Wintersport:Rettung aus allen Rohren

Die Wintersportgebiete in den Alpen und die Folgen der Klimaerwärmung: Wie lange gibt es noch echten Schnee in den Tälern? Über die Angst vor grünen Hängen und überflüssigen Liftanlagen und was Gemeinden wie Kitzbühel gegen die Horrorvision unternehmen.

Von Wolfgang Görl

Schneimeister. Klingt irgendwie märchenhaft. Klingt nach einem, der hoch oben auf einer Wolke sitzt. Aber so ist es ja nicht.

Wintersport: Wie lange noch rasen die Teilnehmer des Hahnenkammrennens ganz naturweiß zu Tal?

Wie lange noch rasen die Teilnehmer des Hahnenkammrennens ganz naturweiß zu Tal?

(Foto: Foto: dpa)

Doch wenigstens auf einem kristallglitzernden Hang hatten wir Andreas Brandstätter, den Schneimeister, vermutet, einen Landsknecht hinter einer Schneekanone, der Pulver in die Luft jagt.

Stattdessen sitzt er am Schreibtisch, Modell Amtsstube, vor sich den Computer, unter sich, eine Treppe tiefer, ein Gewirr aus grellbunten Röhren, Leitungen und Pumpen.

Kampf gegen grün

Dies ist nicht der Himmel, dies ist die Pumpstation am Fuße des Hahnenkamms zu Kitzbühel, eine Art alpiner Kommandozentrale, in der Leute wie Brandstätter per Mausklick ganze Batterien von Schneekanonen zum Einsatz bringen, auf dass kein Gräslein mehr im Blütenweiß der Piste zum Vorschein komme.

Hier wird gekämpft: gegen grüne Hänge, gegen schneearme Abfahrten, gegen das Elend eines frostfreien Winters.

Und dieser Kampf, prophezeien Klimaexperten, wird immer härter, immer unerbittlicher - auch und gerade in Kitzbühel.

Kein Schnee auf den Dächern des alten Kitzbüheler Ortskerns, wo eine Gedenktafel am Geburtshaus dem Skigott Toni Sailer huldigt, kein Winterzauber um die markanten Türme der Liebfrauenkirche, keine pelzbemäntelten Prominenten im Flockenwirbel - so könnte es aussehen in 40, 50 Jahren, wenn eine UN- Klimastudie zutrifft, die im Dezember auf der Weltkonferenz über Sport und Umwelt in Turin vorgestellt wurde.

Klimastudie? "Die kenn' ich nit", sagt Bürgermeister Horst Wendling, wobei er mit einer nur mäßig unterdrückten Geste des Triumphs zum Blick aus dem Rathausfenster einlädt.

Tatsächlich, es schneit. Und wie! Milliarden daunengroße Flocken, garantiert naturbelassen.

Okay, diese Runde geht an Kitzbühel. Und was besagte Studie betrifft, lässt Wendling wissen, dass er sie nicht gelesen, aber doch von ihr gehört habe.

Aber bitte, in Panik sei er keineswegs verfallen, da gehe es ihm genau so wie den übrigen Kitzbühelern:

"Das ist kein Thema bei uns. Da gibt's keinen, der am Wirtshaustisch sagt:

Um Gottes Willen, bald haben wir keinen Schnee mehr."

Plötzlich hellhörig

Derlei Sprüche hat Rolf Bürki, der an der Universität Zürich die Auswirkungen des Klimawandels auf den Tourismus erforscht, schon oft gehört. "Als wir vor zehn Jahren mit unserer Arbeit begonnen haben, wünschten uns die Leute meistens zum Teufel."

Das sei alles übertrieben, hieß es, und rücke die alpinen Wintersportorte nur in ein schlechtes Licht.

Neuerdings aber hat Bürki das Gefühl, dass die Tourismusmanager nicht mehr ganz so reflexartig die Ohren auf taub stellen, wenn von Klimaerwärmung und Treibhauseffekt die Rede ist.

Geradezu hellhörig wurde die Branche, als Bürki gemeinsam mit seinen Kollegen Hans Elsasser und Bruno Abegg während der Turiner Konferenz der Umweltbehörde der Vereinten Nationen (Unep) vor den ökonomischen Folgen warnte, die der Klimawandel in den Alpen mit sich brächte.

Basis ihrer Untersuchungen sind die Berechnungen des UN-Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), an denen mehr als 2000Klimaexperten weltweit beteiligt sind.

Sie prognostizieren bis zum Jahr 2100 eine globale Erwärmung um 5,8 Grad; genau weiß es niemand, weil es jede Menge Unsicherheitsfaktoren gibt.

Sollten die Vorhersagen zutreffen, würde der Winterzauber in tiefer gelegenen Alpenregionen zur Seltenheit.

Wanderung der Schneegrenze

Im ungünstigsten Falle könnte es passieren, dass in 30 bis 50 Jahren "nur noch 44 Prozent der schweizerischen Skigebiete als schneesicher bezeichnet werden können". Heute sind immerhin noch 85 Prozent der 230 Skigebiete schneesicher.

Noch schlimmer würde es die deutschen Skiorte treffen, die fast durchweg in mittleren Höhen liegen. Auch für Österreich verheißt die Studie nichts Gutes:

Die Schneegrenze werde immer weiter nach oben wandern, um 200, vielleicht sogar 300 Meter.

Viele Orte, in denen die Skifahrer heute noch bis ins Tal wedeln, müssten sich dann auf grüne Winter einrichten. Einen Namen nennt Bürki, bewusst provokativ, wie er zugibt, denn es ist der prominenteste: Kitzbühel. Gerade mal 800 Meter hoch.

Matschvision vom Hahnenkamm

Sollte Georg Hechenberger, der stellvertretende Vorstand der Bergbahn AG Kitzbühel, Albträume haben, dann sähen sie so aus:

Februar Hochsaison, aber die unteren Hänge des Kitzbüheler Horns sind grün wie eine Kuhweide; auf der anderen Seite der Hahnenkamm mit der "Streif", dieser Wahnsinnsabfahrt, die nur leider als braunes Band aus Matsch und Erde in den Zielschuss führt; dann die schneefreien Loipen, auf denen man allenfalls mit dem Mountainbike vorwärts käme.

Aber Hechenberger, der sportlich und mit akkurat in der Mitte gescheiteltem Blondhaar dem Prototyp des Tiroler Skilehrers recht nahe kommt, macht nicht den Eindruck, als würden ihn nächtliche Horrorvisionen heimsuchen.

Warum auch? Schließlich verfügt er über Männer wie Andreas Brandstätter, den Schneimeister.

Und mit solchen Leuten sind schneefreie Pisten so unwahrscheinlich wie ein Hahnenkammrennen ohne telegene Stürze.

Der Raum, in dem Brandstätter vor dem Computer sitzt, ist mit zwei Liegen, alpenländischer Eckbank, Tisch und Pin-up-Foto halbwegs wohnlich ausgestattet, der Blick aus dem Fenster geht zur Hahnenkamm-Abfahrt.

Ein Mausklick, und auf dem Computerschirm erscheint eine verwirrende Grafik.

Linien, Zahlen, Symbole. Wer sie zu lesen versteht, kann von hier aus die Pisten Kitzbühels dick mit Schnee bestäuben - mit feuchtem oder trockenem, in Abstufungen, wie man es braucht.

Schon im November machen sich Brandstätter und seine Kollegen an die Arbeit.

Per Computerbefehl pumpen sie Wasser zu den Zapfstellen, die entlang der Abfahrten verteilt sind.

Wieder ein Mausklick, und die dort angeschlossenen Schneekanonen schießen los. Druckluft jagt Wasser durch eine Art Zerstäuber, woraufhin der Wassernebel gefriert und als Schnee zu Boden sinkt.

Das funktioniert nur, wenn es draußen mindestens vier Grad minus hat; auch Luftfeuchtigkeit und Wind spielen eine Rolle. Sobald die Bedingungen günstig sind, alarmiert eine SMS-Botschaft den Schneimeister.

Dann muss er ran, denn nicht jeder Tag ist Schneitag. "Wenn ich drei Wochen durchschneien kann, ist das für mich das Ideale. Dann hab' ich die Grundbeschneiung erledigt, das sind ungefähr 40 bis 50 Zentimeter."

Soeben ist Richard Profanter, Pistenchef und Oberschneimeister, den Hahnenkamm hinuntergewedelt, sichtlich entzückt über den pulvrigen Neuschnee, der seit Tagen vom Himmel fällt - eine freundliche Dreingabe der Natur, die nicht unbedingt nötig wäre.

Knapp die Hälfte der 150 Kilometer Abfahrten im Raum Kitzbühel wird künstlich beschneit.

"Nur mit Luft und Wasser, sonst nix", beteuert Profanter mit derselben Miene, mit der bayerische Bierbrauer das Reinheitsgebot feiern. Während dieser Saison schleudern 200 Schneekanonen Eiskristalle auf die Pisten, und laufend werden es mehr.

"Unser Ehrgeiz ist, den prozentualen Anteil der beschneiten Pisten wesentlich zu steigern", sagt Bergbahn-Vize Georg Hechenberger. In den vergangenen zehn Jahren hat die Bergbahn gewaltige Summen in die Erzeugung künstlicher Winterparadiese gesteckt.

Drei Speicherseen mit einem Fassungsvermögen von 120000 Kubikmetern sind auf den Bergen entstanden, alle zwei Jahre kommt ein neuer hinzu.

Erhabene Natur!

Dorthin, zu den Wasserreservoirs der Beschneiungsanlagen, führen im Sommer so genannte alpine Seenwanderungen, die den Touristen eine Natur aus zweiter Hand bieten. Wer beispielsweise die 1800 Meter hohe Ehrenbachhöhe erklimmt, findet einen grün umsäumten Bergsee vor, der so idyllisch ist wie das Alpenland in der Milka-Werbung.

Erhabene Natur! Man möchte einen Lobgesang auf ihren Schöpfer anstimmen, doch residiert der nicht im Himmel, sondern unten, in den Büros der Bergbahn AG. Ihre Bagger und Raupen modellieren die Landschaft, graben Krater in den Berg, auf deren Foliengrund sich das Wasser sammelt, das durch unterirdische Rohre zu den Zapfstellen der Schneekanonen fließt.

"Das ist unsere Versicherung", sagt Hechenberger. Eine Versicherung, die unabhängig macht von den geschäftsschädigenden Launen der Natur.

Drei Euro pro Kubikmeter

Billig ist das nicht. Ein Kubikmeter Schnee kostet die Kitzbüheler drei Euro, pro Saison werden mehr als eine Million Kubikmeter auf die Pisten geblasen, Tendenz steigend.

"Wir nehmen ausschließlich Trinkwasser", sagt Bürgermeister Wendling, das sei Vorschrift in Tirol, "damit die Grünen nicht aufschreien".

Kitzbühel kann sich das leisten, denn die Touristen, die sommers wie winters den Ort beehren, lassen eine Menge Geld da. Allein im Jahr 2002, so Alexandria Gieringer-Fabi, die Direktorin des örtlichen Tourismusverbands, nahm Kitzbühel durch den Fremdenverkehr insgesamt 186 Millionen Euro ein.

Was die Wintersaison angeht, so machen die Tiroler das, was der Wissenschaftler Rolf Bürki für den gesamten Alpenraum konstatiert - "die Sicherung des Skisports um jeden Preis".

Nur können den immer weniger bezahlen. "In der Schweiz sind ein Drittel bis zwei Drittel der Skigebiete mehr oder weniger pleite.

Die überleben nur durch Subventionen." Dass immer größere Scharen von Skifahrern die offenen Rechnungen begleichen werden, glauben allein noch Traumtänzer.

Der Markt stagniert seit Jahren. Also wird um jeden Einzelnen gebuhlt, wobei man sich keine Blöße geben darf: Wer keine Schneesicherheit bietet, dem laufen die Kunden davon.

Option Aufrüstung

In seinem UN-Report schreibt Bürki: "Tiefer gelegene Skigebiete werden wegen des Schneemangels früher oder später verschwinden."

Nur Areale in höheren Regionen hätten noch Chancen - sehr zum Schaden der Natur. "Der Druck auf ökologisch sensible Hochgebirgsregionen wird steigen."

Auf Dauer, da sind sich die meisten Experten einig, haben die Skiorte nur zwei Möglichkeiten: Aufrüsten, mit Schneekanonen und Liftanlagen, die immer weiter hinauf führen, oder aufgeben und andere Einnahmequellen wie sommerliches Höhenwandern oder Wellness-Tourismus erschließen.

Eines der ersten Opfer in Bayern war das Skigebiet Gschwendner Horn bei Immenstadt, dessen Liftanlagen abgebaut wurden, weil sie veraltet und nicht mehr rentabel waren.

Doch wer sich verschuldet hat, wer Unsummen in Lifte, Beschneiungsanlagen und Hotels investiert hat, gibt so schnell nicht auf.

Der beteiligt sich zum Beispiel an Skihallen, die fern alpiner Berge am schönen Rhein errichtet werden. So kooperiert der Tourismus-Verband "Salzburger Land" mit der Skihalle in Neuss.

Der Zweck ist klar: Wer auf rheinischen Indoor-Pisten auf den Geschmack gekommen ist, wird beim nächsten Urlaub vielleicht die Salzburger Berge ansteuern - wo im Zweifelsfall der Kunstschnee so griffig ist wie daheim.

Stefan Witty, Naturschutzreferent beim Deutschen Alpenverein, hat in puncto Schneekanonen resigniert: "Wir waren früher grundsätzlich gegen Beschneiungsanlagen, aber die Realität hat uns längst überholt."

Zur Jahrtausendwende waren es gemäß einer Erhebung der Alpenschutzkommission Cipra in Österreich rund 38 Prozent der Pisten, die künstlich beschneit wurden, in Südtirol sogar 55 Prozent. Welche Folgen der Kunstschnee für die Natur hat, ist umstritten.

Der Bund Naturschutz beklagt den massiven Energie- und Wasserverbrauch und sieht erhebliche Gefahren für die Böden, für Fauna und Flora.

Alles Unsinn, heißt es auf der Gegenseite. Glaubt man Georg Hechenberger, so ist die Beschneiung der Kitzbüheler Hänge geradezu ein Segen für die Umwelt:

"Bei uns sehen es viele Landwirte gerne, wenn auf ihren Flächen künstlich beschneit wird. Die sagen, dann wächst alles besser. Und die Grasnarbe wird auch geschont."

Unabsehbare Reaktion

Rolf Bürki hält den Kunstschnee "für ein nicht so riesiges ökologisches Problem".

Viel schlimmer ist aus seiner Sicht, dass selbst höchste Bergregionen in Skigebiete verwandelt werden könnten - gefährdet wäre dabei nicht nur die stille Erhabenheit einsamer Gipfel, sondern auch ein komplexes Ökosystem, in dem jeder Eingriff unabsehbare Kettenreaktionen auslösen könnte.

Die Konkurrenz um die heiß begehrten Skitouristen treibt die Branche dazu, pausenlos das Angebot zu verbessern und zu vergrößern.

Wintersportorte schließen sich zu Verbundgesellschaften zusammen, unter deren Ägide Pistenzauber und Skischaukelherrlichkeit bis ins entlegendste Tal vordringen.

Im Blickwinkel der Freizeitindustrie erscheinen die Alpen als ein auf permanente Spaß- und Gewinnmaximierung ausgerichteter, gigantischer Ferienpark, in der eine gefügig gemachte Natur die Kulisse bietet fürs sportliche Treiben auf Kunstschneepisten samt Gipfelbar und Dancefloor-Almen.

Dem Druck der Wintersportunternehmen zu widerstehen, wird für die Genehmigungsbehörden immer schwieriger, sofern sie überhaupt ein Interesse daran haben. Laut Cipra sind in den Alpen derzeit "155 neue Skigebietserschließungen zu befürchten" sowie 81 Erweiterungen, "die bislang zumeist unberührte Hänge oder Talseiten zu zerstören drohen".

Das alles vor der Drohkulisse eines Klimawandels, dessen Vorzeichen unübersehbar sind:

Um den das ganze Jahr über gefrorenen Permafrostboden zu erreichen, muss man heute um 150 bis 300 Meter höher klettern als vor 25 Jahren; die Gletscher schmelzen, und soeben haben Schweizer Wissenschaftler festgestellt, dass die Verluste an Masse und Länge noch nie so hoch waren wie im vergangenen Jahr.

"Wir bauen heute die Skiliftruinen von morgen", sagt Bürki.

Zurück nach Kitzbühel. Zurück in die heile Welt der Bergbahn-Angestellten, die in diesen Tagen mehr damit beschäftigt sind, den natürlichen Schnee beiseite zu räumen als künstlichen zu produzieren.

Georg Hechenberger sagt, "wir sind sehr von der Natur bevorzugt". Klimastudie hin, Treibhauseffekt her - entscheidend sei das Mikroklima: "Schauen Sie sich um: klassische Nordstaulage! Da bleibt mehr Schnee liegen als in anderen Regionen."

Hinzu kommen die "wunderbaren Almflächen, die sanften Grasmatten - da fährt man auf Raureif besser Ski als anderswo auf zwei Meter Schnee".

Während also Hechenberger die Werbetrommel rührt, peilt Schneimeister Brandstätter die Lage. Heute wäre es zu windig für die Schneekanonen, aber es schneit ja ohnehin. Bis Mitte Februar wird er sich bereit halten, bei Nacht den Computer zu starten und für ein paar Stunden auf Frau Holle zu machen.

Bis zum Mai hält dann die Piste. Das ist die Zeit, zu der man ans Golfspielen denken kann. Die Stadt verfügt über vier Golfplätze, 19 weitere finden sich in der Umgebung. Was kann Kitzbühel da noch passieren?

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