Süddeutsche Zeitung

Wintersport trotz Sommerwetter:Skifahren in der Hitze von Kitzbühel

  • Vom eher spätsommerlichen als frühwinterlichen Wetter ließen sich Betreiber und Hunderte Wintersportler nicht abhalten: Kitzbühel öffnete zwei Skiabfahrten.
  • Der Schnee dafür kam aus dem Lager.

Von Titus Arnu

Bis zu 21 Grad, neun Stunden am Tag pralle Sonne, hervorragende Fernsicht - auch in Kitzbühel herrschten an diesem Wochenende sommerliche Bedingungen. Bestes Skiwetter! Dachte man sich jedenfalls bei den Bergbahnen Kitzbühel und startete am Samstag eiskalt die Skisaison. Die Skisaison?

Auf der Resterhöhe beförderte eine Achter-Sesselbahn Skifahrer und Snowboarder zur Bergstation. Zwei Pisten an einem steilen Nordhang sind schon präpariert, sie ziehen sich als weißes Band durch die grüne Landschaft. Während Hunderte Sommerwintersportler auf der planierten Schneefläche herumrutschten, waren neben der Piste Wanderer in kurzen Hosen zu sehen.

Für Schneekanonen ist es noch zu warm. Also setzt man auf "Schnee von gestern"

Dass einige hoch gelegene Skigebiete in den Alpen Mitte Oktober die Lifte in Betrieb nehmen, das ist an sich nicht ungewöhnlich. Allerdings handelt es sich fast ausschließlich um Gletscherskigebiete über 3000 Meter wie Sölden, Hintertux und Saas-Fee. Die Bergstation der Resterhöhe am Pass Thurn liegt auf nur 1890 Meter.

Und weil die Luft spätsommerlich warm ist, kann man dort derzeit keinen Kunstschnee mit Schneekanonen produzieren, das geht erst bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. Die Pisten wurden also mit Schnee von gestern angelegt - Altschnee, der im Frühjahr in Depots eingelagert worden war. Walzen verteilten ihn auf zwei Abfahrten bis zu 100 Zentimeter hoch.

Und tatsächlich: Knapp 2000 Wintersport-Fans reisten am Wochenende von weither an, darunter auch viele Skiklubs und Rennteams aus Deutschland, um die ersten Schwünge auf der Resterhöhe zu ziehen. Umweltschützer indes zeigten sich fassungslos über den frühen Saisonstart.

"Der Wintertourismus in Tirol wird zunehmend grotesk", schrieb der grüne Tiroler Landtagsabgeordnete Michael Mingler auf Twitter. Obwohl die Resterhöhe genau genommen zum Salzburger Land gehört, traf er einen Nerv. Auf die Betreiber der Kitzbüheler Bergbahnen ging ein Snow-Shitstorm nieder.

Georg Kaltschmid, Tourismussprecher der Grünen, sprach von einem "massiven Imageschaden": "Es sind Aktionen wie diese, die dem Tourismus enorm schaden. Denn diese Bilder gehen in die ganze Welt." Die Bilder sind tatsächlich absurd, und es wirkt fast wie eine Trotzreaktion der Tourismusindustrie, die Skisaison ausgerechnet an einem Wochenende zu starten, an dem man im T-Shirt draußen sitzen kann.

Denn abgesehen vom ungewöhnlich warmen Herbst dieses Jahres sind die Zukunftsprognosen aufgrund des Klimawandels für tief gelegene Skigebiete wie Kitzbühel insgesamt nicht so rosig. Klimaforscher prognostizieren, dass es bis in 50 Jahren kaum noch ausreichend Schnee unterhalb von 1200 Metern Höhe geben wird. Schon jetzt sind die Winter in den Alpen zehn bis 30 Tage kürzer als noch in den 1960er-Jahren.

Die gesamte Schneedecke in den Alpen wird laut aktuellen Studien um 70 Prozent zurückgehen. Damit es auch Ende des Jahrhunderts noch Wintertourismus in den Alpen gibt, müsste die Erderwärmung auf unter 1,5 Grad begrenzt werden.

Tourismusdestinationen wie Kitzbühel versuchen deshalb, ihr Skigeschäft vorsorglich mit technischen Mitteln zu sichern. "Wir sind schließlich ein Dienstleistungsunternehmen, wir versprechen dem Kunden Schneesicherheit und 200 Skitage pro Saison", sagt Josef Burger, Vorstand der Bergbahnen AG Kitzbühel, des größten Seilbahnunternehmens in Österreich. Wenn der Schnee nicht natürlich vom Himmel fällt, wird eben mit Schneekanonen und Schneefarmen nachgeholfen.

Viele Skigebiete haben kilometerlange Wasserleitungen installiert, Reservoirs und Pumpen gebaut, um ausreichend Schnee fabrizieren zu können. Dazu bunkern die Skigebietsbetreiber so viel Altschnee wie möglich. Die Kunstpisten an der Resterhöhe würden durch eine "ausgefeilte, ökologisch sinnvolle und ökonomisch nachhaltige Methode der Schneekonservierung" ermöglicht, sagt Burger. Nach Ende der Wintersaison schieben Pistenraupen Altschnee zusammen, der zu 80 Prozent aus Kunstschnee und zu 20 Prozent aus Naturschnee besteht.

Das Zeug wird auf Kunststoffplatten gelagert und mit wasserdichter Silofolie abgedeckt, darüber kommt "Gletschervlies", eine wasserspeichernde und windabweisende Kunststofffolie. So übersteht der Schnee den Sommer, nur 20 Prozent davon schmelzen weg.

Die Tourismus-Manager halten nichts von einer zeitlichen Begrenzung der Saison

Naturschutzorganisationen wie die International Commission for the Protection of the Alps (CIPRA) kritisieren die Beschneiung wegen ihres enormen Energieverbrauchs und Eingriffen ins Ökosystem. Die Kanonen stören zum Beispiel Wildtiere während ihrer Ruhephasen. Da der Schnee aus den Depots zum größten Teil aus Kunstschnee besteht, trifft die Kritik auch die angeblich ökologisch korrekten Schneefarmen. "Diese Kritik geht völlig ins Leere", findet Josef Burger, "das ist Wiederverwertung von bereits produziertem Schnee, der ökologische Fußabdruck ist ganz nah am Naturschnee."

Die Tiroler Grünen haben nun eine Begrenzung der Wintersaison vorgeschlagen, am besten als freiwillige Vereinbarung unter den Seilbahnbetreibern. Davon scheinen die Tourismus-Manager aber weit entfernt. Solange die Gäste das Angebot so gut annehmen und das Konservieren von Schnee weiter optimiert werde, wolle man auch weiterhin so früh öffnen, sagt Josef Burger.

Am berühmten Hahnenkamm klappte es mit dem Snowfarming im vergangenen Sommer dagegen nicht ganz so gut wie geplant. Bei einem Gewitter geriet die Isolierfolie in Brand. Es klingt wie ein Witz, aber das Schneedepot brannte beinahe ab.

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Quelle:
SZ vom 15.10.2018/kaeb
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