Zu Besuch auf Islay:Insel der Glückseligkeit

Das schottische Hebriden-Eiland beherbergt nicht weniger als sieben Whisky-Destillen. Trotzdem bleibt noch Platz für Torffelder, historische Denkmäler, Schafe - und 3000 Einwohner.

Von Andreas Schätzl

"Der Arzt hat mir viel Flüssigkeit verordnet", dröhnt es im Brustton der Überzeugung aus Iain heraus. Der kauzig anmutende Ileach - also ein Einwohner der südlichsten Insel der Inneren Hebriden, Islay geheißen und vor der schottischen Westküste gelegen - scheint was auf den Rat seines Doktors zu geben, denn einem zielsicheren Griff in seinen Rucksack folgt ein beherzter Schluck aus der zu Tage geförderten Taschenflasche. Die Größe dieses Gefäßes legt im übrigen die Vermutung nahe, dass Taschen auf Islay geräumiger sind als andernorts.

Zu Besuch auf Islay: Iain, von Beruf Torfstecher. Die leere Flasche im Torf stammt nicht von ihm. Sagt er.

Iain, von Beruf Torfstecher. Die leere Flasche im Torf stammt nicht von ihm. Sagt er.

(Foto: Foto: Andreas Schätzl)

Und der Inhalt: "It's the real stuff, just from home", verrät Iain, und damit ist klar: Sein ärztlich verordneter Flüssigkeitspegel wird derzeit von Single Islay Malt Scotch Whisky geregelt, echtem schottischen Malzwhisky, auf der Insel gebrannt und idealiter auch dort gelagert und in Flaschen abgefüllt.

Vom Torf zum "beer"

Iains Arbeit ist denn auch wirklich schweißtreibend: Er sticht Torf. Nicht für den heimischen Herd, sondern um damit Gerstenmalz zu darren, bevor dieses - fein gemahlen, mehrfach mit heißem Wasser aufgegossen und schließlich mit Hefe versehen - "wash" bzw. "beer" ergibt.

Das ist eine dem bekannten Grundnahrungsmittel nicht unähnliche, milchig-weiße Flüssigkeit, die schließlich in kupferne Brennblasen (wiederum ähnlich denen bei der Bierherstellung) geleitet wird, wo zwei separate Destillationsdurchgänge das ergeben, was in Eichenfässer abgefüllt wird und nach frühestens drei Jahren Lagerung Malt Whisky genannt werden darf.

Industrialisierungs-Tendenzen

Nein, sagt Iain, keine Destille mehr auf Islay stelle ihr Malz ausschließlich selber her, das sei heutzutage viel zu aufwändig und zu teuer und könne in der riesigen Mälzerei von Port Ellen im Süden der Insel viel besser bewerkstelligt werden.

Aber ein bisschen was mache man hier und da schon noch selbst. Nicht nur der Touristen wegen, die beeindruckt auf die lodernden Torffeuer in den Darröfen und die von blauem Torfqualm durchwirkten Malzhäufen darüber schauen. Iain schwört darauf, dass selbst hergestelltes und gedarrtes Malz dem Geschmack des Whiskys eine zusätzliche Note, eine Finesse verleiht, sozusagen das Salz im "beer" ist.

Ein Dornröschen-Whisky

Erste Geschmacksproben des Stoffs lassen indes kaum auf Salz schließen. Auch nicht nach ausgiebigerem Eindrückesammeln. Dieses ermöglicht Donald Renwick. Der ist eigentlich Manager der ziemlich bekannten und unter Kennern hoch verehrten Lagavulin-Destille an der Südwestküste des Eilands. Aber er betreut auch eine Anlage, die bisher einen Dornröschenschlaf schlummerte: Caol Ila ("Kall Iela" ausgesprochen; so wie der Ileach seine Heima(l)tinsel auch "Eila" nennt).

Dabei ist Caol Ila eine viel größere Destille, deren Produktion an Malzwhisky etwa die von Lagavulin um ein Mehrfaches übersteigt. Aber genau das ist der Grund für den geringen Bekanntheitsgrad des mächtigen Komplexes mit der beeindruckenden Reihung von Brennblasen und dem fantastischen Ausblick auf die Nachbarinsel Jura (wo George Orwell "1984" zu Papier brachte).

Blends für die Masse(n)

Mehr als 90 Prozent der Produktion gehen nämlich ins "Blending". Das heißt, sie fließen - zusammen mit dem Malzwhisky aus vielen anderen Brennereien und sehr viel einfachem, aber preiswert herzustellendem Neutralsprit - in Blended Whiskies, die wiederum bei weitem das Gros des weltweit konsumierten Whiskies ausmachen.

Bekannte Größen sind hier Johnnie Walker, Ballantines, Teacher's, Grant's, J & B oder auch, ja wirklich, Racke rauchzart. Damit wird das meiste Geld gemacht, und entsprechend wenig konnte Caol Ila bisher demonstrieren, wie gut ihr Whisky auch als Single Malt, als Produkt einer einzigen Destille, bestehen kann.

Also zurück zum Stoff. Donald kredenzt verschiedene Erscheinungsformen des Caol Ila: einen hellen Zwölfjährigen, bei dem der Torf fast aus dem Glas rieselt, einen dunkleren und zurückhaltenderen, aber vielschichtigeren 18-Jährigen und einen trügerisch blassen "Cask Strength". Das bedeutet Fassstärke, in diesem Fall rund 55 Prozent Alkoholstärke. Halleluja!

Liebenswürdig und eigensinnig

Während der unschuldige Whisky-Novize angesichts solcher Attacken erst einmal nach Luft schnappt und zum verdünnenden Wasser greift (torfig bräunlich und wunderbar duftend), erzählt Donald von Islay. Dass der Golfstrom für ein überraschend mildes Klima mit erträglichen Wintern sorge. Dass hier einmal 8000 Leute gelebt haben, aber viele auswandern mussten, weil es mit der Fischerei, dem Getreideanbau und auch mit der - zunehmend automatisierten - Whiskyproduktion bergab ging.

Dass Islay - natürlich - immer schon etwas Besonderes gewesen sei, mit besonders netten, offenen und gastfreundlichen Insulanern. Dass die Individuen hier herzensgut und hilfsbereit seien, aber kaum zu effektiver Zusammenarbeit bewegt werden könnten. So habe man sich in drei Jahren nicht auf ein Logo auf Briefbögen des Fremdenverkehrsamts einigen können...

Keltisches Erbe

Donald weiche Stimme nimmt dann einen fast beschwörenden Ton an, als er auf das Kildalton Cross zu sprechen kommt, eines der ältesten keltischen Hochkreuze in ganz Großbritannien, das weit im Südosten der Insel aufragt, inmitten eines alten Friedhofs, der viel später darum herum angelegt wurde. Das sei ein mystischer Ort, mit einer Ausstrahlung, die - je nach Besuchertypus - heilig oder auch bedrohlich wirke.

Dessen ungeachtet ist der Novize derweil mit sich selbst auf wohltuend unkomplizierte Weise im Reinen. Das "aqua vitae", das Wasser des Lebens, wie auch Whisky heißt, bringt Wärme, Wohlbefinden und Harmonie. Dass der Single Malt hier so besonders trefflich mundet, hat wohl auch damit zu tun, dass Getränke stets dort am besten schmecken, wo sie gemacht werden. Aber uns ist auch klar, dass Iains Arzt ein sehr weiser Mann ist, dessen Ratschlägen man sich auf gar keinen Fall verschließen darf.

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