Süddeutsche Zeitung

Kolumne "Ende der Reise":Der Urlauber bringt's

Wer auf Reisen gerne in Kontakt mit Einheimischen kommen möchte, dem macht die Stadt Wien demnächst ein besonders verlockendes Serviceangebot.

Glosse von Stefan Fischer

Man ist es ja längst gewohnt als Urlauber, dass man alles selbst machen muss: Ob beim Hotelfrühstück, auf Skihütten oder am Streetfood-Lkw neben der Sehenswürdigkeit - niemand bringt einem die Speisen mehr an den Tisch. Entweder gibt es lediglich eine Essensausgabe oder ein Büfett. Wer sich also nicht selbst bedient, bleibt hungrig.

Ehe man sich am Urlaubsort endlich den Bauch vollschlagen kann, hat man bereits eine ganze Reihe weiterer Serviceleistungen an sich selbst vollbracht: Den Koffer am Flughafen aufzugeben, ist schon seit Jahren Sache der Passagiere. Wer wiederum mit dem Zug unterwegs ist, ist vonseiten der Bahn angehalten, sich mittels App selbst einzuchecken. Am Ziel angelangt, kommt man ins vorab per Kreditkarte bezahlte Hotelzimmer über einen Türcode. Niemand ist da, der einem die Usancen des Hauses erläutern würde oder gar mit dem Gepäck behilflich wäre.

Beim Fliegen ist es oftmals heute bereits so: Im Basispreis enthalten ist nur noch der reine Transport der Fluggäste. Jeder weitere Service entfällt entweder oder ist zusätzlich zu bezahlen. Wer also Gepäck mitführen möchte, und sei es eine Handtasche, oder gerne einen Schluck zu trinken hätte - stets heißt es: Aber bitte, jederzeit, wenn sie nur rasch Ihre Kreditkarte hier an das Lesegerät halten. Und jetzt noch den PIN, danke!

Die Hotellerie wird bestimmt bald nachziehen: Bettenmachen, Wäschewechsel, ein Taxi rufen, all das erledigt jeder Gast dann künftig selbst. Anders geht es offenkundig nicht mehr angesichts des Personalmangels und der horrenden Energiekosten. Doch wer glaubt, damit sei das Limit an Zumutungen für Urlauber endgültig erreicht, irrt gewaltig.

Der Tourist bringt's

In Wien wird ein Projekt vorbereitet, das von 2024 an in der Stadt getestet werden soll: Koordiniert über (noch!) eine App, sollen Fahrgäste in der Straßenbahn Pakete mitnehmen und an ihren Zielort bringen. Das sei umweltfreundlich, loben sich die Initiatoren des Projektes selbst, und obendrein effizient. Touristen würden dann beispielsweise, wenn sie mit dem Smartphone gerade ihr Tramticket lösen, von einem Bot gefragt: "Sie fahren eh hinaus zum Zentralfriedhof? Können Sie vielleicht drei Packerl bis in die Braunhubergasse mitnehmen? Zwei für Molnars in Hausnummer 15, eines für Pichler in Nummer 22?"

Wer nun glaubt, sich dem entziehen zu können, sollte sich keinesfalls wundern, wenn nach der Rückkunft von der Besichtigung der Ehrengräber für Hans Moser, Udo Jürgens und Joe Zawinul der Hoteltürcode gesperrt ist. Dienstleistung ist - neben digitalen Daten - nun einmal die Währung, mit der Urlauber in Zukunft ihre Zeche bezahlen. Sicherlich wird man sich über ein Bonuspunkteprogramm mittels fleißigem Paketeausliefern ein Extrakipferl zum Frühstück erhamstern können.

Außerdem sind Touristen doch ohnehin unglaublich heiß auf authentische "Meet the locals"-Angebote. Wo erfüllt sich dieser Drang, in Kontakt mit den Einheimischen zu kommen, besser als bei der Paketzustellung in Stadtvierteln, in die man sonst nie einen Fuß setzen würde?

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