Österreich:Der Geist vom Wolferl

Österreich: Die ehemalige Wohnung von Johann Strauss an der Praterstraße ist jetzt ein Museum.

Die ehemalige Wohnung von Johann Strauss an der Praterstraße ist jetzt ein Museum.

(Foto: Lisa Rastl/Wien Museum)

Über Ostern wird Wien in einen Tiefschlaf versetzt. Der Besuch in den berühmten Musikerwohnungen, die derzeit geschlossen sind, ist da wie das Eintauchen in eine ungewohnt stille, vergangene Welt. Ein privilegierter Rundgang.

Von Cathrin Kahlweit

Bei Mozarts ist jemand zu Hause. Das ist in doppelter Hinsicht erfreulich. Denn seit in Wien die Touristen ausbleiben - und es waren vor allem die asiatischen Touristen, die vor der Pandemie an der Adresse von Wolfgang Amadeus und Konstanze Mozart um Einlass baten -, ist es etwas einsam geworden im Camesinahaus in der Domgasse 5. Immerhin: Eine einsame Dame am Ticketschalter und ein einsamer Herr an der Garderobe bewachen den Souvenirladen mit Mozartkugeln, Mozartstiften und Mozartpostkarten, und den Geist vom Wolferl in Wien bewachen sie auch. Der war, als er hinter dem Stephansdom lebte, allerdings schon ein verheirateter und sehr erfolgreicher Wolfgang. Die Domgasse war für ihn eine besonders gute Zeit.

In Österreich sind seit Mitte Februar die Museen wieder geöffnet. Die größeren zumindest. Zwar wird die Stadt, wegen steigender Inzidenzzahlen, über Ostern in einen Feiertags-Tiefschlaf versetzt - und es ist noch nicht so ganz klar, wann sie wieder ganz wachgeküsst wird. Aber das macht gar nichts, denn genau darum geht es bei diesem vorösterlichen Rundgang durch Wiens Musikerwohnungen, allesamt Außenstellen des Wien-Museums: eine privilegierte Tour durch leere Zimmerfluchten, in denen einst Johann Strauss, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven, Joseph Haydn und Franz Schubert lebten, wobei nicht vergessen sein soll, dass Johannes Brahms im Haus von Haydn auch noch mit einem eigenen Zimmer untergekommen ist.

Ludwig van Beethoven in seinem Arbeitszimmer

Der früh ertaubte, verbitterte, oft schlecht gelaunte Titan Ludwig van Beethoven bei der Arbeit. Darstellung von Rudolf Eichstaedt.

(Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Man kannte und schätzte sich in der Szene, die Querverbindungen sind üppig. Und so, wie die Historikerin Elisabeth Noggler-Gürtler, beim Wien-Museum zuständig für "MusikerInnen, Instrumente und Musikerwohnungen", es aufzählt, ist das schon sensationell einleuchtend: "Den Mozart, den bewunderte Joseph Haydn sehr. Beethoven wiederum wollte bei Mozart Unterricht nehmen und hat später tatsächlich bei Haydn Unterricht genommen, Schubert wiederum bewunderte Beethoven. Und Strauss? Da gäbe es zum Beispiel den Brahms, der mit Strauss sehr befreundet war; es gibt in der Strauss-Wohnung ein Foto, auf dem die beiden gemeinsam zu sehen sind, und Strauss bewunderte Haydn. Im Haydn-Haus wiederum gibt es einen eigenen Brahms-Schwerpunkt, weil der maßgeblich daran beteiligt war, dieses Haus Haydn zu widmen."

Alles klar?

Bis auf Mozarts Wohnhaus, das als nationales Heiligtum gilt, sind die Musikerwohnungen also vorübergehend geschlossen, zu klein die Räume, zu schwierig die Einhaltung der Abstandsregeln, zu teuer vielleicht auch der Betrieb, wenn ja doch keiner kommt. Das Wien-Museum selbst, urbanes Universalmuseum für Stadtgeschichte, Kunst, Mode und Alltagskultur, wird gerade kernsaniert. Derzeit seht nur ein Gerippe am Karlsplatz, jede Schraube, jede Strebe, jede Leiste ist eingelagert, bis der neue, stark erweiterte Bau wieder zusammengesetzt ist. Große und kleine Ausweichflächen werden bespielt und neue städtische Ausstellungsorte erfunden. Für die musikalisch-meditative Sneak-Preview im Bestand, die man in normalen Zeiten mit einem Kombi-Ticket erleben kann, ist dies also der beste Moment. Denn die Musik kommt ja wieder, und die Kunst lebt. Man muss sie nur (be-)suchen.

Wien war und ist die Stadt der Musik, und wenn schon Philharmoniker und Symphoniker nicht auftreten dürfen, wenn Staatsoper und Theater an der Wien Neuinszenierungen nur streamen und der Jazz Club Porgy & Bess sein Programm nach dem Motto "The show must go on" online an die Leute bringt, so kann man doch im Hintergrund, ganz leise, die Schwingungen hören. In der Domgasse 5 zum Beispiel hat Mozart 1785 sechs Streichquartette, das letzte war gerade erst fertig geworden, in einem Hauskonzert aufgeführt, mit dabei: Vater Leopold an der ersten Geige und der Sohn an der Viola. Haydn, den man im 6. Bezirk besuchen kann, hörte damals zu und war begeistert. Mozart widmete die sechs Quartette deshalb umgehend seinem "lieben Freund Haydn".

Haydnhaus Wien

In diesem Haus wohnte Joseph Haydn. Er kaufte es 1793 wegen der "einsam stillen Lage" in Gumpendorf. Heute ist die Straße nach dem Komponisten benannt.

(Foto: Lisa Rastl/Wien Museum)

Wenn man in sich hineinhorcht, kann man zum Beispiel den ersten Satz, das Allegro vivace assai aus dem G-Dur-Quartett, im ersten Stock beim Schlendern durch die Zimmerflucht regelrecht ahnen. 1784 bis 1787 hingegen herrschte vor dem Fenster, auf der Blutgasse und am Durchgang zum Dom, Halligalli, Pferdehufe klapperten, Kutschen rumpelten, Dreckwasser klatschte auf das Kopfsteinpflaster. Jetzt lungert nur ein junger Mann auf der Straße herum, der sich in einen schwarzen Hoody gehüllt hat und zu Mozarts nach oben starrt. Als fürchte er, dass Sarastro jeden Moment hinunterbrüllen oder die Königin der Nacht ihre gefürchteten Koloraturen aus dem Fenster schmettern würde.

Der Herr des Hauses genoss während seiner Zeit in der Domgasse große Erfolge und gute Verdienste, es war die vornehmste und teuerste Wohnung, die Mozart jemals hatte - und die einzige seiner Wiener Wohnungen, die erhalten geblieben ist. Das edle Etablissement war dereinst voll mit Besuchern, Dienstboten, Schülern und Bittstellern. Jetzt, in der Pandemie, fühlen sich die vier schönen Zimmer, zwei Kabinette und die Küche exakt so an, wie sie beworben werden: als "auratische Intimzone" der Familie Mozart.

Quer über dem Donaukanal, im 2. Bezirk, entfaltet sich weniger eine auratische Intimzone, was immer das genau ist, als vielmehr eine Prachtwohnung in der Beletage am einstigen Prachtboulevard, der Praterstraße. Hier lebte Walzerkönig, Hofball-Musikdirektor und Kapellmeister Johann Strauss, Popstar seiner Zeit, Mitte der 1860er- bis Mitte der 1870er-Jahre gemeinsam mit seiner ersten Frau, der Opernsängerin Henriette Strauss-Treffz, genannt Jetty. Es sollten weitere Gattinnen folgen, was die in Wien schon damals sehr agile Boulevardpresse dankbar thematisierte. Die Leopoldstadt war kurz zuvor eingemeindet worden, in den umliegenden Tanzsälen und Gasthäusern war Strauss zu Beginn seiner phänomenalen Karriere oft aufgetreten, nur ein paar Straßen weiter, am Tabor, wohnten der Konkurrent Vater Strauss und die Familie.

Neben einem Stehpult, einer Hausorgel, einem Bösendorfer Flügel, Büsten und Gemälden sind es vor allem die Karikaturen, die den Besuch lohnen; hier vermischen sich Kunst und Politik, Geschichte und Gegenwart. Dass etwa der niederländische Geigenstar André Rieu Antlitz und Auftritt an den Mann anpasste, der in der Praterstraße die "Fledermaus" und den "Donauwalzer" komponierte, scheint hier unübersehbar zu sein.

"Mir ist so wunderbar." Was könnte das Pandemiegefühl besser vertreiben?

In der Innenstadt, im Pasqualati-Haus an der Mölker Bastei, lebte Ludwig van Beethoven in einer seiner zahlreichen Wiener Wohnungen. Er war 1787 erstmals in die k. u. k. Metropole gekommen und zog ein, aus und um, wie es damals üblich war; sein Gönner Johann Baptist Freiherr von Pasqualati hielt ihm derweil die Räume im obersten Stock seines Hauses frei, vor dem sich noch nicht die prächtige Ringstraße befand, weshalb der freie Blick ins Grüne schweifen konnte. Das weit ansehnlichere Haus am heutigen Beethovengang in Wien-Heiligenstadt, dessen Ausstellung 2017 neu konzipiert wurde, erzählt mehr über den früh ertaubten, verbitterten, ewig schlecht gelaunten Titanen. An der Mölker Bastei, wo er die große Leonore, die später gegen seinen Willen in Fidelio umbenannt wurde, und die kleine Elise komponierte, ahnt man aber noch immer das 18. Jahrhundert, streift über abgelaufene Holzbohlen, blinzelt ins matte Frühlingslicht. Und es ist, als verschränkten sich, um das deprimierende Pandemiegefühl von 2021 zu vertreiben, hier auf das Harmonischste gleich alle vier inneren Stimmen aus dem geliebten Quartett: "Mir ist so wunderbar."

So wunderbar bleibt es auch beim Besuch des alten Haydn, der überhaupt ein famoser Zeitgenosse gewesen sein muss, wenn man den Zuschreibungen im Haydn-Haus glauben kann. Großzügig, sozial, humorvoll, lieber umgeben von Hauspersonal als von Verehrern; selbst sein Graupapagei nannte ihn "Papa Haydn". Nach seinem Tod 1809 ließ Bewunderer Napoleon Ehrenwachen vor dem Anwesen in Gumpendorf aufstellen, das an der heutigen Haydnstraße liegt und auch eine Art Brahms-Einliegergedenkstätte beherbergt. Einst hatte Haydn es wegen seiner "einsamen, stillen Lage" gekauft und um einen Hausgarten nach der damaligen Mode erweitert. Wien war eine bedeutende Residenzstadt, noch keine Großstadt, der Adel konnte sich seine Hauskapellen kaum noch leisten, das wachsende Bürgertum übernahm die Rolle von Förderern und Fans. Haydn, am Übergang zum 19. Jahrhundert einer der berühmtesten Komponisten Europas, nahm einiges von dieser Entwicklung vorweg. Im heutigen 6. Bezirk komponierte er unter anderem "Die Schöpfung" und "Die Jahreszeiten" - und je deprimierender sich die neue Covid-Zeit wie Mehltau aufs Gemüt legt, umso beneidenswerter liest sich dieser Satz von Joseph Haydn: "Die Phantasie spielt mich wie ein Klavier."

Die Schuberts waren "Trockenwohner". Das Todesurteil für den Bruder

Der letzte und traurigste Besuch gilt der Sterbewohnung von Franz Schubert. In seinem Geburtshaus an der Nussdorfer Straße, wo er 1797 als 13. Kind einer Lehrerfamilie geboren wurde, lebten 70 Menschen, aufgeteilt auf 16 Wohnungen. In der Kettenbrückengasse im 3. Bezirk verendete er, verzweifelt und verarmt als Logiergast bei seinem Bruder. Das Haus war neu und noch feucht, und die Schuberts waren sogenannte "Trockenwohner", was den Tod des kranken Franz, der in einem winzigen Kabinett hauste, noch beschleunigte. Er hinterließ, wie man einem städtischen Dokument zum "Todtenfall" des "Herrn Franz Schubert" entnehmen kann, kaum mehr als "3 tüchene Fräcke", "13 Paar Fußsäckeln", eine Matratze und "einige alte Musikalien".

Wenn man dann nach einer tiefen Verbeugung ganz demütig ins triste Home-Office zurückeilt und überlegt, was jetzt als Erstes zu hören sei, dann ist es natürlich die "Winterreise". Fremd ist er eingezogen, fremd zog er wieder aus.

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