Wintersport im Schwarzwald:Vor den Alpen

Der älteste deutsche Skiklub gründete sich im Schwarzwald, hier stand der erste Skilift. Heute muss die Region um den Feldberg kämpfen.

Von Johannes Schweikle

Auf den ersten Kilometern geht es durch den Wald bergauf. Aber dann führt die Loipe plötzlich auf eine offene Hochfläche. Im schrägen Licht der letzten Januartage glänzt die Schneedecke wie weißer Satin. An einer einzelnen Wettertanne ist jeder Ast mit strahlenden Kristallen verziert. Bis zum Horizont stehen tief gestaffelt die Schwarzwaldberge. Ihre Gipfel zeigen keinen schroffen Fels, sie haben sanft gerundete Kuppen. Im Tal glucken ein paar Häuser um eine kleine Kapelle.

Der Feldberg ragt kahl in den klaren Winterhimmel. Die Hütte am Hang wirkt wie eine Polarstation. Von der Dachrinne hängen meterlange Eiszapfen, an der Wetterseite könnte man auf den Schneeverwehungen problemlos bis zum First des tiefgezogenen Dachs hinaufstapfen. Solchen Unfug sollte man aber lassen, denn der Hüttenwirt hat ein resolutes Gemüt. Als am Nebentisch jemand Senf zur Bratwurst bestellt, fragt er: "Schmeckt die Wurst nicht?" In der Stube hängt die badische Fahne, ein Gehilfe stellt frisch gebackenen Kuchen in die Vitrine.

Ein paar Meter weiter wurde vor 125 Jahren Wintersportgeschichte geschrieben. Das Gästebuch des "Feldberger Hofs" verzeichnet am 8. Februar 1891: "R. Pilet, Dr. jur., Heidelberg - auf norwegischen Schneeschuhen." Der französische Diplomat Raymond Pilet war mit der neu gebauten Eisenbahn bis Titisee gefahren und von dort mit seinen Skiern 600 Höhenmeter aufgestiegen. Fotos zeigen einen Mann mit mächtigem Bart, der - wie damals üblich - nur einen Skistock benutzte. Einheimische hielten ihn für einen originell verkleideten Fastnachtsnarren. Kein Wunder - vor Raymond Pilet hatte sich noch niemand mit Skiern auf den höchsten Gipfel des Schwarzwalds gewagt. Der Pionier stapfte zehn Kilometer durch Schnee und Einsamkeit, dann war er oben, knapp 1500 Meter über dem Meer.

Im Dezember desselben Jahres gründeten sechs Männer am Fuß des Feldbergs den "Skiclub Todtnau". Todtnau liegt in einem tief eingeschnittenen Tal, der Bergbau machte den Ort wohlhabend, deshalb gab es hier Menschen mit einem Sinn für extravagante Neuheiten. Ihr Skiclub war der erste in Deutschland, der noch heute existiert. Als eine ihrer ersten Amtshandlungen ernannten die Skifahrer ihr norwegisches Vorbild Fridtjof Nansen zum Ehrenmitglied. Der berühmte Polarforscher bedankte sich mit einem Brief.

Das Vorstandsmitglied Fritz Breuer ließ eine "Anleitung zum Schneeschuhlaufen" drucken, erhältlich für eine Mark. Er propagierte die Skier nicht nur als Mittel zur Fortbewegung von Bergbauern im Schnee. Kühn vorausschauend pries er sie auch als Spaßgerät: "Auf, Ihr Freunde der Natur, Freunde Körper und Geist belebender Vergnügungen, greift zu den Schneeschuhen, kommt zu unserem Feldberg und erlernt in jenen sorgenbannenden Höhen unseren Freudenruf: Skiheil!"

Wintersport im Schwarzwald: SZ-Karte

SZ-Karte

Dabei war die Zielgruppe noch stärker eingegrenzt als heute. "Der Skilauf war nichts für arme Bauern - das war eine elitäre Angelegenheit", sagt Reinhard Janus. Der pensionierte Lehrer war lange Präsident des Skiclubs Todtnau, heute ist er das personifizierte Gedächtnis des Vereins. Mit einem Selbstbewusstsein, das bescheiden daherkommt, verweist er auf die Tatkraft der Pioniere aus dem Südwesten. 1905 waren sie federführend bei der Gründung des Deutschen Skiverbands. Der Schwarzwald brachte 1550 Mitglieder ein, aus Bayern kamen gerade mal 208. Auch in Sachen Emanzipation waren die Schneesportler aus dem Schwarzwald früh ganz vorne dabei und setzten die im Sommer geltenden Ordnungen außer Kraft. Ein Foto aus dem Archiv des Skiclubs zeigt, dass Frauen schon 1897 im Schwarzwald auf Skiern standen, obwohl es für die Damenwelt als unschicklich galt, Sport zu treiben. Ihre Kleider reichten bis zu den Knöcheln, gemeinsam mit den Männern übten sie am Feldberg.

Wenn die Schwarzwälder also die Spur gelegt haben - warum verlagerte sich der Skisport im 20. Jahrhundert zunehmend in die Alpen? "Bei uns wurden die nordischen Disziplinen betrieben, es gab Wettkämpfe im Langlauf und auf den Schanzen", sagt Janus. "Aber am Arlberg wurde der alpine Skilauf entwickelt. Und ich vermute, dass die Engländer bei dessen Verbreitung in Österreich und in der Schweiz eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben." Zudem bedeuteten die Olympischen Winterspiele von 1936 in Garmisch-Partenkirchen eine Zäsur. Seither gilt: Wer ein ernsthafter Skifahrer sein will, zieht die spektakulären Berge im Hochgebirge vor. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn 1916 die ersten Olympischen Winterspiele am Feldberg stattgefunden hätten. Doch der Plan wurde durch den Ersten Weltkrieg vereitelt.

Andere Regionen schlagen deutlich mehr Profit aus ihrer Wintersportgeschichte

Fakt ist aber auch: Geografisch kann der Schwarzwald mit der alpinen Konkurrenz kaum mithalten. Rund um den Feldberg gibt es 60 Pistenkilometer. Die meisten Abfahrten sind kurz und nicht wirklich schwierig. Lediglich das Fahler Loch heißt zu Recht so: Die Pisten sind so steil, als ob sie ins Bodenlose fielen. Hier wurden schon Weltcuprennen ausgetragen. Im Riesenslalom stehen die Großen in den Siegerlisten: Ingemar Stenmark, Pirmin Zurbriggen, Hermann Maier.

Von der glorreichen Vergangenheit alleine kann aber auch der Schwarzwald nicht mehr leben. Die Region kämpft um den Anschluss in einem längst globalen Wettbewerb. Im Rahmen eines Modernisierungskonzepts namens "Feldberg 2020" wurden allein 10,4 Millionen Euro in einen neuen Sechser-Sessellift investiert. Gegenüber dem Hotel, in dem der Pionier Raymond Pilet vor 125 Jahren seine Skier abschnallte, wurde für weitere 15 Millionen Euro kürzlich ein großes Parkhaus mit mehr als 1200 Stellplätzen eröffnet. Das Projekt war lange umstritten, an sonnigen Skitagen sind die Autodecks jedoch auch unter der Woche gut gefüllt.

Unter blauem Himmel wirkt die weite Kuppe des Feldbergs wie ein riesiger Schneespielplatz. Snowboarder schreddern am Kinderskikurs vorbei, Schneeschuhwanderer stapfen den Hang hinauf. Im Süden leuchtet der Alpenhauptkamm. Eiger, Mönch und Jungfrau scheinen zum Greifen nah zu sein. Das Flachland mit Autobahn und Baumarkt ist im Nebel verschwunden. Wanderer ziehen ein Kind im Schlitten und trampeln Löcher in die Loipe. Der Guide sagt gelassen: "Als Skilehrer wäre ich autorisiert, sie zu vertreiben. Aber dafür ist mir dieser Tag viel zu schön."

Ein paar Berge weiter nördlich muss man sehr genau hinschauen, um zu sehen, dass hier ein weiteres Kapitel Wintersportgeschichte geschrieben wurde. In Schollach schlängelt sich ein Bach durch ein Tal, dem alle Aufregung des modernen, millionenschweren Parkhaus-Sechsersessellift-Betriebs fremd zu sein scheint: keine Schirmbars, keine Schneekanonen. Am Bach steht ein Mühlrad. Eine Loipe führt an vereinzelten Bauernhöfen und Bergahornen vorbei, bevor sie im Wald verschwindet. Ein paar Urlauber aus Holland mühen sich in abschüssigen Kurven. Wo der Hang zu steil wird, schnallen sie die Ski ab und gehen zu Fuß bergab.

Auf der Piste, in der Loipe

Die aktuellen Schneehöhen in den Alpen bei Schneehoehen.de.

Der Schneckenhof hat schon bessere Tage gesehen. Davon zeugen die dramatischen Schwarzwaldlandschaften, mit denen die Gaststube ausgemalt ist. Robert Winterhalder, Jahrgang 1866, war der Wirt dieses alten Schwarzwaldhofs. Er wollte seinen Gästen ein bequemes Wintervergnügen bieten und tüftelte so lange, bis seine Idee Wirklichkeit wurde: Zwischen Bach und Waldrand baute er fünf Holzstützen an den Hang und spannte ein Endlosseil, das mit der Wasserkraft des Mühlrads angetrieben wurde. An Holzgriffen konnten sich Ski- und Schlittenfahrer am Seil festhalten. Der erste Schlepplift der Welt war 280 Meter lang und überwand 32 Meter Höhenunterschied. Am 14. Februar 1908 ging er in Betrieb.

Robert Winterhalder ließ kolorierte Postkarten drucken, zwei Jahre später fand in Triberg im Schwarzwald die Internationale Wintersportausstellung statt. Sie war das Pendant der heutigen Ispo in München. Das Preisgericht des Großherzogs von Baden verlieh dem Erfinder eine Goldmedaille. Winterhalder plante einen Lift auf dem Feldberg. Aber mit dem fröhlichen Wintersport war es bald vorbei: Deutschland zog in den Ersten Weltkrieg. Die Armee brauchte Kanonen, alles entbehrliche Metall wurde eingeschmolzen. Klaus Winterhalder, der Enkel des Erfinders, erzählt mit Bitterkeit, wie der katholische Pfarrer seine Kirchenglocke rettete. Er sagte: "Holt euch das Eisenglump vom Skilift."

So zeugt in Schollach nur noch das historische Mühlenhaus von der epochalen Erfindung. Der Hang, an dem der Wintersport ein anderes Tempo bekam, ist heute Landschaftsschutzgebiet, deshalb darf hier kein Lift mehr laufen. Der Urenkel des Erfinders walzt mit der Pistenraupe eine Rodelbahn. Am Nachmittag kommt ein Junge mit seinem Schlitten. Er hat den ganzen Hang für sich allein. Bevor er sich an die Mühe des Aufstiegs macht, pinkelt er in aller Seelenruhe in den Bach. Es geht hier eher entspannt zu.

Andere Regionen schlagen deutlich mehr Profit aus ihrer Wintersportgeschichte. St. Anton am Arlberg zum Beispiel vermarktet sich schon fast penetrant als die Wiege des alpinen Skilaufs. St. Moritz in der Schweiz feiert sich nur zu gerne als Geburtsort des alpinen Wintertourismus und koppelt geschickt eine ganze Marketingkampagne an eine Anekdote aus dem Jahr 1864. Dem Schwarzwälder ist dick aufgetragenes Eigenlob jedoch nicht geheuer. Er strengt sich zwar an, namhafte Wettkämpfe wie die Weltcup-Wettbewerbe der Skispringer, Kombinierer und Snowboarder auszurichten. Aber sobald die Stars weiterziehen, kehrt in diesem Mittelgebirge wieder Ruhe ein.

Zum Beispiel auf dem Fernskiwanderweg. Er ist 100 Kilometer lang, gut ausgeschildert und führt von Schonach zum Belchen. Kaum ein Meter ist flach auf dieser Strecke. Sie führt nicht nur auf den Feldberg, es geht über viele Berge. Wenn genug Schnee liegt, wird einmal im Winter der Rucksacklauf ausgetragen. Er zählt zu den härtesten Skimarathons in ganz Europa. Den Rekord hält noch immer Georg Thoma. Im Schwarzwald wird er als Skikönig verehrt, wahrscheinlich deshalb, weil er stellvertretend für diese Region steht und auch nach der Olympischen Goldmedaille 1960 in der Nordischen Kombination sein unaufgeregtes Gemüt nicht verloren hat.

Als Thoma nach 5:51 Stunden das Ziel am Belchen erreichte, schnaufte er durch und meinte lakonisch: "Es gibt leichtere Sachen."

Informationen

125 Jahre Skilauf: Jubiläums-Wochenende am 20. und 21. Februar, Programm im Internet unter www.liftverbund-feldberg.de; Ausstellung "125 Jahre Skilauf im Schwarzwald" bis 26. März im Haus der Natur auf dem Feldberg, www.naturpark-suedschwarzwald.de; Skimuseum in einem alten Schwarzwaldhof: Erlenbrucker Straße 35, 79856 Hinterzarten, www.schwarzwaelder-skimuseum.de.

Auskünfte: Wissenswertes zu Unterkünften und allen Winteraktivitäten rund um den Feldberg gibt es beim Hochschwarzwald-Tourismus in Hinterzarten, Tel.: 076 52/120 60, www.hochschwarzwald.de. Ab zwei Übernachtungen bei einem Gastgeber mit der Hochschwarzwald-Card ist der Skipass gratis.

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