Zuwachs an Klettersteigen:Auf dem Eisenweg

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Seit 40 Jahren ist der passionierte Berggänger Eugen Hüsler auf Klettersteigen in den Alpen unterwegs. Dem Zuwachs an immer neuen Strecken steht er skeptisch gegenüber.

Dominik Prantl

In seinen Jugendjahren wollte Eugen E. Hüsler eigentlich Schriftsteller werden. Er fuhr die Pässe der Alpen mit dem Fahrrad ab und entdeckte vor 40 Jahren die Klettersteige. Inzwischen hat der im oberbayerischen Dietramszell lebende Schweizer 70 Bücher zu alpinen Themen verfasst, darunter 20 Klettersteigführer. Vor wenigen Tagen feierte der passionierte Berggänger seinen 65. Geburtstag. Hüsler gilt heute als der Experte zum Thema Eisenwege. Ein Gespräch über eine schwindende Liebe.

SZ: Herr Hüsler . . . oder müssen wir Sie mit "Klettersteigpapst" ansprechen?

Hüsler: Tatsächlich habe ich schon Briefe mit dem Anschreiben "Lieber Klettersteigpapst" erhalten. Aber so päpstlich fühle ich mich noch nicht.

SZ: Was muss man mehr bewundern: Ihre Beharrlichkeit oder Ihre Spürnase, vor bereits vier Jahrzehnten mit Klettersteigen einen heute enormen Markt erkannt zu haben?

Hüsler: Keines von beiden, denn meine erste Begegnung mit einem Klettersteig war purer Zufall. Beim Versuch, in den Dolomiten klettern zu gehen, trafen wir auf ein Drahtseil. Ich als Schweizer dachte, es wäre ein Blitzableiter vom Gipfel. Wir sind deshalb tunlichst davon weggeblieben.

SZ: Es ist überliefert, dass diese erste Klettersteig-Erfahrung des Eugen Hüsler am Tag der Mondlandung stattfand.

Hüsler: Das war tatsächlich am 20. Juli 1969. In der darauf folgenden Nacht haben wir die Übertragung der Mondlandung am Campingplatz von Cortina angeschaut. Es gab damals also einen großen Schritt für die Menschheit und einen ganz ganz kleinen für Eugen Hüsler.

SZ: Konnten Sie sich damals vorstellen, sich zum "Klettersteigpapst" zu entwickeln, als der Sie heute in der Bergszene firmieren?

Hüsler: Überhaupt nicht. Ursprünglich wollte ich ja Schriftsteller werden! Ich bin damals allerdings oft alleine in die Berge gegangen. Zum Klettern braucht man einen Seilpartner, Klettersteige aber eignen sich für Alleingeher sehr gut. Die Idee, einen Führer über dieses Thema zu schreiben, kam dann erst sehr viel später. Ein kleiner Verlag in Innsbruck veröffentlichte 1982 meine "Dolomiten-Klettersteige".

SZ: Wie viele Routen haben Sie darin beschrieben?

Hüsler: Etwa 80. In den Dolomiten war der Bau von Klettersteigen zu dieser Zeit beinahe abgeschlossen. Außerhalb davon existierten nur vereinzelt ein paar wenige. In meinem ersten Klettersteigatlas von 1996 waren es alpenweit dann schon 480 Routen. Jetzt sind es 1000.

SZ: Sind Sie die alle selbst gegangen?

Hüsler: Um Gottes willen, nein. Ich habe in meinem Leben zwar sicher mehr als 1000 Klettersteige begangen, aber manche davon drei, vier, fünf Mal. 1980 hatte ich wohl noch 90 Prozent aller Klettersteige angesehen.

Aber in Frankreich sind sie eine Zeitlang regelrecht aus dem Boden geschossen, und derzeit werden alpenweit pro Jahr vermutlich etwa 50 Klettersteige gebaut, von Marseille bis Wien. Da kommt man gar nicht mehr nach mit dem Begehen.

SZ: Was ist der Grund für diese inflationäre Erschließung der Felsen?

Hüsler: In den Achtzigern hatte ich das Gefühl, das Thema hätte sich totgelaufen. Doch dann entdeckten die Touristenorte die Klettersteige, und damit stand ein ganz anderes finanzielles Potential zur Verfügung. Früher haben die Bergführer in mühevoller Arbeit ein Seil verlegt, um die Normalwege auf große Berge sicherer und leichter zu machen.

In den neunziger Jahren wurden Klettersteige von den Franzosen dann mit dem Ansatz neu erfunden: Wir brauchen keine Klettersteige für Bergsteiger, sondern wir machen Klettersteige auch für weniger bergaffine Touristen, um das Sommergeschäft aufzumotzen. Es gibt Zahlen, die belegen, dass man mit einem guten Klettersteig 5000 bis 7000 Leute pro Sommer locken kann.

SZ: Was finden Touristen so toll an diesen Klettersteigen?

Hüsler: Klettersteige sind eine Art Hochseilgarten am Fels mit Seilbrücken und Drahtgittern. Das Prinzip: Zustieg in zwei Minuten, dann gleich das erste Eisen, und das letzte Eisen, wenn man fast wieder unten ist - das alles möglichst sicher und vordergründig spannend.

Diese Tendenz, Klettersteige mit immer spektakuläreren Elementen aufzurüsten, setzt sich nun in den Ostalpen durch. Es geht mehr um das Spektakel und den Nervenkitzel als ums Bergsteigen.

SZ: Ist dieser neue Charakter die wichtigste Veränderung?

Hüsler: Vor allem haben Klettersteige heute einen ganz anderen Stellenwert. Zu meiner Anfangszeit waren sie die Schmuddelkinder des Alpinismus. Die Wanderer haben nicht hingeschaut, die Kletterer haben sowieso auf sie herabgeschaut, und die Alpenvereine haben sie gerade mal so toleriert.

SZ: Gerade weil es kaum mehr ums Bergsteigen geht, sind Klettersteige für viele Alpinisten noch immer die Schmuddelkinder.

Hüsler: Aber die Rolle hat sich dennoch gewandelt. Innerhalb der Kletterszene gibt es immer unterschiedliche Meinungen, und zwar zu allen Alpindisziplinen. Die Mehrheit sieht heute aber durchaus ein, dass Klettersteige ihre Daseinsberechtigung haben.

SZ: Sind Sie ob der Entwicklung nicht manchmal sogar selbst zwiegespalten?

Hüsler: Sowieso. Ehrlich gesagt, gab es bei mir früher mehr Pro-Haltung. Als ich das Klettersteiggehen für mich entdeckte, war es eine Faszination, ich war fast abhängig davon und konnte mit meiner Spürnase - um darauf zurückzukommen - jedes Drahtseil in den Bergen ausmachen.

Heute ergibt die Route von manchem Sportklettersteig oft gar keinen Sinn mehr. Da führt der Weg eher wieder aus den Bergen heraus.

SZ: War die Grundsatzentscheidung des Deutschen Alpenvereins vor zwei Jahren richtig, künftig am Bau von Klettersteigen mitzuwirken?

Hüsler: Das war überfällig. Denn die Abwehrhaltung des DAV hat nur in den bayerischen Alpen funktioniert, wo kaum Klettersteige angelegt wurden. Die Orte in Österreich dagegen taten etwas gegen das Image der Alpen als Seniorenheim mit ihren Klettersteigen, da diese jüngere Generationen ansprechen.

Gerade in der Nähe vieler DAV-Hütten wurden etliche Eisenwege gebaut - die Sektionen haben dann Klettersteigwochen für ihre Mitglieder angeboten. Es gab also einen Bedarf, dem sich der Alpenverein jahrelang verweigerte.

SZ: Sie zählen nicht mehr zu dieser jüngeren Generation. Was fasziniert Sie immer noch an Klettersteigen?

Hüsler: Sie sind ein Weg in die Berge und deshalb so faszinierend, weil sie mich direkt in unglaubliches Felsgelände führen. Ich liebe die Steige, die irgendwo im Hochgebirge verlaufen und neben der sportlichen Herausforderung ein maximales Landschaftserlebnis bieten. Und ich mag es, wenn ein Klettersteig auf einem Gipfel endet. Sie sind jedoch ein Aspekt der Berge, der mich früher mehr interessierte. Ich muss mich heute nicht mehr über jeden Überhang winden.

SZ: Hand aufs Herz: Hängen Sie Ihre Sicherung immer ins Seil ein?

Hüsler: Nein. Ich habe da eine gewisse Erfahrung, was Klettersteige angeht.

© SZ vom 24.9.2009/dd - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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