Wintersport in den Alpen:Warum schließen sich Skigebiete zusammen?

Wintersport in den Alpen: Die Zwischenstation Trittkopf ist die neue Verteilerstelle zwischen St. Anton und Lech-Zürs. In beide Richtungen führen Bahnen, nach Zürs geht auch die Piste.

Die Zwischenstation Trittkopf ist die neue Verteilerstelle zwischen St. Anton und Lech-Zürs. In beide Richtungen führen Bahnen, nach Zürs geht auch die Piste.

(Foto: Josef Mallaun)

Lech-Zürs und St. Anton haben sich "zum größten zusammenhängenden Skigebiet Österreichs" verbunden. Aber braucht es so viele Pistenkilometer am Stück überhaupt?

Von Dominik Prantl

Das Museumsgebäude von St. Anton am Arlberg ist eine wunderschöne, mehr als 100 Jahre alte Villa; es liegt nur wenige Gehminuten unterhalb des Remmidemmi-Schuppens Mooserwirt. Vor dem Museum bilden Hütten einen Christkindlmarkt, so regional und heimelig, wie man ihn in einem internationalisierten Skifahrerort wie St. Anton gar nicht mehr vermuten würde. Kinder singen gerade Weihnachtslieder, die nur Eltern gefallen. Drinnen erzählt eine Ausstellung die Geschichte des Ortes, die hier immer auch eine Geschichte des Skifahrens ist. 4000 Jahre alte Fichtenlatten aus Schweden stehen in einer Reihe mit den etwa 4000 Jahre jüngeren Weltmeisterskiern des Lokalhelden Mario Matt. Im Restaurant im Erdgeschoss sitzt der Tourismusdirektor Martin Ebster, für den mindestens schon seit der Saisoneröffnung vor ein paar Tagen Weihnachten ist. Er sagt: "Die Liftverbindung mit Lech-Zürs ist wie die Erfüllung eines Traums."

Es ist nämlich so: Skitouristen lockt man nicht mit einem schönen Museum voller Skigeschichte und Kinderstimmen und Christkindlmärkten, mögen die auch noch so regionaltypisch und heimelig sein. Skitouristen lockt man mit Liften und Pisten und Bahnen, und wo wüsste man das besser als am Arlberg, der gemeinhin als Geburtsstätte des modernen Skilaufs apostrophierten Region. Vor diesem Winter wurden vier Lifte für insgesamt 45 Millionen Euro in die Bergwelt zwischen Albona und Zürs gesetzt, wobei die Flexenbahn das Kernstück des Systems darstellt (siehe Karte). Sie verlinkt die Skigebiete von St. Anton und Lech-Zürs und gibt den Anliegerorten jetzt auch noch die Möglichkeit, sich über "die Wiege des Skitourismus" hinaus als "größtes zusammenhängendes Skigebiet Österreichs" zu vermarkten. In Zahlen heißt das: 305 Pistenkilometer, 200 Kilometer Tiefschneeabfahrten, 87 Lifte und Bahnen.

Wintersport in den Alpen: Alte und neue Verbindungen

Alte und neue Verbindungen

(Foto: SZ-Karte; Foto: Google Earth; Quelle: Flexenbahn)

Für einen wie Ebster ist die Verbindung ein "Qualitätsinstrument" und irgendwie auch die Konsequenz eines jahrzehntelangen Vorspiels; der "infrastrukturelle Abschluss der Bemühungen, den Arlberg gemeinsam zu vermarkten", wie er es formuliert. Schließlich sei schon in alten Aufsichtsratsprotokollen von 1948 mit der Arlberg-Werbegemeinschaft die Zusammenarbeit dokumentiert. Seit 35 Jahren gibt es bereits einen gemeinsamen Skipass, 2013 wurde das Skigebiet Warth-Schröcken über eine Gondel an den Arlberg angedockt. Jetzt freut man sich zusammen: "Der Kreis ist geschlossen."

Für eine Prüfung auf Umweltverträglichkeit war das Projekt nicht groß genug

Nur: Wozu um Himmels willen braucht es in einem wirklich unglaublich vielseitigen Skigebiet 305 Pistenkilometer am Stück, wenn selbst gute Skifahrer unter Vorsatz des Rekordsetzens höchstens die 100 Kilometer an einem Tag knacken und Otto-Normal-Carver gelegentlich die 50er-Marke reißt? Also hinüber mit der Frage, von St. Anton in Tirol auf erstaunlich gut präparierten Kunstschneepisten zur Alpe Rauz in Vorarlberg. Dort fuhr früher in der Hauptsaison alle zehn Minuten ein Pendelbus nach Zürs, auf den es sich im Zweifelsfall eher nicht zu warten lohnte. Heute steht dort eine verglaste Talstation (Moderne Talstationen sind irgendwie immer verglast), aus denen Zehnergondeln in Richtung der verglasten Bergstation sausen.

Eine Umweltverträglichkeitsprüfung hat es trotz der vier neuen Bahnen von insgesamt 6,6 Kilometer Länge über zum Teil neue Trassen nicht gegeben. Die braucht es laut Gesetz in Vorarlberg erst, wenn in eine Gesamtfläche von 20 Hektar Größe eingegriffen wird. Andererseits hat auch noch niemand berechnet, wie viel Abgase durch das Wegfallen der bis zu 140 täglichen Busfahrten eingespart werden. Insgesamt fiel der Widerstand gegen das Großprojekt jedenfalls ungewöhnlich gering aus.

Nach zwei Liftfahrten - wobei statt der weiterführenden Trittkopfbahn auch eine Piste ins Tal führt - ist man tatsächlich grob geschätzte 2:37 Minuten schneller in Zürs angelangt als einst mit dem Skibus. Nach einer zweistündigen Tour sitzt man möglicherweise im Ortszentrum von Lech bei Ebsters Pendant Hermann Fercher.

Größe bringt's

Fercher sitzt im Restaurant des Hotels Krone, lässt sich gerade noch ein paar Schnipsel weißen Trüffel über seine Pasta reiben und kann sein persönliches Glück wohl auch über einen kräftigen Veltliner statt 305 miteinander verbundenen Pistenkilometern definieren. Er sagt jedenfalls: "Schon klar: Für jemandem, der vom Skifahren etwas mehr versteht, für den gibt es andere Kriterien." In seiner Funktion als Tourismuschef freut er sich natürlich genauso wie Ebster, denn die große Masse scheint nicht unbedingt "etwas mehr" vom Skifahren zu verstehen.

Zumindest sind laut der Studie "Best Ski Resort" - eine Gemeinschaftsproduktion der Mountain Management Consulting und der Universität Innsbruck, für die im Zweijahresrhythmus immerhin 50 000 Snowboarder und Skifahrer befragt werden - die Dimension des Skigebiets und das Pistenangebot das wichtigste Entscheidungskriterium bei der Wahl des Wintersportorts, noch vor der Schneesicherheit. Oder kurz gesagt: Größe bringt's.

Auch andere Skigebiete planen Verbindungen

Dabei geht es gar nicht so sehr darum, dass die Größe von den Gästen auch wirklich genutzt wird. "Es ist wie bei einem Hotel", sagt Ebster. "Da kann es sein, dass ich gar nicht brauche, was dort alles geboten wird. Aber ich will die Option haben." Fercher spricht von einer "Freiheit im Kopf", von den "Alternativen, die man sich ausmalen kann". Alleine die Nachricht, durch die Verbindung der neue Skigebietsgigant in Österreich zu sein, dient als Referenz. "Wir haben schon jetzt gemerkt, dass das eine gewisse Zugkraft hat", so Fercher. Seilbahnen sind damit keineswegs nur Transportmittel für Skifahrer, sondern auch Vehikel der Botschaft: Wir sind die Größten.

Zwar zählt der Arlberg alleine deshalb zu den Marketingkönigen, weil er dank seiner langen Geschichte jede Modernisierung besonders schön in Szene setzen kann. Doch nach Größe streben, das können andere freilich auch. Erst im vergangenen Winter feierten Fieberbrunn und Saalbach-Hinterglemm-Leogang den Zusammenschluss zum inzwischen abgelösten Kilometerkrösus (270) in Österreich, die überm Berg gelegenen Orte Damüls und Mellau vereinten sich 2010. Arosa und Lenzerheide in der benachbarten Schweiz waren 2013 dran, diverse Projekte stehen vor der Realisierung (siehe Kasten). Der Begriff Skischaukel erhält damit eine neue Bedeutung, denn mit jeder Verbindung werden Kundenansprüche hochgewiegelt - und der Wettbewerbsdruck steigt.

Viele wollen wachsen

Viele einst getrennte, benachbarte Skigebiete haben sich durch Liftverbindungen schlagartig vergrößert, einige andere Skigebiete werden in der nahen Zukunft noch nachziehen. Das beschränkt sich keineswegs nur auf Österreich - in der Schweiz werden im Winter 2017/18 beispielsweise Sedrun und Andermatt den Zusammenschluss feiern -, doch sind dort die Fusionsbestrebungen besonders augenfällig. So haben beispielsweise die Skigebiete Sölden und Pitztaler Gletscher im Sommer offiziell die Pläne für einen Zusammenschluss eingereicht, durch den das größte Gletscherskigebiet der Welt entstehen soll. Für die Skigebiets-Ehe von Wagrain und Kleinarl läuft das Genehmigungsverfahren; Zell am See streckt mit einer neuen Gondelbahn bereits den Arm nach Saalbach-Hinterglemm aus. Und im Zillertal plant die Schultz-Gruppe mit ihrer Neuerwerbung Spieljoch eine Verbindung zum - bereits verbundenen - Skigebiet Hochzillertal-Hochfügen.

Dominik Prantl

Hansjörg Kogler, der Bergbahn-Chef der Skiwelt Westendorf, sagt beispielsweise auf die Frage, ob eine Verbindung nach Kitzbühel nicht wünschenswert wäre: "Den Wunsch gibt es natürlich." Seine Bergbahnen sind Teil des Skigebiets Wilder Kaiser Brixental, vor der Hinterglemm-Fieberbrunn-Fusion der Tabellenführer in der Kilometerrangliste. "Die haben uns letztes Jahr natürlich den Fehdehandschuh hingeworfen", sagt Kogler. Er sieht die Dinge inzwischen naturgemäß etwas anders: "Qualität, Schneesicherheit und Gemütlichkeit sind doch viel wichtiger als reine Größe." Und überhaupt, was heißt schon zusammenhängend? "Mit dem Skibus ist man in wenigen Minuten im Kitzbüheler Skigebiet drüben." So könne man im Grunde mehr als 450 Kilometer bieten, zusammengerechnet. Aber eben nicht zusammenhängend.

Wie es am Arlberg weitergeht? Lang werden sie den Titel wohl nicht behalten. Saalbach-Hinterglemm-Leogang und Fieberbrunn planen bereits eine Verbindung nach Zell am See, wobei man das keineswegs als Konter eines Wettrüstens verstanden wissen will. Der Lecher Fercher glaubt, "dass bei uns die kleinen Orte St. Christoph und Zürs durch die Verbindung sicher stärker in den Mittelpunkt rücken." Der St. Antoner Ebster meint, dass St. Anton in einigen Jahren zum Zentrum des Gebiets wird - und zwar dann, wenn die Verbindung über den Rendl hinüber ins Paznauntal nach Kappl stehen sollte. Das Verfahren läuft derzeit noch. Ebster spricht von einem "wunderschönen Gebiet" und meint: "Ich hoffe sehr, das es durchgeht. Dann sind wir alpenweit sicher ganz weit vorne dabei."

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