Zypern:Das Mauerblümchen

Nikosia ist Europas einzige zweigeteilte Hauptstadt, aber seit die Türkei die Grenze geöffnet hat, blüht die zyprische Metropole wieder au.

Von Christiane Schlötzer

Den ersten Eindruck eines Landes bekommen Reisende meist in seiner Hauptstadt. Dort kreuzen sich die wichtigsten Verkehrswege, dort finden sich Zeugnisse wichtiger Kulturepochen und nahmen Revolutionen ihren Anfang.

Nikosi

Die geteilte Stadt Nikosia.

(Foto: Foto: dpa)

Die Europäische Union hat von Mai an zehn neue Mitgliedsstaaten. Wir bereisen deren Hauptstädte und wollen herausfinden, welche charakteristische Farbe sie jeweils in die europäische Gemeinschaft einbringen.

Der Platz ist ein stilles Paradies. Die Kneipen-Tische stehen auf der Straße, denn hier fährt schon lange kein Auto mehr. Die Wirtsleute sind freundlich, die "Meze", Gaumenfreuden auf kleinen Tellern, köstlich.

"Zur schönen Aussicht" heißt die stille Gasse. Die Aussicht ist eine hohe Wand, mit gerolltem Stacheldraht obendrauf. "Restricted Area", Sperrgebiet, warnt eine Tafel. Filmen und Fotografieren ist verboten.

Grusel-Szene im Restaurant

Wer hier diniert, tut dies eine Handbreit entfernt von der Grusel-Grenze, die Nikosias Herz zerschneidet. "Nekri Zoni", Todeszone, nennen die Griechen die UN-Pufferzone, auch wenn hier nicht mehr geschossen wird. Aber über die Mauer klettern, das dürfen nur die türkischen Katzen. Die schnurren den Gästen in der "Schönen Aussicht" um die Füße.

Nikosia ist Europas letzte zweigeteilte Hauptstadt. Der griechischen "Republik Zypern" und der von der Türkei allein anerkannten "Türkischen Republik Nordzypern" dient die verwundete Stadt als Mitte - und liegt doch wie einst Berlin am Rand.

Kein Tourist, der die Mittelmeerinsel wegen ihrer Strände aufsucht, muss die Doppel-Hauptstadt passieren. Von den Flughäfen in Larnaka (im griechischen Süden) und Gecitkale (im türkischen Norden) führt der Weg über Autobahnen direkt zu den Urlaubsorten.

Die Stadt ist allenfalls Ziel von Tagesausflügen. Erst eine Wiedervereinigung der Insel könnte Nikosia deutlich attraktiver machen, weshalb sie von Tourismusmanagern herbeigesehnt wird.

Makabre Anziehung

Im Augenblick sieht es jedoch so aus, als müssten die Manager noch eine ganze Weile warten. Denn Umfragen vor den für 24. April geplanten UN-Referenden lassen bei den Insel-Griechen deutlich weniger Sympathien für einen neuen gemeinsamen Staat erkennen als bei den Türken.

So bleibt als makabre Anziehung die Mauer. Spaziergänge entlang der Trennlinie sind auf beiden Territorien möglich. Gespenstisch leer ist die Ermou-Straße im griechischen Süden, einen Steinwurf von der Green Line entfernt, wie die 186 Kilometer lange Grenze durch die ganze Insel offiziell heißt.

Die Ermou war einst wirtschaftliches Zentrum der Stadt, bevor Spannungen zwischen Griechen und Türken 1963 in blutige Gefechte mündeten. 1974 landeten nach einem kurzen griechischen Putsch türkische Truppen, worauf die vollständige Teilung folgte.

Fassaden mit Einschusslöchern

Die Fassaden der neoklassizistischen Bürgerhäuser entlang der Ermou tragen Einschusslöcher. In der warmen Aprilsonne flirrt die Luft. Einen Hollywood-Western könnte man hier drehen, mit Palmen im Hintergrund.

Das historische Nikosia wird auch von Mauern umschlossen. Die aber dienten der Verteidigung des Ganzen, nicht der Teilung des Kerns. Die steilen Venezianischen Wälle sind 4,8 Kilometer lang.

Aus der Luft wirken sie wie ein elfzackiger Stern. Drei tiefe Tore gibt es. Das Paphos-Tor wurde 1878 von den Briten geschlossen, nachdem ihnen der Osmanische Sultan die Verwaltung der Insel übergab, die sie 1925 zur Kolonie erklärten. Erst 1960 wurde Zypern unabhängig.

Die "Walking Tour Medieval Nikosia", der Gang durch das mittelalterliche Nikosia, ist auf griechischer Seite ausgeschildert. Wer den Wegweisern folgt, wird zuerst durch die zerstückelte Altstadt an der Green Line geführt.

Dabei kann der Besucher leicht die Orientierung verlieren, schließlich gibt es nur Stadtpläne, in denen der Teil hinter der Mauer als unbeschriebene Fläche erscheint, so als müssten selbst Fremde vor den Nachbarn geschützt werden. Dies machen beide Seiten so. Würde Zypern vereinigt, bräuchte es sofort eine Riege neuer Reiseführer.

Je näher man in der alten Stadt im Süden der Ledra-Straße kommt, einst die feinste Einkaufsmeile, desto mehr beleben sich die Gassen. Verfall und frisch verputzte Fassaden wechseln sich ab.

Zypern: Blick auf die Häuser von Nikosia.

Blick auf die Häuser von Nikosia.

(Foto: Foto: ddp)

Sogar direkt an der Green Line tragen einzelne Gebäude Malergerüste. Seit am 23. April 2003 die Türken die innerstädtische Grenze überraschend für Tagesbesuche öffneten, hat sich die Lage auf beiden Seiten entspannt. Schießstände stehen verlassen da, Sandsäcke unbewacht. Aber nicht alle Patrouillen sind abgezogen.

Auf der Suche nach der "Schönen Aussicht" kann man deshalb im Dunkeln plötzlich vor einem Trupp junger Soldaten stehen, die ihre Gewehre noch über der Schulter, in einem Hausflur gerade ihre Stockbetten beziehen.

Auch die Holztribüne ist geblieben, am Ende der Ledra-Straße. Die Touristen klettern hinauf und schauen über den Stacheldraht in den Nordsektor - so wie einst von Berlin-West nach Ost. Auf der Aussichtsplattform prangt immer noch der unfriedliche Spruch "Nichts wird ohne Opfer und Frieden wird nicht ohne Blut erkämpft".

Verblasste Passfotos

Neben der Tribüne gibt es eine Gedenkstätte mit verblassten Passfotos. "1588 still Missing" steht da, in Erinnerung an die seit der türkischen Invasion Verschwundenen. Nikosia trägt die Wunden offen, die ein aufgepeitschter Nationalismus der Stadt und ihren Menschen auf beiden Seiten geschlagen hat.

Aber es gibt auch das Nikosia der Boutiquen und Banken, die moderne griechische Stadt mit ihren "Polikatikia", den Wohnburgen aus weißem Beton, den lärmigen Straßencafés und den breiten Boulevards mit kalifornischem Flair.

An Amerika erinnert das Ambiente schon deshalb, weil die Zypern-Griechen große Autos schätzen, als liege ihre schmale Insel nicht im Mittelmeer, sondern in der Wüste von Nevada. Der Fuhrpark ist Ausdruck des Reichtums der Insel-Griechen, deren Pro-Kopf-Einkommen das vier- bis fünffache der türkischen Nachbarn beträgt.

Zu sehen, wie es auf der anderen Seite des Stacheldrahts aussieht, war drei Jahrzehnte lang nur Diplomaten und ein paar anderen Auserwählten vorbehalten. Erst seit einem Jahr gibt es den allgemeinen Grenzverkehr am Übergang Ledra-Palast, dem Checkpoint Charlie von Nikosia.

Das Ledra war einst das Luxushotel der Stadt. Heute ist das imposante Gebäude im Stil eines maurischen Palasts Teil der UN-Pufferzone. Der Weg zwischen den Schlagbäumen ist nun von acht Uhr morgens bis Mitternacht geöffnet und in fünf Gehminuten zu bewältigen.

Er führt vorbei an verwaisten Villen, aus deren Terrassen wilde Agaven wachsen. Das Alltagsleben ist hier vor Jahrzehnten stehen geblieben. Aber die Szenerie hat ihren Schrecken verloren, die Sperrgitter sind zur Seite geschoben.

Mobiltelefone funktionieren nicht

Nikosia
(Foto: Foto: Reuters)

Doch noch immer darf nicht jeder hier durch. Die griechischen Grenzwächter verweigern Personen, die "illegal", also über "türkisch besetztes Territorium" eingereist sind, den Zutritt. Das gilt auch für Touristen. Besucher aus dem Süden dagegen werden von den türkischen Posten nach kurzer Kontrolle durchgelassen.

Weil sie ihre Pässe präsentieren sollen, scheuen Beamte der griechisch-zyprischen Republik den Grenzübertritt. Sie halten das Zeigen des Dokuments bereits für eine Anerkennung des anderen für sie nicht existenten Staates.

Problematisch ist die Kommunikation zwischen den Insel-Teilen auch in anderer Hinsicht. Türkische Mobiltelefone funktionieren nicht im Süden, griechische nicht im Norden.

Von diesem Umstand profitiert der Grieche Nikos, dessen Kiosk der erste nach dem Ledra-Checkpoint ist. Nikos hat alle Güter des ersten Bedarfs. Cornflakes und Kaffee, Heiligen-Ikonen und vor allem ein Telefon. Dafür wechselt der freundliche Cafétier ständig Münzen ohne Murren.

Der Tag ohne Grenzladen

"Tamam" sagt Nikos, wenn der Kunde ein Türke ist. Das heißt so viel wie o.k. und Nikos sagt das oft, mit einem fragenden Lächeln. Über dem Telefonapparat hängen verblichene Notizzettel, die in ein Museum zyprischer Nationalgeschichte eingehen sollten, wenn der Grenzladen einmal schließen darf, weil sein Service nicht mehr gebraucht wird. Vor dem Telefon stehen Kunden aus dem anderen Teil der Stadt Schlange, und ihre häufigste Botschaft lautet: "Ich komme gleich".

Auch auf der türkischen Seite gibt es moderne Viertel. Die alte Stadt verfällt, bis auf ein paar Ecken, die mit Hilfe des international finanzierten "Nicosia Master Plan" renoviert wurden.

Dazu gehört das Quartier Arabahmet mit eindrucksvoll wiederhergestellten Häusern aus osmanischer Zeit. In die bröckelnden Bauten drumherum sind Zuwanderer vom "türkischen Mutterland" gezogen.

Sie nennen ihre schlichten Treffpunkte "Adana Café" oder "Antalya Pansiyon". Dort bleiben sie unter sich, weil sich einheimische Zypern-Türken und die ländlichen Zuzügler fremd geblieben sind.

Vom Erbe der Osmanen, die Zypern 1571 den Venetianern abnahmen, blieb eine prächtige Karawanserei, genannt genannt "Büyük Han", die große Herberge. Ihr Innenhof bietet schattige Kühle und ein beliebtes Restaurant. "Bidda Badadez" sollte man hier bestellen, gerolltes Pita-Brot mit Kartoffeln, Tomaten und Käse.

"Bidda Badadez" ist Zypern-Türkisch. Im Istanbuler Türkisch heißt es "Pita Patates". Türken wie Griechen auf Zypern sprechen Dialekte, die Türken aus der Türkei und Griechen aus Griechenland oft nur mit Mühe verstehen.

Bidda in Wien

Die junge Kellnerin in der Karawanserei ist eine Kurdin aus Diyarbakir und kann Deutsch. Ihr Freund, erzählt sie, sei Österreicher bei der UN, und wenn sie nicht Bürgerin eines neuen vereinigten EU-Zypern werde dürfe, mache sie mit dem Lebensgefährten lieber ein "Bidda"-Restaurant in Wien auf, als im geteilten Nikosia zu bleiben.

Lieber als Nikosia nennen die Türken ihre Stadt Lefkoscha und die Griechen Lefkosia, nach Lefkos, einem ägyptischen Königssohn, der sie 280 v. Chr. gründete.

Viele Herrscher haben danach Spuren hinterlassen. Richard Löwenherz kam 1191, und kurz danach, unter dem fränkischen Guy de Lusignan, bekam die Stadt den Namen Nikosia.

Wenn der UN-Puffer einmal fällt, wird man sehen können, welche Absurditäten das blutige 20. Jahrhundert in Nikosia abgelagert hat. Dazu gehören etwa 56 Toyotas, alle mit Kilometerstand 38,7. Vom Hafen Famagusta waren sie direkt in ein Autohaus im Zentrum gerollt.

Dort stehen sie hinter Stacheldraht noch immer, staubbedeckte 70er-Jahre-Träume, im toten Winkel zwischen den Welten.

>>> Wissenswertes über Zypern auf der folgenden Seite

Informationen:

Gesamtfläche Zyperns: 9251 Quadratkilometer

Einwohner: Der Süden des Landes, die Republik Zypern, hat 715 000, der Norden 210 000 Einwohner.

Währung: Zypern-Pfund (CYP), 1 CYP = 100 Cent, 1 Euro entspricht 0,58 CYP Klima: Mediterran. Die Durchschnittstemperatur im Januar beträgt zehn Grad, im Juli 28 Grad.

Küstenlänge: 648 Kilometer

Höchster Berg ist der Olymp mit einer Höhe von 1951 Metern.

Gäste aus dem Ausland: knapp drei Millionen im Jahr

Telefonvorwahl (Südzypern): 00357

Fremdenverkehrsamt (für Südzypern): Fremdenverkehrszentrale Zypern, Wallstr. 27, 10179 Berlin, Tel.: 030/23 45 75 90, www.cyprustourism.org

Deutsche Botschaft: 10 Nikitaras Street, 1080 Nikosia, Zypern, Tel.: 00357/22 45 11 45; www.deutschebotschaft-nikosia.org.cy

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