Wilde Heimat Deutschland:Schnucken gucken

Schaf Lüneburger Heide

Von August bis September blüht die Heide - und Uwe Storms Herde sorgt dafür, dass nicht zu viel Gras wächst. Dabei werden die Schafe manchmal arg vorlaut.

(Foto: Monika Maier-Albang)

Lila soll die Lüneburger Heide sein, bitte nicht grün. Aber ohne Schafe wäre das kaum möglich. Dann müssten Besucher auf einen Lüneburger Wald schauen. Unterwegs mit einer Schafherde.

Von Monika Maier-Albang

Es ist zwölf Uhr mittags, Uwe Storm hat sich in den geteilten Stamm einer alten Eiche gesetzt, in einen Stübusch - so nennen sie in der Heide solch einen verzweigt verwachsenen Baum, der gestutzt worden ist und wieder ausgetrieben hat. Zu Storms Füßen liegen zwei Hunde hechelnd im Gras. Ein Hund kühlt sich im Sandloch. Achthundert Schafe dösen unter den Bäumen nebenan. Ein Traktor fährt vorbei, und Uwe Storm kann es kaum fassen. "Was für ein Betrieb heute", raunt der Schäfer. Einen halben Tag unterwegs und schon drei Fahrzeuge gesehen!

Autofahrer dürfen nur mit Ausnahmegenehmigung in den Naturschutzpark Lüneburger Heide - in das Herz der niedersächsischen Heidelandschaft. Es ist das älteste Naturschutzgebiet Deutschlands, ein Sehnsuchtsort für Wanderer, Landschaftsmaler, Stadtflüchtige, den der Heidedichter Hermann Löns schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts verklärt hat. Um die Vegetation zu schonen, kann der Normalbesucher sich nur mit Kutschen und Fahrrädern fortbewegen. Oder zu Fuß. Und stets nur auf den Wegen. Außer, man ist Schäfer. Oder: Man begleitet einen Schäfer.

Seit neun Uhr ist Storm mit der Herde vom Tütsberg aus unterwegs. Schon am Morgen steht die Luft. Heidehitze. Vom Stall aus sind die Tiere in einer Staubwolke losgezogen, es hat schon länger nicht mehr geregnet. Überhaupt, schimpft Storm, sei das Wetter in diesem Jahr missgünstig. Kein zarter, die Nacht über andauernder Landregen im Frühjahr. Stattdessen war es da so trocken, dass seine Muttertiere kaum genug Milch hatten. Danach ließ ein Übermaß an Regen das Gras in die Höhe schießen, sodass die Tiere mit dem Abweiden nicht hinterherkamen. "Dann schimpfen die Touristen", sagt Storm. Wer hier herkomme, wolle schließlich keine Gräser sehen. Wiewohl Pfeifengras, Borstgras, Rasige Haarsimse auch ihren Reiz haben. Aber von August bis September hat die Heide lila zu sein, nicht grün. Da kennt der Gast kein Pardon.

Dabei übersieht er häufig, dass die Heidewildnis, die schon in der Jungsteinzeit durch Überweidung entstanden ist, vor allem durch sorgsames Eingreifen des Menschen in die Natur erhalten wird. Zuständig dafür sind Uwe Storm und seine graugehörnten Heidschnucken, denen er ein paar Ziegen beigesellt hat, weil die gerne Blätter fressen und so die Bäume niedrig halten.

Überließe man die Natur sich selbst, wäre in zehn Jahren alles Wald. Zuerst kämen die Birken, die Kiefern, die Traubenkirschen. Später Buchen und Eichen. Weil der Mensch aber beschlossen hat, wenigstens die Reste der einst im Norden Deutschlands weit verbreiteten Heidelandschaft zu schützen, setzt er die Schafe ein, mäht und entkusselt - so nennt man das, wenn Freiwillige durch die Heide ziehen und junge Gehölze ausstechen. Und er plaggt den Boden, wie früher die Heidebauern, nur nicht auf so mühsame Art und Weise. Heute tragen Maschinen die oberste Bodenschicht dort ab, wo sich zu viel Humus angesammelt hat.

Wild, scheu, genügsam

Die Heide benötigt nährstoffarmen Boden. Für die Bauern von einst war das Plaggen - vom dem sich das Wort Plackerei ableitet - eine Möglichkeit, Sand in Dünger für den Ackerboden umzuwandeln. Man brachte den Boden in die Ställe, wo er sich mit dem Kot der Tiere vermischte. Und weil der Bauer möglichst viel davon im Stall haben und nicht draußen verlieren wollte, wurden die Schnucken darauf gezüchtet, dass sie sich tagsüber stetig bewegen. Geruht und verdaut und ausgeschieden wird nachts, im Stall.

Lüneburger Heide Uwe Sturm Schafe

Uwe Sturm mit seiner Schafherde. In einer Fabrik zu arbeiten, hat er nicht ausgehalten. Nach vier Jahren war Schluss - und er ging zurück in die Heide.

(Foto: Monika Maier-Albang)

Für einen Heidschnucken-Schäfer bedeutet das: Auch er ist immer in Bewegung. Seine Hunde müssen nicht treiben, nur ab und an die Richtung der Herde korrigieren, sie "drehen", wie Storm sagt, wenn sie dahin "daddeln", wo er sie nicht haben will. Dafür braucht er keine umtriebigen Border Collies, die seine Schnucken nur noch nervöser machen würden. Storm arbeitet mit altdeutschen Hütehunden - Harzer Fuchs und Strobel, gelassene Tiere. Und auch sonst, schwärmt er, hätten seine Schnucken nicht viel gemein mit den "Weißen", die Uwe Storm verächtlich "Hochleistungsschafe" nennt. In den Schnucken, die vom Mufflon abstammen, sei noch "ein Rest Wildheit", sagt er.

Genügsam sind sie, scheu. Sie müssen nur einmal im Jahr Lämmer bekommen, nicht zweimal. Das klingt idyllisch - und hat seinen Preis. Nicht nur beim Heidschnuckenbraten. Bis zu 20.000 Euro Verlust pro Jahr macht jede der sechs Heidschnuckenherden, die der Verein Naturschutzpark unterhält - der Erlös durch Fell und Fleisch wiegt nicht auf, was Schäfer, Tierarzt, Stall und Maschinenpark kosten. Der Verein hofft auf Spenden, bietet Schafpatenschaften an, finanziert sich auch über Mitgliedsbeiträge. Storm versucht unterdessen, seine Schafe "ein bisschen kompakter" zu züchten, damit mehr Fleisch am Haken hängt, wenn die Tiere "gehen müssen", wie der Schäfer das Weggeben zum Schlachten euphemistisch nennt.

Und er hat sich selbst zur Touristenattraktion erklären lassen: Mit Kutschen kommen Gäste abends an seinen Stall, stellen Fragen. Einmal in der Woche fahren Touristen, die einen echten Schäfer bei der Arbeit sehen wollen, auch in die Heide zu Uwe Storm. Dann gibt es Kaffee und Kuchen unterhalb des Langen Berges, der von einem lichten Eichenwald gekrönt ist. Gerade sind die Blaubeeren reif, die Schafe lieben das satte Grün dieses Heidekrautgewächses. Gar nicht verlassen möchte man den "Hütewald". Ist so schön kühl hier.

Aber die Schafe ziehen weiter, raus ins Gestrüpp. "Bring feste Schuhe mit", hatte Storm geraten. Schon wegen der Kreuzottern, die sich mit Vorliebe am Übergang von der trockenen Heidevegetation zu den Tümpeln und Mooren sonnen. Für den Menschen ist der Biss unangenehm, für ein Schaf kann er tödlich sein - wenn das Gift sich über das Euter oder vom Kehlkopf aus im Körper verbreitet.

Was denkt einSchäfer den ganzen Tag?

Lüneburger Heide Hunde

Altdeutsche Hütehunde, Harzer Fuchs und Strobel, helfen dem Schäfer Storm, seine Tiere beisammenzuhalten.

(Foto: Monika Maier-Albang)

12.400 Heidschnucken leben heute in der Heide, im 18. Jahrhundert waren es eineinhalb Millionen. Wo früher Heide war, ist heute meist Wald und Ackerland. Dass sich überhaupt Reste der Heide erhalten haben, sei dem Militär zu verdanken, sagt Heideranger Jan Brockmann. "Viele Truppenübungsplätze sind seit Kaisers Zeiten in Benutzung. Hier wurde nie Dünger ausgebracht." Der Funkenflug beim Schießen ersetzte das kontrollierte Abbrennen, das heute praktiziert wird. Es gibt Tierarten, die genau dieses nährstoffarme Flächenland zum Überleben brauchen: das Birkhuhn etwa. Ohne Truppenübungsplätze, vermutet Brockmann, wäre es in Deutschland ausgestorben. Mit Panzern kann es sich arrangieren. Gefährlich sind Spaziergänger, die ihre Hunde frei laufen lassen.

Auch am Tütsberg waren früher Briten und Kanadier stationiert. Nach dem Abzug der Truppen begann der Verein Naturschutzpark 1994, Heidevegetation wieder anzusiedeln. Zunächst muss das Gras sich festsetzen, erst dann finden die Samen von Glocken- und Besenheide Halt. Die tiefen Furchen, die die Panzer in den Sand gegraben haben, sind noch da. Darüber aber hat sich die Heide verstockt, wie Experten das nennen. Möglich also ist so eine Regeneration - man sieht es am Tütsberg.

Storm geht dort jetzt durch ein bienenumschwirrtes Blütenmeer. "Sie haben einen tollen Beruf", sagen die Touristen dann gern zu ihm. Stimmt schon, findet Uwe Storm, einerseits. Andererseits sehen die Leute ihn ja auch nicht im Winter, wenn er sich und seine Herde durch die Schneewehen kämpft. Und was denkt nun ein redseliger Mensch wie er, wenn er stundenlang allein mit den Tieren über die Hügel zieht? "Nichts."

Kurze Pause. Na ja, korrigiert sich der 51-Jährige. Natürlich gebe es Dinge, die einem durch den Kopf gehen: Privates. Oder wie sich die Herde "verbessern" lasse. Welche Jungtiere bleiben dürfen, welche von den altgedienten, aber mit sechs, sieben Jahren bald zahnlosen Muttertieren eine rote Markierung ans Horn bekommen - das Zeichen dafür, dass dies ihr letzter Sommer ist. Von manchen seiner Tiere trennt Storm sich nur schwer. Manche wird er am Hof behalten, bis sie ein natürlicher Tod ereilt, bei aller Professionalität. 31 Jahren ist Uwe Storm nun schon Schäfer. Auch sein Vater war Schäfer. Vier Jahre hat er in einer Fabrik gearbeitet. Die Kinder waren klein, er musste Geld ranschaffen. "Ich hab's nicht ausgehalten", sagt Storm.

Zeit, heimzukehren. Am Ende des Tages dürfen die Schafe noch auf eine sattgrüne Wiese, ihre Bäuche sind mittlerweile so kugelrund, dass der französische Diplomat und Schriftsteller Michael Ange Mangourit bei ihrem Anblick wohl erstaunt wäre. "Schaafe von einem erbärmlichen Ansehen" waren ihm im 18. Jahrhundert in der Heide begegnet. Dabei sind die Schnucken ganz hübsch, wenn man sie eine Weile betrachtet: die Erwachsenen mit ihrem grauen Deckhaar und den dunklen Beinen, die Lämmer in der dunkelbraunen Kindertracht, die sie nach der ersten Schur ablegen. Nur gerade sieht man den Unterschied nicht mehr. Der Staub, den die Tiere aufwirbeln, hat alle geschluckt.

Informationen

Lüneburger Heide

Lüneburger Heide Lüneburger Heide

(Foto: SZ Grafik)

Anreise: mit dem Auto auf der A 7, Abfahrt Bispingen, nach Behringen, im Ort Richtung Heber bis Tütsberg.

Übernachtung: Hotel Hof Tütsberg, Landschaftspflegehof der Stiftung Naturschutzpark mit Schafherde, DZ ab 75 Euro, Tel.: 05199/900, www.tuetsberg.de

Weitere Auskünfte: Verein Naturschutzpark, Tel.: 05198/98 70 30, www.verein-naturschutzpark.de; www.naturpark-lueneburger-heide.de; Führungen mit Ranger: Tel.: 05194/97 08 39, www.heide-ranger.de; www.lueneburger-heide.de

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