04. Juli 2009:Unberechenbare Gene

Genmanipulierte Pflanzen und Freilandversuche: SZ-Leser sind skeptisch und diskutieren über die Risiken von gentechnisch verändertem Saatgut.

Zum Streit um Gentechnik ("Was der Bauer nicht kennt", 30. Juni):

04. Juli 2009: Die Biologin Carola Engler betrachtet eine gentechnisch veränderte Tabakpflanze.

Die Biologin Carola Engler betrachtet eine gentechnisch veränderte Tabakpflanze.

(Foto: Foto: dpa)

"Wenn Wissenschaftler behaupten, sie könnten Risiken bei der Freisetzung und dem Verzehr von gentechnisch geänderten Pflanzen ausschließen, dann ist das unwissenschaftlich. Forscher sind normalerweise sehr vorsichtig mit der Behauptung, etwas könne ausgeschlossen werden, und bei genmanipulierten Pflanzen gibt es erst sehr wenig Ergebnisse, die zudem keineswegs eindeutig sind.

Bei der Kartoffel Amflora etwa besteht sogar eine Gefahr, deren Existenz praktisch sicher ist: Sie enthält Antibiotikaresistenzgene, die auch von Mikroorganismen übernommen werden können, so dass Antibiotikaresistenzgene, Mikroorganismen, einschließlich resistente Krankheitserreger, entstehen.

Vor allem aber ist die Genetik eine Wissenschaft, in der alle paar Jahre neue Erkenntnisse scheinbar gesichertes Wissen über den Haufen werfen. Bis vor kurzem galt als einzige Funktion der Erbsubstanz, dass DNS im Zellkern auf RNS abgeschrieben und diese Abschrift aus dem Zellkern zu den so genannten Ribosomen, den 'Eiweißfabriken' der Zelle, gebracht wird, um als Anleitung für die Produktion eines Proteins zu dienen. Alle Abschnitte, die nicht als Vorlage für ein Protein verwendet werden, wurden als nutzloser Gen-Müll betrachtet. Nun brachten aber Versuche mit Petunien und mit Tabakpflanzen höchst verwirrende und unvorhergesehene Ergebnisse.

Bei den Petunien zum Beispiel haben Forscher zu Versuchszwecken durch eine gentechnische Manipulation zusätzliche Farbgene eingebaut, um intensiver gefärbte Blüten zu erhalten. Stattdessen waren die Blüten schwächer gefärbt und hatten weiße Flecken. So entdeckte man die 'RNS-Interferenz'. Wenn eine Zelle an bestimmten Merkmalen erkennt, dass mit einer RNS etwas nicht stimmt, dann zerstückelt sie diese und verarbeitet sie zu einer Art 'Fahndungsplakat', sodass künftig jede solche RNS zerstört wird anstatt als Anleitung für ein Protein zu dienen.

Dieser Mechanismus war vermutlich ursprünglich zum Schutz vor Viren angelegt, aber inzwischen nutzen ihn Pflanzen und Tiere auch auf andere Weise: Wenn das Produkt eines Gens nur in einer bestimmten Lebensphase gebraucht wird, das Gen aber danach nie wieder abgelesen werden soll, dann produziert ein zweites Gen eine RNS, die der des ersten entspricht, aber 'verdächtig' ist, so dass ein Fahndungsplakat angelegt wird, das auch die RNS-Abschriften des ersten Gens abfängt. Demnach gibt es Gene, die keine Proteine produzieren und trotzdem wichtig sind.

Ein weiteres Beispiel ist die Erbkrankheit Chorea Huntington. Bei den Betroffenen setzt im Alter ein rapider körperlicher und geistiger Verfall ein, der schließlich zum Tod führt. Tückischerweise zeigen sich die ersten Symptome meist erst zu einem Zeitpunkt, an dem die Kranken bereits Kinder haben.

Betroffene Familien berichteten nun, dass der Verfall von Generation zu Generation früher und heftiger einsetzt. Da dies nach den Regeln der klassischen Genetik nicht sein kann, wurde es von Genetikern als Einbildung abgetan, bis sich herausstellte: Das zugehörige kaputte Gen hat einen langen Abschnitt, in dem sich immer wieder die drei gleichen Basen wiederholen. Die Kopiermechanismen der Zelle geraten bei diesem krankhaft verlängerten Abschnitt häufig ins Stottern, sodass er immer länger wird. Je länger er aber ist, desto früher und heftiger setzt die Krankheit ein. Wegen dieser Unvorgesehenheiten sind Freilandversuche nicht zu vertreten."

Susanne Nieß Eching

Es gibt keine Bad Farm

"Leider hat der Autor bei seinen Recherchen übersehen, dass es sich auf beiden Seiten um Glaubensfragen handelt. Ähnlich wie bei den 'innovativen' Produkten der Finanzmärkte glauben die Befürworter der Agro-Gentechnik, dass es sich bei den gentechnischen Derivaten unserer Kulturpflanzen um einen echten Fortschritt handelt. Man glaubt weiter, dass man komplexe Produkte, deren Grundlagen kaum verstanden sind, sicher beherrschen kann. Ferner glaubt man, dass eine staatliche Regulierung überflüssig und innovationshemmend sei. Wozu blinde Fortschrittsgläubigkeit führen kann, hat uns die Finanzwelt gerade eindrucksvoll vorgeführt. Dort sind 'nur' unsere Finanzmärkte betroffen. Unsere natürlichen Lebensgrundlagen dürfen wir einer solchen Mentalität nicht überlassen. Giftpapiere lassen sich vielleicht in eine Bad Bank auslagern. Eine Bad-Farm-Lösung für die verunglückten Innovationen der Gentechnikindustrie ist leider nicht in Sicht."

Walter Haefeker Seeshaupt

Nachteile durch genverändertes Saatgut

"Auch wenn die Gentechnikgegner oft unsachlich diskutieren, muss man dennoch sehen, dass der Widerstand der Erzeuger durchaus wirtschaftlich begründet ist. Bisher hatten die Landwirte mit gentechnisch verändertem Saatgut häufig Nachteile. Das liegt gar nicht unbedingt an der Technologie an sich, sondern an der Umsetzung durch die Agrarkonzerne und an der Gesetzeslage. So sind die massiven Verluste indischer Baumwoll-Kleinbauern auf die fehlende Marktreife des Saatguts zurückzuführen. Percy Schmeiser musste den Anbau seiner selbstgezüchteten Rapssorte wegen Verunreinigung durch patentrechtlich geschütztes Saatgut einstellen, obwohl er selbst nicht dafür verantwortlich war."

Andreas Stadler Kirchweidach

Grüne Gentechnik verlangt nach sachlicher Information

"Das Thema grüne Gentechnik erfordert eine sachliche Auseinandersetzung. Der Konfliktpunkte bestehen vor allem zwischen lokaler Kontrolle, verbessertem Umweltschutz und besserer Nahrungssicherheit. Ihr Artikel hat leider die verschiedenen Themen nur oberflächlich angesprochen. Es ist z.B. nicht klar, warum das EU-Verbot des Monsanto-Maises nicht wissenschaftlich fundiert ist. Es ist ebenso unklar, ob das Gegenargument, dass grüne Gentechnik die Monokultur fördert, Hand und Fuss hat. Mehr sachliche Information und weniger sarkastische Redaktion könnte beitragen, die Diskussion weniger emotional zu gestalten, wie es Ihr Artikel selbst fordert."

Christian Weller Boston

Hausverstand vs. Wissenschaft

"Mit milder Ironie karikiert Sebastian Beck die Bauernführer Christoph Fischer und Georg Planthaler und die 2000 Bauern, die in der Salzburgarena zusammengekommen sind und die 3500, die nach Rosenheim kamen. Nach Herrn Beck ist die Analyse ganz einfach: Was der Bauer nicht kennt, ...

Dagegen die armen Wissenschaftler, die sich beschimpfen lassen müssen und deren Bäume und Saaten zerstört werden. Und dabei sei es ein Glaubenskrieg, in dem sich die GVO-Gegner für die Guten und die anderen für die Bösen halten. Interessant, dass Herr Beck kein Wort sagt von den Erfahrungen, die das Ehepaar Schmeiser mit Monsanto hatte. Kein Wort auch über die 200.000 Bauern in Indien, die sich umbrachten, weil sie den Verheißungen von Monsanto geglaubt - und dann aus den Schulden nicht mehr herauskamen.

Vermutlich sind solche Erfahrungen für Herrn Beck unwissenschaftlich. Was die Wissenschaft anlangt: Ich wäre Herrn Beck dankbar wenn er recherchieren würde, wieviele unabhängige Wissenschaftler es gibt bzw. wieviele von der Industrie und den Konzernen finanziert werden. Ich habe meine Zweifel, dass irgendein Wissenschaftler GVO auf wissenschaftlicher Basis als unbedenklich einstufen kann, wenn niemand eine Ahnung haben kann, wie sich solche Eingriffe in die Natur langfristig auswirken - auf den Boden, Fauna und Flora und die menschliche Gesundheit. Wird nicht z.B. auch gemunkelt, dass die total unbedenkliche Pille gar nicht so unbedenklich ist und dass sie in unseren Gewässern immer mehr Fische unfruchtbar macht.

Kurzum, ich persönlich vertraue mehr dem Hausverstand unserer Bauern als den Wissenschaftlern. Sind es nicht auch die gescheiten Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler gewesen, die unsere Wirtschaft und die Finanzen an die Wand gefahren haben?"

Siegfried Fleiner Kirchanschöring

Alles Quatsch - Herr Beck?

"Die überzogene und emotionale Berichterstattung von Sebastian Beck zeugt von Unkenntnis und dümmlicher Diffamierung einer inzwischen weitweiten ernstzunehmenden Diskussion sowohl über die ökologischen und gesundheitlichen Auswirkungen der so genannten Grünen Gentechnik, als auch der politischen Machenschaften der damit anhaftenden Konzerne.

Sehr wundere ich mich darüber, dass dieser Bericht zum Druck freigegeben wurde - in einer Zeitung, in der ich eigentlich über viele Jahre eine detaillierte Recherche gewohnt bin. Vielleicht hätte Herr Beck etwas genauer hinhören müssen, statt die Berichterstattung in der Messehalle in Salzburg als Gruselshow im Power-point Format zu titulieren. Frivol lenkt er das Interesse seiner Leser auf präsentierte Fakten, um sie im gleichen Atemzug zu denunzieren - falsch und dumm ist es beispielsweise Mon 810, Bt Mais oder Amflora an-einanderzureihen, sie alle als mit Genen aus Bazillen bestückt zu bezeichnen und alle dem Round up widerstehen zu lassen - weiß Herr Beck denn überhaupt, welche gentechnische Veränderung hier vorliegen? Er bezeichnet diese als heimlichen Feind - eine Emotionalisierung, die er den dortigen Referenten vorwirft.

Diese - vor allem Vandana Shiva und Percy Schmeiser - brauchen nicht emotionalisieren, sie haben Fakten an der Hand. Der Grund, warum sie den Nobelpreis erhalten haben, lässt Herr Beck außen vor - das Nobelpreiskomitee gehört wohl auch der Grünen Trachtengruppe an. Rationales Abwägen und Diffe-renzierung spielen keine Rolle mehr - so Herr Beck - Wissenschaftler und die große Mehrheit der Bevölkerung stünden sich gegenüber - leider hat Herr Beck nicht den An-spruch, auch nur eine einzige Studie zu lesen, die nicht von Konzernen finanziert wurde - hier würde er erdrückende wissenschaftliche Hinweise erhalten, die einen vorsorgenden Umwelt-Gesundheitsschutz (gemäß dem Vorsorgeprinzip der Europäischen Union) bei weitem rechtfertigt.

Immerhin hat das Verwaltungsgericht Braunschweig das Anbauverbot von Mon 810 bestätigt, mit dem Hinweis, dass neuere Untersuchungen darauf hindeuten, dass der im Genmais produzierte Giftstoff nicht nur gegen den Schädling wirke, sondern auch gegen weitere Insekten und dass davon auszugehen sei, dass sich die Genmaispollen deutlich weiter verbreiten können, als dies bisher angenommen wurde. Alles Quatsch - Herr Beck? Er ist kein Biologe - vielleicht muss man das auch nicht sein, aber dann sollte man sich mit Aussagen zurückhalten, die man nicht beurteilen kann. So setzt er das Toxin, das im Bt Mais produziert wird gleich dem, das im ökologischen Anbau gespritzt wird.

Das sind Fehler, die gemacht werden, die ich schon vor 6 Jahren auf Podien richtig stellen musste. Eine Unwissenheit reiht sich an die nächste und die Solidarität mit den armen An-bauern von gentechnisch veränderten Pflanzen geht ebenfalls weit über das Maß einer halb-wegs neutrale Berichterstattung hinaus - vor allem wenn es um Wissenschaftler geht, die bekanntermaßen auch konzernabhängig arbeiten. Nach Beck mangelt es bei den Biowis-senschaftlern an der Fähigkeit, schwierige Sachverhalte erklären zu können - hier täten sie sich schon immer schwer - deshalb würden sie sich in ihre Labors verkriechen, sind verunsichert und trauten sich nicht, die Wahrheit ans Licht kommen zu lassen - eine Beleidi-gung ohnegleichen.

Die gewünschte Weiterentwicklung und Forschung der Gentechnik muss ganz neu beleuchtet werden, die Technik selbst birgt zu viele Mängel, ist unkalkulierbar und veraltet - das sollte endlich akzeptiert werden. Die einzige Anbaumethode, die unabhängig und nachhaltig ist, ist der biologische Anbau - hier eine Synthese zur Gentechnik herstellen zu wollen, ist wie einem jaulenden Hund das Singen beizubringen."

Heike-Solweig Bleuel Tübingen

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