Zeitreisen auf Städtereisen:Paläste der Aufklärung

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Wien, Paris, New York: Die schönsten und größten naturhistorischen Museen der Welt sind Schaukästen der Evolution und spiegeln den Zeitgeist ihrer Gründer.

Von Jean-Pierre Sylvestre

Naturhistorische Museen sind in den Kapitalen der Welt - etwa in Berlin, Brüssel, London, Moskau, Washington, Ottawa - omnipräsent. Man findet sie auch in einigen großen europäischen Städten, insbesondere in Deutschland und in Frankreich. Es sind dies meist Tier-, Gesteins- und Fossiliensammlungen oder Herbarien, die Forschungsreisende in mehreren Jahrhunderten zusammengetragen haben. Die bedeutendsten wissenschaftlichen Exponate fanden dabei stets ihren Weg in die Museen der Hauptstädte - dorthin, wo die Macht sitzt.

Die Stadt Wien nennt eines der größten naturhistorischen Museen Europas ihr eigen und, zweifelsohne, das schönste weltweit. Das Naturhistorische Museum Wien (NHM) befindet sich im Herzen der österreichischen Hauptstadt, unweit vom Museumsquartier, dem Parlament und dem Rathaus. Erbaut zwischen 1871 und 1881, wurde es von Kaiser Franz Josef I. im Jahr 1889 eröffnet. Architektur und Innenausstattung sind ebenso prächtig wie seine Sammlungen. Es ist ein veritabler Palast der Wissenschaft, der eine der größten zoologischen, botanischen und geologischen Sammlungen Europas beherbergt.

Jede Halle, jeder Saal, jeder Raum ist mit Statuen, Gemälden und Stuckarbeiten verziert. Stets verweisen die Dekors inhaltlich auf die dort ausgestellten Sammlungen. So sieht der Besucher im Saal für die wirbellosen Meerestiere Dekors von Muscheln, Kraken und Quallen. Entsprechend zieren in den Sälen, die der Paläontologie gewidmet sind, prähistorische Tiere und Pflanzen die Wände. Folglich ist es unmöglich, die Sammlungen zu verändern. Und so sind die Säle, durch die heutige Besucher wandeln, exakt die gleichen wie am Ende des 19. Jahrhunderts. Das NHM ist also mehr als ein naturkundliches Museum, es ist zugleich ein Kunstmuseum - und das macht es einmalig.

Der Bestand des NHM umfasst circa 25 Millionen wissenschaftliche Exponate. Weniger als zehn Prozent davon wird der Öffentlichkeit gezeigt. Der Rundgang beginnt im Hochparterre mit den Mineralien, der Erdgeschichte und den Fossilien. Hier befindet sich die größte und bedeutendste Meteoritensammlung der Welt - 8500 Exponate von 2500 Fundstellen. Interessierte aus aller Welt reisen nach Wien, einzig um diese einmalige Sammlung bewundern zu können. Eine Attraktion für Kinder sind die Paläontologie-Säle, mit Fossilien und Skeletten prähistorischer Tiere. Besonders der Dinosauriersaal mit großen Skeletten und Rekonstruktionen von amerikanischen Dinosauriern begeistert Groß und Klein. Die zoologische Sammlung ist mit 800 000 Exemplaren einzigartig. Noch heute werden sie dem Besucher in einer "viktorianischen Ausstellung" gezeigt, das heißt so, wie man in der Gründerzeit des NHM dem Publikum die Vielfalt und Exotik der damals noch weitgehend unbekannten Tierwelt präsentierte. In systematischer Ordnung sind die Tiere in kunstvoll mit Beschlägen und Ornamenten verzierten Vitrinen zusammengestellt. Im ersten Stock: Wirbellose, Insekten, Fische, Amphibien, Vögel und Säugetiere. Im Saal mit den Knorpelfischen sind in einem gigantischen Glasgehäuse 15 präparierte Haie wie in einem Aquarium zu sehen, darunter ein Riesenhai und ein großer weißer Hai. Nur ein paar Schritte weiter: der Quastenflosser, ein äußerst seltenes lebendes Fossil; das NHM zeigt ein Skelett und ein präpariertes Exemplar.

Nach Vereinbarung können Besucher unter wissenschaftlicher Führung auch die Kellerdepots besichtigen. Dort sind etwa in einem gigantischen Kühlhaus Tausende präparierte Tiere gelagert, darunter ausgestorbene Arten - echte Raritäten wie der Blaubock aus Südafrika und das Quagga, ein Steppenzebra. Oder man steigt aufs Dach zu einem kulturhistorischen Spaziergang: Gemeinsam mit den überlebensgroßen Statuen der großen Naturforscher des 18. und 19. Jahrhunderts blickt man dann herunter auf die Altstadt im Abendlicht.

Frankreichs Hauptstadt hat neben London eines der ältesten naturhistorischen Museen der Welt. Gegründet wurde es während der Französischen Revolution, die Machthaber dieser Epoche hatten entschieden, sämtliche königlichen Sammlungen sowie die "Cabinets" von Privatsammlern an einem Platz zusammenzutragen. Als Ort wählte man den ehemaligen Königlichen Garten der Heilpflanzen, den heutigen Jardin des Plantes. So entstand im Jahr 1793 das Musée national d'Histoire naturelle de Paris (MNHN). Dort, im Jardin des Plantes, befindet sich der weitaus größte Teil der Sammlung. Sie umfasst sage und schreibe 62 Millionen Exponate und ist in Galerien, die im Grunde Museen für sich sind, unterteilt. Im Musée de l'Homme du Trocadéro gegenüber dem Eiffelturm befinden sich die Anthropologischen und Paläanthropologischen Sammlungen. Aushängeschild des MNHN ist aber ohne Frage die Galerie der Vergleichenden Anatomie und der Zoologie. Sie zeigt eine weltweit einmalige Sammlung, mit einigen Tausend Wirbeltierskeletten - von der gewöhnlichen Maus bis zum Wal. Diese Ausstellung im viktorianischen Stil teilt sich den Saal mit der Paläontologie. Dutzende prähistorischer Tierskelette sind im Saal zu besichtigen. Und in der Grande Galerie der Evolution taucht der Besucher ein in den Reichtum der Fauna der ganzen Welt.

Die Afrika-Halle im New Yorker Museum mit ihren naturgetreuen Dioramen sucht ihresgleichen

Die zwei größten staatlichen naturhistorischen Sammlungen der Vereinigten Staaten befinden sich in Washington (Smithsonian Institution) und in New York. Das New Yorker American Museum of Natural History (AMNH), 1877 eingeweiht, ist das größte Museum Nordamerikas und gilt als eines der größten der Welt. Es liegt mitten in Manhattan am westlichen Eingang zum Central Park. Das AMNH hat einen Bestand von 32 Millionen Exponaten. Ein winziger Bruchteil davon wird auf vier Ebenen in 45 Ausstellungshallen gezeigt. Berühmtheit erlangt haben die Säle mit den Dinosauriern, den afrikanischen Säugetieren und den Meerestieren. Schon die Eingangshalle vermittelt eine Idee von den Dimensionen dieses Museums. In der Theodor-Roosevelt-Rotunda spielt sich eine dramatische Szene aus der Urzeit ab: Ein gigantischer Barasaurus verteidigt sein Junges gegen den Angriff eines Allosaurus.

Berühmtheit erlangt hat die Akeley Hall of African Mammals, eröffnet 1936. Diese Halle birgt die weltweit schönste Ausstellung afrikanischer Säugetiere. Dominiert wird der Saal von einer Herde mit sieben afrikanischen Elefanten. Darum herum befinden sich Vitrinen mit Dioramen: Schaukästen mit kunstvollen und naturgetreuen Rekonstruktionen, die afrikanische Tiere in ihrer natürlichen Umgebung zeigen.

Auch die amerikanischen Säugetiere nehmen mit der Schau in der Bernard Family Hall of American Mammals einen wichtigen Platz im AMNH ein. Bei Weitem die größte Halle ist indes den Meerestieren gewidmet. Sie zeigt die marine Fauna des ganzen Planeten. Besonders spektakulär: das Modell eines Blauwals in Lebensgröße, der mit seinen 28 Metern Länge im Deckengewölbe über der hohen Halle hängt.

Während die Fauna und Flora der Gegenwart drei Etagen belegen, ist die vierte Etage den prähistorischen Tieren vorbehalten. Zwei riesige Säle sind den Dinosauriern gewidmet: an die dreißig vollständige Skelette drängen sich dort imposant zusammen. Es ist dies eine der umfassendsten paläontologischen Sammlungen, die der Öffentlichkeit zugänglich ist. Doch dieses New Yorker Museum hat mit seinen volkskundlichen Sammlungen von Völkern aus der ganzen Welt auch einen bedeutenden anthropologischen, ethnologischen und nicht zuletzt geologischen Schwerpunkt: Der größte Meteorit der Erde ist in der Arthur Ross Hall of Meteorites ausgestellt. Entdeckt wurde er im Jahr 1894 vom US-amerikanischen Polarforscher Robert E. Peary in Nordgrönland. Der Transport dieses Kolosses in die USA kam einer weiteren Expedition gleich. Um den 30 Tonnen schweren Meteoriten zeigen zu können, sorgt ein Spezialträger, verankert im felsigen Fundament unterhalb des Museums, für die Stabilität des Baus.

Informationen: Naturhistorisches Museum Wien: nhm-wien.ac.at, Musée national d'Histoire naturelle de Paris: mnhn.fr/, American Museum of Natural History: amnh.org/

© SZ vom 14.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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