelle Verkörperungen der condition humaine zu erkennen."

Peter Hamm Tutzing

Warten auf die Trendwende

"Kehlmann ist nicht der Einzige, der "...offenbar nicht ins (deutschsprachige) Theater" geht und dieses nur als "fernen Lärm" wahrnimmt. Der zitierten "vagen Zeugenschaft ausländischer Theaterbesucher" ist vielleicht bewusst, dass es sich dabei um die Fortsetzung eines längst überwundenen Theaterexpressionismus' aus dem Anfang des letzten Millenniums handelt. Ein Unterschied besteht allerdings darin, dass es den Theatermenschen Piscator, Brecht, Toller oder Georg Kaiser weniger um die Selbstbefriedigung als das Erfassen des Zuschauers im Sinne der Katharsis ging. Tröstlich ist, dass auch die Beurteilung von Theaterproduktionen von dem Wort "altmodisch" nicht verschont bleibt, was eine Trendwende andeutet. Ein schwacher Trost für uns, die mit unendlicher Geduld schon lange auf diese warten."

Harry Raymon München

Gedanken zum Theater beim Denken an den Vater

"Das ist nicht "schlechter Stil", sondern schlicht naheliegend, wenn Daniel Kehlmann an einem Ort, an dem auch sein Vater wirkte, seines Vaters gedenkt, und damit auch der Entwicklung, die das Theater genommen hat. Man weiß doch genau, was Kehlmann benennen will, und ob sich da Schauspielchef Thomas Oberender angesprochen fühlen muss oder nicht, ob das nun eine Breitseite ist oder nicht, das ist meiner Meinung nach nicht Sache der Rezensentin."

Hilde Lermann Pöcking

Das Establishment möge in sich gehen

"Die Reaktionen der Intendanten und Regisseure bestätigt beeindruckend die Aktualität und Bedeutung der Worte des jungen Dichters Daniel Kehlmann. Möge das Establishment in sich gehen und eine faire Diskussion beginnen und führen."

Ulrich Zeidler Hamburg

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