Interview mit Daniel Glattauer:„Den Luxus der ersten Klasse brauche ich nicht“

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Daniel Glattauer, hier am Wiener Westbahnhof, ist viel im Zug unterwegs und lässt sich dabei inspirieren. (Foto: Titus Arnu)

Der Bestsellerautor Daniel Glattauer fährt gerne mit dem Zug und lässt sich von Zufallsbegegnungen inspirieren. Ein Gespräch über fließende Gedanken und den Morgenkaffee im Speisewagen.

Interview von Titus Arnu

Der neue Roman des österreichischen Schriftstellers Daniel Glattauer „In einem Zug“ spielt auf der Schiene. Die Rahmenhandlung: Ein bekannter Liebesroman-Autor mit Schreibblockade fährt mit der Bahn von Wien nach München zu einem Termin bei seinem Verlag. Dabei trifft er eine Psychologin. Sie fragt ihn aus – über sein Liebesleben, Sex und die vielfältigen Probleme eines alternden Autors. Biografische Bezüge nicht ausgeschlossen: Der 64-jährige Daniel Glattauer war mehr als 20 Jahre lang Journalist beim Standard, ist seit 2009 freier Autor und landete mit Romanen wie „Gut gegen Nordwind“ und „Alle sieben Wellen“ Bestseller, die auch verfilmt wurden. Seine Bücher wurden in 40 Sprachen übersetzt. Glattauer stellt seinen neuen Roman „In einem Zug“ am 22. Januar im Münchner Literaturhaus vor. Höchste Eisenbahn also, ein Gespräch mit ihm über den Zauber und die Strapazen des Zugfahrens zu führen – bei einem Treffen am Wiener Westbahnhof.

SZ: Können Sie sich an eine Zugfahrt in Ihrer Kindheit erinnern, die Sie geprägt hat? Gab es eine Strecke, die Sie öfters gefahren sind?

Daniel Glattauer: Wir sind früher öfters mit meiner Mutter nach Kärnten in Urlaub gefahren, sie ist gebürtige Kärntnerin, von Wien aus eine provinzielle Strecke über Klagenfurt und Bleiburg. Unsere Mutter war da immer sehr nervös. Mir ist noch fast traumatisch in Erinnerung, dass zwischen den Waggons sich übereinander schiebende Metallplatten waren, durch die man die Gleise sehen konnte. Ich hatte als Kind immer Panik, da durchzufallen. Das gleiche Problem hatte ich mit Zugtoiletten früher, durch deren Klappe man auf die Gleise schauen konnte, das fand ich angsterregend. Aber später war Bahnfahren für mich auch ein großes Abenteuer.

Wann ging das los?

Das hat so mit 17 Jahren angefangen, als ich das erste Mal mit Interrail unterwegs war, in den Jahren danach dann noch mehrmals. Das war ja damals die Chance für Jugendliche, dass man relativ günstig durch Europa tourt. Weil wir alles in möglichst kurzer Zeit sehen wollten, saßen wir permanent im Zug. Da kann ich mich erinnern an überfüllte Züge, unfreundliche Schaffner, Chaos, aber auch an Begegnungen mit Interrailern aus anderen Ländern. Da hat man dann mit einer Flasche Wein die Nächte durchgemacht im Zug und ist völlig erschöpft am Morgen irgendwo angekommen. Wenn die Unterkünfte überfüllt oder zu teuer waren, haben wir uns einfach in den nächsten Zug gesetzt und sind über Nacht weitergefahren.

Gibt es eine Bahnfahrt mit einer außergewöhnlichen Begegnung, die Sie zu Ihrem neuen Buch inspiriert hat?

Nein. Ich hatte einfach die Idee, meine Figur in die Bahn zu setzen, weil ich mir dadurch Bewegung und einen gewissen Schub für die Handlung erwartet habe. Und ich mag dieses formal schmale Setting eines Zugabteils: enger Raum, wenig Personen.

Daniel Glattauer fährt selbst immer zweiter Klasse: "Da ist es lebendiger." (Foto: Heribert Corn)

Heutzutage reisen Sie sicher gediegener und besser geplant. Wann nervt Sie Bahnfahren, wann ist Bahnfahren schön?

Es ist schön, wenn man einen Sitz hat, der unumstritten ist, wenn man seine Ruhe hat, wenn der Zug fährt und nicht steht, wenn man keine Verspätung hat und nicht zittert, ob man den Anschluss verpasst. Am schönsten ist es für mich, wenn ich dabei Musik höre. Manchmal lernt man jemanden kennen, das kann dann interessant sein, muss aber nicht.

 Gibt es einen Bahnhof, den Sie besonders gerne mögen?

Da erinnere ich mich auch wieder an die Interrail-Zeit: Eines Morgens bin ich in Monaco angekommen, ausgestiegen und habe gestaunt, wie gepflegt dort alles ist. Es hat gut gerochen, und alles war sauber. In den reicheren Ländern sind die Bahnhöfe natürlich besser, zum Beispiel in der Schweiz, das ist sicher eine Faustregel. Kleine Bahnhöfe in der Provinz sind angenehmer als riesige, auf denen man sich nicht zurechtfindet. Aber einen Lieblingsbahnhof habe ich nicht.

Fahren Sie erster oder zweiter Klasse?

Immer zweiter Klasse. Den Luxus der ersten Klasse brauche ich nicht, außerdem sind doch die interessanteren Leute in der zweiten Klasse – wenn man nur vom optischen Eindruck ausgeht. Auf der Westbahn-Strecke, die ich am häufigsten benutze, sieht man normale Leute, Studenten, Familien, es ist lebendig.

Lebendig? Die meisten Leute starren doch beim Zugfahren in ihre elektronischen Geräte und haben Kopfhörer auf.

Das stimmt. Früher hat man noch Zeitungen und Bücher gelesen oder gar miteinander geredet. Heute ist es im Zug eher wie im Büro.

Sind Sie gerne in einem fahrenden Büro unterwegs?

Ich kann verstehen, wenn berufstätige Leute oder Studenten die Zugfahrt auch als Arbeitszeit benutzen. Es gibt allerdings Menschen, die ständig im Tun sein müssen. Das ist keine gute Entwicklung, finde ich, das macht einen nicht glücklich. Ich brauche es jedenfalls, auch einmal durchatmen zu können. Dafür ist der Zug im Idealfall gut geeignet. Ich bin ein Denkpausenmensch.

Das heißt, Sie arbeiten nicht gerne im Zug?

Nein. Ich habe genug Zeit und Raum zu Hause, um dort zu arbeiten. Im Zug beobachte ich lieber andere Leute oder schaue einfach aus dem Fenster. Ich bin ein gedankenverlorener Mensch, ich grübele gerne, und dafür ist der Zug ein idealer Ort. Wenn draußen alles vorbeifließt, fließen bei mir auch die Gedanken. Es ist so, als würde einem durch die Geschwindigkeit des Zuges die Trägheit weggerissen.

Entstehen dabei auch Ideen für Figuren?

Vielleicht. Das Beobachten von Menschen ist im Zug besonders ergiebig.

Fangen Sie Gespräche an mit Mitreisenden, um Geschichten zu sammeln?

Ich bin da eher zurückhaltend. Eigentlich möchte ich selbst lieber meine Ruhe haben. Selten, dass ich mal ein Gespräch beginne. Es kommt beim Zugfahren aber auch manchmal zu Ereignissen, die einen automatisch ins Gespräch bringen mit den Sitznachbarn – eine plötzliche Vollbremsung etwa.

Ihre Hauptfigur Eduard Brünhofer lässt sich im Zug ziemlich viel Privates entlocken. Worüber würden Sie mit einer Ihnen fremden Person im Zug sprechen, worüber nicht?

Privates oder gar Intimes würde ich im Zug nie preisgeben. Es könnte aber schon passieren, dass ich jemanden so interessant und originell finde, dass sich vielleicht doch ein tiefergehendes Gespräch entwickelt. Das kommt auf die Person und die Situation an.

Der Erzähler Ihres neuen Werks wird, wie Sie, immer am großen Erfolg seiner ersten Liebesromane gemessen. Ist die literarische Zugfahrt auch ein Versuch, dem zu entkommen? Oder es satirisch zu verarbeiten?

Im Gegensatz zu mir hat meine Figur den Fehler gemacht, nur noch Liebesromane zu schreiben. Auch mein neues Buch ist kein Liebesroman, eher eine Satire auf Liebesromane.

Welches Höflichkeitslevel erwarten Sie von Zugreisenden? Soll man sich zum Beispiel grüßen und verabschieden?

Ich begrüße Leute immer, wenn ich in ein Abteil komme und mich hinsetze. Nicht, weil ich unbedingt mit jedem ein Gespräch anfangen möchte, einfach weil ich ein netter Zeitgenosse sein will. Das wünsche ich mir auch von anderen.

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Und was stört Sie an Mitreisenden?

Es ärgert mich, wenn jemand glaubt, er ist allein auf der Welt. Wenn ich im Zug angerufen werde, ist mir das fast peinlich, anderen ist das völlig wurscht. Sie sind raumerfüllend mit ihren Gesprächen und sehen die anderen gar nicht. Das ist bei einer Zugreise besonders unangenehm.

Wie reagieren Sie, wenn jemand besonders nervt?

Am besten ist es, wenn sich Allianzen bilden mit anderen Mitreisenden und man denjenigen oder diejenige anspricht, dass sich alle gestört fühlen, etwa weil die Telefonate zu laut und zu lang sind.

Was kann Sie von Ihrem Sitz vertreiben?

Wenn jemand den Ton am Handy laut stellt und durch Videos scrollt oder laute Musik hört. Das finde ich unerträglich, weil ich immer geräuschempfindlicher werde. Pech ist auch, wenn ein Fußball-Fanklub einsteigt. Gegen eine grölende Gruppe kommt man schwer an. Auch wenn ich das Alkoholtrinken im Zug in meinem Buch verteidige: Bier trinkende Betrunkene, die im Zug herumwanken, sind kein schöner Anblick.

Nägel lackieren, Eier pellen, Schuhe ausziehen – was geht gar nicht im Zug?

Alles, was mit Gerüchen verbunden ist, die ich nicht mag. Leberkässemmeln essen muss nicht sein. Wenn mich etwas zu sehr stört, würde ich mich allerdings eher auf einen anderen Platz setzen, als Streit anzufangen.

Wie verpflegen Sie sich im Zug? Nehmen Sie ein belegtes Brot in der Tupperbox mit oder gehen Sie lieber in den Speisewagen?

Es kommt drauf an, wie lange die Reise dauert. Generell bin ich nicht derjenige, der sich selbst versorgt. Und diese fahrenden Kioske geben meistens nicht besonders viel her. Also gehe ich lieber in den Speisewagen. Da esse ich dann gerne etwas Unkompliziertes wie Würstel mit Kren oder ein belegtes Baguette. Und wenn ich morgens unterwegs bin, freue ich mich auf den ersten Kaffee im Zug. Frühstücken in der Bahn finde ich etwas Schönes.

Von „Orient Express“ über „Der Tunnel“ von Dürrenmatt bis „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“: Die Bahn ist immer wieder literarisches Thema. Ist die Eisenbahn ein gutes Transportmittel für Geschichten?

Zugfahren ist aus meiner Sicht in vielfacher Hinsicht inspirierend. Da ist zum einen der Bewegungsfluss, der auch die Gedanken in Schwung bringt. Es ist ein Ort, an dem man mit Fremden über mehrere Stunden zufällig zusammenkommt, daraus können sich Gespräche und Geschichten entwickeln. Und dann gibt es auch einen Romantik- und Nostalgiefaktor.

Nostalgische Eisenbahnromantik wird ja auch touristisch vermarktet, können Sie die Faszination für besonders luxuriöse Bahnfahrten nachvollziehen?

Als ich noch als Journalist gearbeitet habe, bin ich mal eingeladen worden zu einer Fahrt im Eastern & Oriental Express. Das ist ein Luxuszug mit wunderschönen alten Waggons, der von Singapur nach Bangkok fährt. Als man dann mit dem Sektglas in der Hand die Slums vorbeiziehen sah, ist mir irgendwie die Freude vergangen. Ich habe dann einen Artikel darüber geschrieben, wie ich diese Dekadenz empfunden und missbilligt habe.

Ihr Zug-Roman ist mit satirischen Kommentaren über die Bahn gespickt. In Deutschland ist Spott über die Bahn in Mode, wahrscheinlich zu Recht, weil tatsächlich viel schiefläuft. Ist die Bahn wirklich so schlecht wie ihr Ruf?

Für Deutschland kann ich das nicht beurteilen, dort bin ich zu selten unterwegs. Aber generell fahre ich sehr gerne Bahn, und ich finde, man müsste noch viel mehr Verkehr auf die Schiene bringen. Bahnfahren ist für mich entspannender als Autofahren. Ein Stau auf der Autobahn ist für mich so viel grausamer als eine Verspätung oder ein verlängerter Halt in einer Station. Außerdem ist es die eindeutig höhere Lebensqualität, Passagier zu sein, der auch nach links und rechts schauen kann, und nicht nur sein eigener Chauffeur mit starrem Blick nach vorn.

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