04. Juni 2009:Der Job ist nicht alles...

...doch ohne Job ist alles nichts: SZ-Leser diskutieren darüber, warum es gefährlich ist, ehrenamtliche Arbeit als Alternative für Erwerbslose zu propagieren.

Zum Gastkommentar im Wirtschaftsteil "Der Job ist nicht alles" (28. Mai) schreiben Leser:

04. Juni 2009: Ist Arbeit, wie hier am Hochofen, ein Bedürfnis? Oder lässt es sich auch ohne Erwerbstätigkeit leben?

Ist Arbeit, wie hier am Hochofen, ein Bedürfnis? Oder lässt es sich auch ohne Erwerbstätigkeit leben?

(Foto: Foto: dpa)

"Die Hoch- und Wertschätzung der Erwerbsarbeit geht in ihrer Tradition nicht auf den Beginn des Kapitalismus zurück. Sie hat ihren Ursprung im fundamentalen, natürlichen Bedürfnis, als Allererstes die Existenz, das Überleben zu sichern. Hätte Prof. Bordt sich nicht so viel mit den Philosophen der Antike, sondern auch einmal mit dem Psychologen Abraham Harold Maslow beschäftigt, so wüsste er, dass Sozialbedürfnisse, Anerkennung oder Selbstverwirklichung als Motivatoren erst wirken können, wenn die Grund- oder Existenzbedürfnisse befriedigt sind.

In seinem wissenschaftlichen Elfenbeinturm ist es Herrn Prof. Bordt vielleicht entgangen, dass nicht jeder Bundesbürger in vermögende Verhältnisse geboren wird. Da es also nicht jedem im Lebensplan bestimmt ist, zur 'Generation Erben' zu gehören, ist eine nicht unwesentliche Zahl darauf angewiesen, durch den Einsatz ihrer Arbeitskraft für die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse zu sorgen. Als Mitglied des Jesuitenordens hat Herr Prof. Bordt sicher auch nicht die Verantwortung dafür, die existentiellen Bedürfnisse abhängiger Angehöriger, insbesondere einer nächsten Generation zu erfüllen.

Zynisch wird es nun, wenn ein Mann des Geistes die 'Vollbürger' des alten Athen bemüht, um das Ehrenamt zu ehren. Dieser Gesellschaftsentwurf ist für das Deutschland des 21. Jahrhunderts unpassend. Aus dem Grundgesetz jedenfalls kann ich keine Unterscheidung ableiten zwischen Vollbürgern, die keiner Arbeit nachgehen müssen, und Bürgern zweiter Klasse, bei denen das Tätigsein für die Gemeinschaft durch die Zwänge der Existenzsicherung eingeschränkt wird.

Zwar hat Herr Prof. Bordt einen Nebensatz für das Unrecht einer auf Sklavenarbeit aufgebauten Gesellschaft übrig. Wie er aber heute, in unserer Gesellschaft die existentiellen Bedürfnisse aller Bürger ohne eine Teilhabe an Arbeit sicherstellen will, darüber schweigt er sich aus. Sollen sich in Zukunft die deutschen 'Bürger mit begrenzten Rechten' darauf verlassen, dass die 'Vollbürger' ihnen über die Tafeln dieses Landes die für ein Überleben nötigen Krümel sichern werden? Nicht der Wert des menschlichen Lebens, in sehr vielen Fällen aber die Existenz des menschlichen Lebens hängt von der Erwerbsarbeit ab.

Ich möchte die Differenzierung der Arbeitsbegriffe dahin präzisieren, dass labour die Arbeit zur Sicherung der Existenzgrundlagen umfasst. Und work mag dann den Motiven dienen, die Maslow auf den höheren Stufen seiner Bedürfnispyramide mit Wertschätzung und Selbstverwirklichung bezeichnet. Herr Prof. Bordt definiert work als wertvolles Tätigsein für die Gemeinschaft.

Warum hat diese Gemeinschaft ein so großes Problem damit, das für eine wertvolle Tätigkeit geschuldete Tauschgut Geld bereitzustellen? Damit könnte dann work im Sinne der wertvollen Tätigkeit für das Gemeinwohl auch labour, also Quelle der Existenzsicherung für die sein, die heute aus dem Erwerbsleben ausgegrenzt werden. Selbstverständlich gibt es auch Arbeit, die freiwillig, kostenlos oder für andere Tauschgüter als für Geld geleistet wird. Wenn ich einem Nachbarn eine Besorgung erledige, vertraue ich darauf, dass ich auch auf seine Hilfe zählen kann. Und auch die Erziehung meiner Kinder habe ich nie als work für die Gesellschaft gesehen, sondern bin bisher durch die von ihnen erfahrene Liebe und Anerkennung belohnt worden.

Im Übrigen halte ich es aber für äußerst problematisch, wenn sich heute die Freunde der Weisheit in unserer Gesellschaft daran machen, ehrenamtliche Tätigkeit als sinnstiftende Alternative für Erwerbslose zu adeln. Wenn die großen gesellschaftlichen Gruppen ein Interesse daran haben, dass unsere Gesellschaft nicht zerreißt sondern zukunftsfähig bleibt, dann schaffen sie nicht in erster Linie Strukturen, um work zu organisieren. Sie sorgen dann endlich gemeinsam dafür, dass die Erwerbsarbeit davon befreit wird, für den Großteil der gesellschaftlichen Transfers in Anspruch genommen zu werden.

Sie schaffen dann einen breiten Konsens, dass die Sicherung der eigenen Existenz als das menschliche Grundbedürfnis schlechthin, durch eigene Erwerbstätigkeit möglich sein muss. Sie stemmen sich gemeinsam gegen eine weiter zunehmende Spaltung der Gesellschaft in Vermögende und von Armut Bedrohte. Sie erhalten und fördern Mechanismen, die Engagement und Initiative belohnen und das Ausnutzen der Sozialsysteme negativ sanktionieren. Sie stärken die Mitte der Gesellschaft, um allen eine vernünftige Perspektive für eine Teilhabe am Bürgertum in Einigkeit und Recht und Freiheit zu schaffen."

Helmut Rohmer München

Vom Praktikum kann niemand leben

"Der Beitrag von Rektor Michael Bordt versorgt uns mit zwei profunden Erkenntnissen, die er aber offensichtlich nicht zu Ende denken wollte: Es ist erstens nicht der Job, der Arbeitsplatz, den Otto braucht, sondern die Tätigkeit. Auch Parteien und Politiker zielen ins Leere, wenn sie den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit predigen.

Den Beschäftigten bei Opel, Karstadt, AEG hilft es auf Dauer nicht, unproduktive Arbeitsplätze zu erhalten, sondern der Ausbau von Technologien für die Zukunft ebnet den Weg in produktive und nachhaltige Erwerbstätigkeit. Zum Zweiten ist der herablassende Blick auf die Erwerbstätigkeit verständlich, wenn man ein sicheres Professorengehalt mit Ansehen und stattlicher Pension verbindet. Ein Blick in die Geschichte heute zeigt uns allerdings, dass uns die Arbeitssklaven fehlen, mit Ausnahme der Gastarbeiter, der Hausfrauen, der Praktikanten und Ehrenamtlichen. Vom Praktikum wie vom Ehrenamt kann aber keiner seinen Lebensunterhalt bestreiten, Studium, Miete und Heizkosten bezahlen, geschweige denn den BMW finanzieren."

Wolfgang Beyer München

Unabhängig und selbstbewusst

"Der Job ist zwar nicht alles, aber viel, wenn er Unabhängigkeit und Freiheit garantiert und sicherstellt, dass die arbeitende Person nicht betteln muss. Sich von eigener Arbeit erhalten zu können stärkt das Selbstwertgefühl und bewahrt Einzelne davor, sich als parasitär bezeichnen lassen zu müssen. Wenn ich mich richtig erinnere, kennen wir in der BRD das Recht auf Arbeit durchaus, aber nicht unbedingt die Pflicht zu solcher."

Susanne Thomas Seevetal

Der Kapitalismus erzeugt die Schwachen

"Dem ausbeuterischen Teil der Wirtschaft kommt der althergebrachte Arbeitsmoralbegriff zupass. Subventionierte Niedriglöhne, familienentfremdende Leiharbeit und Arbeit, die nur noch unter Drogeneinnahme zu bewerkstelligen ist - das hat mit Moral nichts mehr zu tun. Nur um dieser vernichtenden Entwertung durch Arbeitslosigkeit zu entkommen, nehmen Menschen (fast) alles auf sich, was 'die' Wirtschaft benutzt. Das kapitalistische System erzeugt ja gerade die 'Schwachen', die es selber abwertet. Ein Paradigmenwechsel muss her: Arbeitslose sollten als Gewinner aus der Krise hervorgehen, wenn alle gemeinschaftlich aus der Stigmatisierung aussteigen und neue Wege zu einer sozialen Mündigkeit suchen."

Diana Köster-Kandé Bad Tölz

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